Implantate: wie den Langzeiterfolg sichern?

Experten diskutieren Schlüsselfaktoren zum Erhalt des

marginalen Knochens um Dentalimplantate

Unabhängige multidisziplinäre Arbeitsgruppe befasst sich mit dem Thema und fordert mehr wissenschaftliche Untersuchungen zum Thema Knochenmanagement

 

Daniel van Steenberghe, Prof. Dr. med. Dr. med. dent.

Dentalimplantate sind populär – es gibt inzwischen Dutzende von Millionen Menschen, die eines oder mehrere dieser Implantate haben. Daher ist die Lebenserwartung von Dentalimplantaten in den letzten Jahren eine Frage der öffentlichen Gesundheitspflege geworden. Damit die Implantate lange im Kiefer verweilen können und der von ihnen getragene Zahnersatz lange hält, muss der randständige, also der an die Implantate angrenzende, Knochen als integriertes und wichtiges Element der Behandlung sorgfältig überprüft und wissenschaftlich untersucht werden. Fortschreitender Knochenabbau kann dazu führen, dass das Implantat unzureichenden Halt hat, Infektionen auftreten und letztlich das Implantat insgesamt verloren gehen kann.

 

Um das Thema des Knochenerhalts wissenschaftlich und klinisch dokumentiert angehen zu können, schlug Nobel Biocare im vergangenen Jahr vor, eine internationale Expertengruppe zu gründen, deren Leitung mir angetragen wurde. Unsere Aufgabe: Eine gründliche Bestandsaufnahme unseres aktuellen Wissens in diesem Bereich und Vorschläge für das zukünftige Vorgehen. Auf diese Weise entstand die Arbeitsgruppe (AG) »Therapeutische Möglichkeiten zum Erhalt des marginalen Knochens um enossale Dentalimplantate«.

 

Man gab mir freie Hand, als AG-Mitglieder die Personen einzuladen, die ich für am geeignetsten hielt. Die Einladungen ergingen auf der Grundlage von Veröffentlichungen und Zitathäufigkeiten. Da die AG letztlich sowohl wissenschaftliche als auch klinische Empfehlungen aussprechen würde, war es wichtig, Experten aus zahlreichen Fachgebieten zu gewinnen, die für das Thema Knochenerhalt direkt relevant sind.

 

Acht unabhängige Wissenschaftler und Kliniker gehören der AG seit ihrer Gründung an und haben seitdem zahlreiche wertvolle Beiträge geleistet: Marco Esposito (UK), Björn Klinge (SE), Jörg Meyle (DE), Andrea Mombelli (CH), Eric Rompen (BE), Tom Van Dyke (US), Hom-Lay Wang (US) und Arie-Jan van Winkelhoff (NL).

 

Sämtliche dieser renommierten Experten erklärten sich bereit, unabhängig und ohne Vergütung in der AG mitzuarbeiten. Im vergangenen Jahr evaluierten sie über einen Zeitraum von mehreren Monaten die Literatur zu marginalem Knochenverlust aus der Sichtweise ihrer eigenen Forschungsgebiete, die die experimentelle Methodik, Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, Parodontologie, Immunologie, Biomaterialien, orale Physiopathologie, orale Rehabilitation und Mikrobiologie umfassen.

 

Nach dem gegenseitigen Austausch ihrer Review-Manuskripte trafen sich die AG-Mitglieder im vergangenen September zwei Tage lang am Karolinska-Institut in Stockholm, dort wo die Versammlung jedes Jahr den Nobelpreisträger für Physiologie oder Medizin wählt. Gastgeber war Björn Klinge.

 

Nobel Biocare hat großzügigerweise die Reisekosten der AG von Anfang an auf Vertrauensbasis übernommen, ohne sich in die Diskussionen einzumischen oder eine wie auch immer geartete Gegenleistung zu fordern. Das Unternehmen richtete darüber hinaus im Juni dieses Jahres im Zusammenhang mit der Europerio 7 in Wien eine öffentliche Diskussionsveranstaltung für die AG aus.

 

Die überarbeiteten Review-Manuskripte, Konsenserklärungen und klinischen Richtlinien wurden in der Zeit zwischen diesen beiden Treffen in einer monothematischen Fachbeilage zum European Journal of Oral Implantology (2012, 1 supplement: 1–106) veröffentlicht.

 

Hauptsächliche Ursachen für den marginalen Knochenverlust

Die AG konnte eine Reihe möglicher Ursachen für den marginalen Knochenverlust identifizieren, die sich in zwei Gruppen einteilen lassen, je nachdem, ob sie schon bald nach der Implantation eine Rolle spielen oder erst nach (sehr) viel längerer Zeit auftreten.

 

Unter den Ursachen, die zu einem Verlust an randständigem Knochen schon bald nach der Implantation führen, ist das chirurgische Trauma (durch Überhitzen oder zu starke Kompression des umgebenden Knochens) gut dokumentiert. Wie schon Per-Ingvar Brånemark in seinen frühesten Studien zur Osseointegration herausfand, muss man den Knochen unbedingt als lebendes Gewebe behandeln, wenn man unbeabsichtigte Traumen verhindern will.

 

Andere Ursachen für die Knochenresorption sind weniger gut dokumentiert, kommen in der wissenschaftlichen Literatur aber sehr wohl vor und sind unbestritten. Drei Beispiele dazu: (1) Bei Implantaten, die in Kieferknochen mit nur geringem Volumen eingesetzt werden, kommt es oft zu Dehiszenzen, also dem Aufbrechen von Gewebe, was seinerseits zu Resorptionserscheinungen des angrenzenden Knochens führt. (2) Auch wenn nur zögernd hierüber berichtet wird, führen Zementreste unterhalb des Gingivarands meist zu erheblichem Knochenverlust. (3) Auch eine zu tiefe Positionierung von Implantaten kann zu Verluste an randständigem Knochen bewirken.

 

Eine weitere erkannte Ursache von marginalem Knochenverlust, die erst später – mehrere Wochen oder Monate nach dem Eingliedern des implantatgetragenen Zahnersatzes – auftritt, ist die Überlastung der Kauflächen (okklusale Überlastung). In einem solchen Fall müssen die Kauflächen eingeschliffen oder andere biomechanische Interventionen durchgeführt werden, um den Knochen zu stabilisieren.

 

Der verbreitete Wunsch zu einer ästhetischen – oder gar kosmetischen – Optimierung führt neuerdings öfter dazu, dass der Implantataufbau, das Abutment, mehrfach abgenommen und wieder aufgesetzt wird. Auch die dadurch auftretende Störung des Weichgewebeverschlusses kann zu Knochenverlust führen.

 

Gleiches gilt für eine unzureichende biologische Breite. Die Besiedlung von Implantatoberflächen mit bakteriellen Biofilm wird mit chronischen Entzündungen der marginalen Gewebe und nachfolgenden Knochenverlust in Verbindung gebracht. Hierauf ist die richtige Reaktion eine ordnungsgemäße Mundhygiene. Korrosionserscheinungen im Kontaktbereich zwischen Implantat und Abutment sind kaum dokumentiert, bilden jedoch eine weitere vermutete Ursache für Knochenresorption.

 

Notwendige Schritte

Da alle diese ätiologischen Faktoren durch systemische oder lokale Erkrankungen gefördert werden können, schlägt die AG als Präventionsmaßnahme eine umfassende multidisziplinäre Behandlungsplanung zur Sanierung des gesamten Mund- und Rachenraums vor. Vor dem chirurgischen Eingriff müssen Nikotinmissbrauch und Parafunktionen behandelt werden.

 

Um den marginalen Knochen langfristig erhalten zu können, sollte die Mundhygiene insbesondere bei Patienten mit einer Neigung zu parodontalen Entzündungen überwacht werden.

 

Es ist möglich, dass stark aufgeraute Implantatoberflächen (wie die inzwischen weitgehend aufgegebenen mit Titanplasma beschichteten) das Auftreten von Entzündungen um das Implantat herum (Periimplantitis) begünstigen. Es gibt jedoch noch nicht genug Untersuchungen darüber, welche anderen Arten von Implantatoberflächen – wenn überhaupt – mit dem marginalen Knochenverlust in Verbindung gebracht werden können. Der Stichprobenumfang in der einzigen Studie zu experimentell induzierter Periimplantitis in Hunden – die sich diesem Thema aus labortechnischer Richtung zu nähern versuchte – gilt als zu klein, als dass sich daraus gültige Rückschlüsse ziehen ließen.

Noch zu lösende methodische Fragen

Die gemessene Häufigkeit der Periimplantitis hängt davon ab, mit welchem Grenzwert die jeweilige Definition für einen pathologischen progressiven marginalen Knochenverlust arbeitet. Wenn man beispielsweise einen Grenzwert von 2 mm anstelle von 3 mm wählt, verschiebt sich das statistische Ergebnis drastisch.

 

Bei den derzeit im Handel erhältlichen Implantatsystemen schwankt die Häufigkeit der Periimplantitis auf Patientenebene zwischen 5 und 20 %, während sie auf der Ebene des einzelnen Implantats selbst nach 10 Jahren unter 5 % liegt. Es ist darauf hinzuweisen, dass Rauchen die Häufigkeit von Periimplantitis erheblich erhöht. In einer aktuellen Studie lag die Häufigkeit von Periimplantitis bei Rauchern mit Parodontitis in der Vorgeschichte auf Patientenebene bei über 50 %, bei Nichtrauchern dagegen nur bei unter 3 %. Bei Nichtrauchern ohne Parodontitis in der Vorgeschichte und guter Mundhygiene nach der Behandlung wurde gar keine Periimplantitis festgestellt.

 

Wahl einer gemeinsamen Ausgangsposition

Untersuchungen zum marginalen Knochenverlust arbeiten derzeit mit unterschiedlichen Definitionen für die Ausgangsposition, was den Vergleich erschwert, wenn nicht gar unmöglich macht. Die Wahl der Ausgangsposition ist eine wichtige methodische Frage. Der marginale Knochenverlust während der Einheilphase nach der Implantation sollte von später auftretendem Knochenverlust unterschieden werden.

 

Die AG legt den Autoren zukünftiger Untersuchungen (klinischer Studien) zur Sofortbelastung von Implantaten nahe, als Ausgangspunkt für die Messung von Knochenhöhen Röntgenbilder zu verwenden, die frühestens drei Monate nach der Implantation angefertigt wurden. Anderenfalls ist ein Vergleich mit Studien zur verzögerten Implantatbelastung, bei der als Ausgangspunkt der Betrachtung normalerweise die Situation bei Eingliederung des Zahnersatzes gilt (normalerweise mehrere Monate nach der Implantation), nicht möglich.

Der marginale Knochenverlust kann zur Vertiefung von Parodontaltaschen führen, in die anschließend parodontale Keime einwandern. Die Periimplantitis, wie sie aktuell beschrieben wird, kann Folge eines Verlusts von randständigem Knochen sein, für die es viele unterschiedliche ursächliche Faktoren gibt (siehe die oben beschriebenen möglichen Ursachen). Aus klinischer Sicht ist es von entscheidender Bedeutung, im Einzelfall die tatsächliche Ursache, die richtige Ätiologie, zu ermitteln.

 

Behandlung

Was die Behandlung der Periimplantitis betrifft, so ist Konsensmeinung in der AG, dass Lappenoperation zur Dekontamination der Implantatoberfläche zu befürworten sind. Es gibt viele unterschiedliche dokumentierte Möglichkeiten, diese Dekontamination zu erreichen: Spülung mit Kochsalzlösung, mechanische Reinigung (Debridement) und Er:YAG- Lasertherapie. Alle diese Möglichkeiten erscheinen gleichermaßen wirksam. Eine mechanische Langzeitabgabe von Antibiotika der Tetracyclin-Gruppe als Ergänzung zum mechanischen Debridement kann der Periimplantitis Einhalt gebieten. Andererseits fehlen schlüssige Beweise für den Nutzen einer systemischen Antibiotikatherapie.

 

Zu beachten ist, dass sich unabhängig von der gewählten Behandlungsform bei den meisten Periimplantitis-Läsionen kein voller Behandlungserfolg einstellt.

 

Ausblick

Die AG hat Vorschläge zu klinischen Richtlinien auf der Grundlage der durchgeführten umfangreichen multidisziplinären Literatursichtung gemacht. Alle vorgeschlagenen Therapieansätze basieren auf soliden wissenschaftlichen Daten und nicht auf begrenzten Beobachtungen oder anekdotischen Berichten. Sie wurden – wie berichtet – im European Journal of Oral Implantology (2012, 1 supplement: 1–106) veröffentlicht.

Zur umfassenden Versorgung eines Patienten gehören sowohl prophylaktische Maßnahmen als auch Maßnahmen zur langfristigen Sicherung des Behandlungserfolgs.

Für manche Implantattypen wurde über eine stabile Knochenhöhe auch noch nach 10 oder mehr Jahren berichtet. Dies ist zwar eine gute Nachricht, aber in Berichten über durchschnittliche Knochenhöhe könnten klinisch relevante »Ausreißer« sofern vorhanden, unbeachtet bleiben.

Es bleibt noch sehr viel Arbeit zu tun. Unbedingt benötigt werden prospektiven randomisierte klinische Untersuchungen zur Prävalenz und relativen Bedeutung unterschiedlicher Ursachen für Knochenverlust und geeignete Gegenmaßnahmen. Dies ist ein Gebiet, das sehr viel mehr klinische und wissenschaftliche Aufmerksamkeit verdient.

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