Ästhetik Ist die notwendig bzw. wirtschaftlich (SGB V)?

Ästhetik

Ist die notwendig bzw. wirtschaftlich (SGB V)?

Bei der Ökonomisierung des Gesundheitswesens und den vom Gesetzgeber gewollten Beschränkungen auf „notwendige“ Behandlungen stellt sich die Frage, was denn nun „notwendig“, ausreichend“(!) und gar „wirtschaftlich“ sei.

In den Richtlinien findet sich, ebenso wie in anderen Unterlagen, wie BEMA etc., keine Definition. Auch bei den wissenschaftlichen Gesellschaften finden sich keine klaren Aussagen. Man kann höchstens anhand von Indizien Vermutungen anstellen: nachdem der B EMA Seitenzahnverblendungen ab Prämolar 2 im OK und Prämolar 1 im UK als „Privatleistung“ definiert kann man im Umkehrschluss annehmen, dass zahnfarbene Verblendungen zumindest bei den Frontzähnen als „notwendig“ anzusehen wären. Zahnfarbene Verblendungen an Frontzähnen erfüllen also nach den gemeinsam von Zahnärzten und Kassen ausgehandelten Verträgen die notwendigen Kriterien einer als ausreichend empfundenen Ästhetik.

Die Rechtsprechung hat auch bei den Privatversicherungen bzw. privat Versicherten Begriffe des SGB V übernommen, so dass auch hier dem Anspruch auf maximale Ästhetik zahnärztlicher Restaurationen enge Grenzen gesetzt wurden. Deshalb scheint es schon bedeutsam sich der Sache begrifflich zu nähern – denn: wer „nicht notwendige“ Behandlungen zu Lasten der Versicherung durchführt, handelt „unwirtschaftlich“ und riskiert, in Regress genommen zu werden. Das SGB V ist da knallhart – „nicht notwendige Leistungen dürfen vom Versicherten nicht verlangt, vom (Zahn)Arzt nicht erbracht und von der Krankenkasse nicht bezahlt werden“. Wie das umgesetzt werden soll, dazu schweigt der Gesetzgeber, das müssen die Vertragspartner (Kassen und (zahn)ärztliche Spitzenverbände) sowie die Gerichte klären. Also müssen wir uns Gedanken machen, um nicht in eine Falle zu rennen.

Das „notwendige Maß“ – wie finden wir es? Was ist „notwendige“ Ästhetik und was „Kosmetik“, die von keiner Versicherungsleistung erfasst bzw. gedeckt ist?

Ästhetik ist den obigen Ausführungen gemäß nicht wirklich definiert, zumindest nicht in der GKV. Hat ein Versicherter Anspruch auf Ästhetik, ja oder nein? Und, kann das Verlangen des Versicherten als berechtigt, also den Richtlinien entsprechend, angesehen werden, oder wäre das, was der Patient möchte, als Kosmetik und damit nicht als GKV-Leistung anzusehen?

Es ist also wichtig den Begriff Ästhetik irgendwie zu definieren und abzugrenzen von „Kosmetik“. Hier soll einmal ein Versuch dazu gewagt werden.

Eigentlich liegen die Begriffe ja gar nicht so weit auseinander.

Der Begriff Ästhetik ist abgeleitet vom griechischen „aísthesis“ und bedeutet „Wahrnehmung“. Diesen Begriff „Ästhetik“ hat der deutsche Philosoph Alexander Baumgarten geprägt, der sich in  einem  zweibändigen, unvollendeten Werk „Aesthetica“ (1750-58) mit Fragen von Schönheit und sinnlicher Wahrnehmung beschäftigt hat und versuchte, eine systematische, theoretische Basis zu finden. Baumgarten definiert  Ästhetik als die „Wissenschaft der sinnlichen Erkenntnis“, darauf basiert die philosophische Teildisziplin der „Ästhetik“  im Sinne der Wahrnehmung von Schönem, Vollkommenem, Erhabenem.

Kosmetik (abgeleitet vom altgriechischen κοσμετικός kosmetikós, bzw. κοσμέω kosméo „ordnen“, „schmücken“) bezeichnet die Körper- und Schönheitspflege, bzw. die Erhaltung, Wiederherstellung oder Verbesserung der Schönheit des menschlichen Körpers.

Ästhetik und Kosmetik sind also zwei Seiten ein und derselben Medaille: es wird Schönheit angestrebt. Dabei ist Ästhetik etwas präziser, denn, hier wird bereits vom Begrifflichen eine  Definition bestimmt durch eine Empfindung (Wahrnehmung), was ästhetisch sei oder nicht. Damit ist der Begriff jedoch relativ geworden – Mode und Zeitgeist bestimmen das, was von einer Mehrheit als „ästhetisch“ angesehen wird. War es im Barock z.B. ästhetisch eine möglichst große Leibesfülle aufzuweisen (denken wir nur an die Engelsbilder in der Kunst der damaligen Zeit, die möglichst fette Kinder zeigten), so findet eine Mehrheit heute „Fette“ unästhetisch, man betrachte nur die Models („Hungerhaken“), die zum Inbegriff von „Schönheit“ geworden sind.

In Brasilien mit der etwas anderen Kultur werden dicke Hinterteile bei Frauen als höchst ästhetisch angesehen, was dazu geführt hat, dass Frauen ein Vermögen dafür ausgeben, von plastischen Chirurgen ein möglichst fettes Sitzfleisch verpasst zu bekommen. In den westlichen Ländern verdienen Kosmetikkünstler unter den Chirurgen viel Geld durch Vergrößerung der Oberweite, weil dies momentan als besonders ästhetisch angesehen wird.

Ästhetik ist also relativ, abhängig vom Auge des Betrachters, und ist Modeerscheinungen unterworfen.

Können wir nun Kosmetik davon begrifflich abtrennen? Keinesfalls, da ja Kosmetik genau dies tut: es wird versucht, durch Eingriffe etwas „ästhetischer“ zu machen.

Kann man daraus etwas für die tägliche Arbeit ableiten, können wir die philosophischen Deutungen ummünzen in Empfehlungen für das Therapieprotokoll für unsere Patienten?

In Ermangelung klarer Richtlinien können wir die Begrifflichkeiten eventuell so abhandeln:

Eine Behandlung sollte nicht ausdrücklich das Gegenteil von Ästhetik anstreben – Hässlichkeit -, andererseits scheint es wohl so, dass rein kosmetische Behandlungen im Allgemeinen nicht als Sachleistung in Sinne des SGB V angeboten werden dürfen.

Problematisch kann es werden, wenn die Psyche der Patienten eine Rolle spielt (und das tut sie ja immer). Es kann sein, dass körperliche Merkmale echtes Leiden verursachen, und dies führt dann wieder zu Ausfallzeiten in der Produktivität. Insbesondere bei Heranwachsenden baut sich ein großer Druck auf, „uniform“ auszusehen, und alleine eine kleinere Körbchengröße des BH kann Tragödien auslösen.

Es gilt also abzuwägen, ob eine vom Patienten nachgefragte Behandlung noch vom SGB V gedeckt ist oder bereits ein Ansinnen auf eine „nicht notwendige“ kosmetische Behandlung vorgebracht wird.

Dass z.B. die banale Zahnreinigung ein Zwitter ist, liegt auf der Hand. Die PZR dient für uns Zahnärzte der Prophylaxe, also der Vorbeugung vor Zahnkrankheiten. Für Patienten reduziert sich die PZR meist darauf, „schöne weiße Zähne“ haben zu wollen. Immerhin, die PZR können wir noch im weitesten Sinne als medizinisch indiziert ansehen – das Bleaching, also die künstliche Aufhellung, hat jedoch nur noch ein Ziel: den aktuellen Zahnzustand zu „verschönern“, wobei man da durchaus unterschiedlicher Auffassung sein kann, ob schneeweiße Zähne bei einem 50-jährigen als „schön“ aufzufassen sind. Der Schönheitswahn hat ja sogar dazu geführt, dass die Farbskalen weg von der Natur hin zu einem vollkommen unnatürlichen Weiß angepasst werden mussten (nicht mehr A1 ist die hellste Farbe, da hat man noch was weißeres erfinden müssen!).

Ist jetzt das Bleaching keine Versicherungsleistung, so ist zu fragen, ob eine Versorgung mit Veneers oder Kronen mit dem einzigen Zweck, hellere Zähne zu schaffen, eine Versicherungsleistung sein kann – natürlich nicht, ist zu antworten. Da jedoch ein starker Druck seitens Patienten/Versicherten aufgebaut wird, werden doch zahlreiche Zahnärzte schwach und kommen dem Ansinnen der Patienten nach, mit prinzipiell rechtswidrigen Begründungen bzw. Diagnosen: da wird der natürlich dunkle Alterszahn als „erkrankt“ im Befund eingetragen mit dem einzigen Ziel, dem Patienten eine als Sachleistung günstige kosmetische Behandlung angedeihen zu lassen (meistens als „Sixpack“ beantragt und abgerechnet). Die Kassen beteiligen sich (noch) an dem Betrug, denn als solcher ist diese Vorgehensweise zu werten, um einfach Ruhe vor den quengelnden Versicherten zu haben und genehmigen entsprechende Anträge. So leicht kann man es sich als Zahnarzt aber nicht machen – die Kassen reden sich ganz schnell raus, und die ganze Haftung bleibt beim Zahnarzt.

Analog gilt die Beurteilung auch in der Füllungstherapie. Die Ablehnung des Amalgam hatte – Ausnahmen mal abgesehen – nie echte gesundheitliche Bedenken zur Ursache. Amalgam wurde als „unästhetisch“ angesehen und durch „weiße“ Füllungen ersetzt. Starkes Indiz für diese Auffassung dürfte die parallele Ablehnung von Gold-Inlays sein – die Leute wollen eben schöne weiße Zähne!

Also ist zu folgern dass weiße Füllungen keine Kassenleistungen sind bzw. sein dürfen, und insbesondere die „Amalgamsanierung“ (also der Tausch von suffizienten Amalgamfüllungen gegen Kunststoff) verstößt gegen die Richtlinien des SGB V sowie des BEMA und führt im Prüfungsfall zum Regress. Bei der Einzelfallprüfung werden die Unterlagen genauer angeschaut, und wenn intakte Amalgamfüllungen durch andere ersetzt werden (Röntgenbilder verraten da eine ganze Menge!), dann kann das leicht dazu führen, dass eine „Unwirtschaftlichkeit“ festgestellt wird, mit der Folge eines heftigen Regresses.

Also, fassen wir zusammen: Ästhetik/Kosmetik ist keine Versicherungsleistung bzw. in nur sehr eingeschränktem Masse und muss den Patienten „privat“ angeboten und berechnet werden. Hilfreich wäre dabei zweifellos der rechtliche Hinweis, dass eben die Gesetzeslage so ist und man da auch nichts daran ändern könne. Informationsblätter können (gespickt mit Gesetzespassagen bzw. Auszügen aus den RiLis) dabei eine wertvolle Hilfe sein. Und was man eben nie vergessen darf: natürlich möchten die Patienten alles ohne Eigenbeteiligung haben („wofür bin ich denn in der Krankenkasse?“), nur, mit dem Risiko bleibt der Zahnarzt ganz alleine, und dagegen kann man sich nicht absichern, es sei denn, man hält sich an die Regeln…

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