zahnmedizinische Prophylaxe ein Leben lang

Prophylaxe

Keine Frage von Gesundheit, sondern von Lebensqualität

Es wird viel zu viel und oft argumentiert, Prophylaxe, insbesondere zahnmedizinische Prophylaxe, führe zu mehr Gesundheit. Laien schließen dann aus solchen (falschen!) Aussagen, mehr Gesundheit müsse zwangsläufig zu niedrigeren Kosten führen. Nehmen die Ausgaben im Gesundheitswesen jedoch weiter zu, so können daran ja nur die (Zahn)Ärzte schuld sein, und dann wird gnadenlos gekürzt und budgetiert. Selber schuld, kann man folgern, hätte man sich eben nicht so angeberisch und falsch verhalten und Versprechungen avisiert, die nie und nimmer einzuhalten sind. Aus dem Dilemma kommt man nicht mehr heraus, es sei denn, man fände auf den Weg der Wahrheit zurück.

Was wäre dann die Wahrheit?

Prinzipiell kann kein Arzt ein „Mehr“ an Gesundheit bewirken, sonst würden die Menschen ewig leben. Der Tod, das natürliche Ende allen Lebens, ist stets ein Folge einer Krankheit (wenn wir den gewaltsamen Unfall-  oder Homizid bzw. Suizidtod ausnehmen wollen). An Gesundheit stirbt niemand. Was die moderne Medizin jedoch bewirken kann, ist eine Ausdehnung der Lebensspanne – die gestiegene Lebenserwartung ist, neben den verbesserten Lebensbedingungen, primär der ärztlichen Kunst zuzuschreiben. Nochmal anders herum: die Medizin hält kranke Menschen am Leben, die ohne ärztliche Kunst versterben würden. Ohne Medizinbetrieb würde die Lebenserwartung ganz rasch wieder dorthin zurückfinden, wo sie vor der Zivilisation mit der Entwicklung moderner Medizin, angefangen hat: da hatte man eine durchschnittliche Lebenserwartung von 20 bis 30 Jahren (abhängig von der Region). Bessere Ernährung, wie häufig angeführt, führt zwar zu mehr Gesundheit und längerem Leben, jedoch kann man sehr gut beobachten, dass sich die Menschen in den reichen Ländern eher minderwertig als besser ernähren – zumindest die große Masse. Hier kämpfen Ärzte an einer zweiten Front, sie müssen die Folgen der Fehlernährung (Adipositas mit all den drastischen Folgekrankheiten, wie Diabetes, Skeletterkrankungen, Hypertonie, Zahnerkrankungen – insbesondere Karies ist ja eine typische Zivilisationskrankheit wegen Fehlernährung -, cardiale Probleme, usw.) mit großen Aufwand und massivem Einsatz von Pharmaka bekämpfen, ohne je ein Wort des Lobes oder der Anerkennung dafür zu erhalten. Ohne Ärzte würden die vielen (weit mehr als 50 Prozent der Bevölkerung) chronisch Kranken (Übergewicht ist eine chronische Krankheit!) eine noch kürzere Lebenserwartung haben als im Mittelalter.

Dass ein gutes Gesundheitswesen die durchschnittliche Lebenserwartung deutlich ausdehnen kann haben insbesondere die Deutschen nach der Wiedervereinigung erlebt: trotz deutlich besserer Ernährung (!) hatten die Menschen der DDR eine weit geringere Lebenserwartung als ihre Verwandten in der BRD. Nur das dann gesamtdeutsche Gesundheitswesen nach der Wende kann als Grund für die inzwischen angeglichene Lebenserwartung ernsthaft diskutiert werden.

Die Ausdehnung der zu erwartenden Lebensspanne hat auch gleichzeitig einen höheren Lebensstandard bewirkt – wie das? Nur durch gute Ausbildung lässt sich eine solche hohe Wertschöpfung und Produktivität erreichen wie wir sie in den hochzivilisierten Ländern haben. Wenn der Mensch schon zum Ende der Ausbildungszeit stirbt, kann er/sie sein/ihr Wissen weder zum Vorteil aller (der Gesellschaft) nutzen noch weitergeben. Wir haben heute eine produktive Zeit von 50 und mehr Jahren zur Verfügung, das ist gegenüber einer produktiven Lebenserwartung von 25 – wie das im Mittelalter durchaus normal war, da wurden ja auch Kinder in den Produktionsprozess einbezogen – eine doppelt so lange „nützliche“ Zeit (betrachten wir das Individuum einmal von der soziologischen  Seite aus und beurteilen den „Wert“ als den, der durch Arbeit für die Gesellschaft bedingt ist). Wir lernen heute so lange, wie die Menschen früher insgesamt an Lebenszeit hatten. Nicht alle, jedoch die hochproduktiven Mitglieder der Gesellschaft. Das bedeutet, unsere Wissensgesellschaft, auf der all die Annehmlichkeiten  des täglichen Lebens basieren, wäre ohne Ärzte nicht existent, es gäbe sie nicht. Um Wissen anzusammeln, zu nutzen und weiterzugeben brauchen  wir Zeit, viel Zeit!

Also bringt die Medizin viel mehr ein als sie kostet, kann man leicht anhand von Modellrechnungen bzw. Vergleichen mit weniger zivilisierten Gesellschaften nachweisen. Daneben dürfen wir einen wesentlichen Aspekt nicht vergessen: als angenehme Nebenerscheinung gewinnen die Menschen ein deutliches Mehr an Lebensqualität.

Dies gilt ebenso für die Zahnheilkunde. Munderkrankungen dürfen nie isoliert als ausschließlich lokales Geschehen betrachtet werden. Wir wissen, dass zahlreiche Munderkrankungen (z.B. die Parodontitis) gravierende Auswirkungen auf den Gesamtorganismus haben – schließlich sind Zähne und Mundhöhle ja kein isolierter Körperteil, sie sind im Gegenteil sehr eng mit dem Körper verbunden, denken wir nur an die starke Durchblutung (eine Infektion in der Mundhöhle breitet sich mit rasender Geschwindigkeit über die Blutbahn überall hin aus), und als Eingangspforte des Magen-Darm-Trakts kommt der Mundöffnung und Mundhöhle samt Anhangsgebilden ein hoher Rang zu, höher jedenfalls als der Austrittstelle…

Bei Erkrankungen der Mundhöhle (einschließlich Zähne) tritt auch ein bedeutender Verlust an Produktivität auf – der betroffene Mensch arbeitet nicht oder weniger -, dies ist in die gesamtwirtschaftliche Rechnung aufzunehmen.

Zieht man so einmal ehrlich Bilanz, so ist alles Geschwätz von „der Gesundheitsbetrieb ist zu teuer“ dumm und zeugt von großer Unwissenheit. Teuer im Sinne einer gesamtwirtschaftlichen Rechnung wäre (und ist) es, da sparen zu wollen, wo die Grundlagen der Überflussgesellschaft überhaupt erst geschaffen werden – also im Medizinbetrieb.

Prophylaxe = mehr Lebensqualität

Prophylaxe – egal in welchem Teilbereich der Medizin – kann keine „Gesundheit“ schaffen, sie schafft aber

  • Höhere Produktivität
  • Mehr Leistung
  • Längere Lebenszeit
  • Mehr Lebensqualität

und: Prophylaxe ist zwar wirtschaftlich (weil in der gesamtwirtschaftlichen Kosten-/Nutzen-Rechnung positiv), ist aber konkret für die direkten Ausgaben im Gesundheitssystem eher kostentreibend als –sparend.

Lebensqualität lässt sich nur schwer beziffern, es gibt dafür keine rechnerischen Modelle. Man kann lediglich spekulieren: mindere Lebensqualität kann zu psychischen Störungen führen, zumindest wird ein Mangel an Lebensqualität häufig von Hilfesuchenden beim Psychotherapeuten als Grund für Lebenskrisen angegeben. Weiter könnte man überlegen, dass psychische Störungen nicht unerhebliche Kosten auslösen: die Psychotherapie bzw. die Therapie psychischer Erkrankungen ist mittlerweile im Ranking weit nach oben gerutscht und nimmt aktuell Platz drei unter den Kostenblöcken ein. Und, psychische Erkrankungen führen auch zu langen Ausfallzeiten, was wiederum in der gesamtwirtschaftlichen Kostenrechnung zu Buche schlägt. Wer nicht arbeitet und Lohnersatzleistungen bezieht muss als Negativposten berechnet werden.

Also kann man folgern, dass Lebensqualität nicht  nur emotional, sondern auch ganz rational etwas Positives ist. Es sind lediglich alle Faktoren in die Rechnung einzubeziehen.

Die einseitige Ökonomisierung des Gesundheitswesens, die von Politik und Kassen über Jahrzehnte rücksichtslos und ohne Beachtung o.a. Gesichtspunkte betrieben wird, steht jedoch im krassen Gegensatz dazu. Prophylaxe ohne konkrete Einsparungsergebnisse im Gesundheitsbetrieb wird abgelehnt. Dies leider nicht nur in der Zahnheilkunde, dies gilt ganz allgemein. Prophylaxe wird nur dann als sinnvoll angesehen, wenn die Gesamtausgaben dadurch nicht steigen – was jedoch unmöglich ist. Selbstverständlich bewirkt Prophylaxe eine Steigerung der Ausgaben. Wer z.B. gestorben ist löst keine Kosten mehr aus – wer jedoch lebt und alt wird verbraucht besonders in höherem Alter erhebliche Ressourcen. Dies gilt auch für die Zahnheilkunde: waren die Menschen in diesem Land vor wenigen Jahrzehnten noch mit 50 zahnlose Vollprothesenträger, die billig zahnärztlich betreut und versorgt werden konnten, so finden wir heute sogar 100jährige mit noch eigenen Zähnen. Damit ist die Zahl der Behandlungsfälle über die letzten Jahrzehnte steil angestiegen, die Ausgaben im Sektor Zahnheilkunde sind jedoch nur budgetiert gebunden an die Grundlohnsumme. Damit hat die Zahnmedizin durch die Prophylaxe – die insgesamt eine Erfolgsgeschichte darstellt – mehr Behandlungsbedarf bei geringerer finanzielle Ausstattung geschaffen. Die Menschen, die Patienten, haben dies wohl nachvollzogen und stellen einen stetig wachsenden Anteil ihres Einkommens „privat“ zur Verfügung, sie verlassen sich nicht mehr auf die Leistungen der GKV (Sachleistungen). Aktuell werden mehr als 50 Prozent der Behandlungskosten bereits außerhalb der GKV abgewickelt. Dies ist jedoch nur möglich, weil die Patienten nach mehr Lebensqualität verlangen als ihnen von der GKV zugestanden wird.

Lebensqualität kann gemessen werden – dazu gibt es die Messgröße „mundbezogene Lebensqualität“, die deutsche Form der Original „Oral Health related Quality of Life“, die in Kanada und USA seit 1950 regelmäßig erhoben wird.

Diese Messgröße misst subjektive Parameter, wie Wohlbefinden, Schmerzen, Angstzustände, usw. Der Besuch zur regelmäßigen Prophylaxe ist bei den meisten Patienten mittlerweile nicht Angstbesetzt, der PZR-Termin wird wahrgenommen wie der Termin bei der Kosmetikerin oder der Maniküre oder beim Frisör. Die finanzielle Abwicklung entspricht ebenso. Allerdings gibt es – leider – eine Gruppe Menschen, die hier noch außerhalb steht. Es gibt zahlreiche Untersuchungen dazu: Ungebildete, Migranten, Menschen mit niederem Sozialstatus, etwa 20 Prozent der Bevölkerung sind nicht eingebunden. Hier sollte die Motivation nicht über allzu viele rationale Methoden erfolgen, es ist sicherlich erfolgversprechender, das Thema Lebensqualität in den Mittelpunkt zu rücken. Da wir sowieso keine „Gesundheit“ durch Prophylaxe schaffen können wäre dies auch ehrlicher. Lebensqualität, das ist für diese Subpopulation des fette Auto, die teure Zigarettenmarke, das Zeigen von Statussymbolen allgemein. Sie sind deshalb viel eher erreichbar, wenn wir ihnen Zähne als Statussymbol vermitteln – denken wir nur daran, dass sich arme Menschen in rückständigen Gesellschaften Goldzähne haben fertigen lassen (Gold ist eben Statussymbol), und auch bei uns war es lange Zeit in Mode, sich Brillianten oder Zirkoniasteine (der Brilli-Ersatz per se) in die Frontzähne einarbeiten zu lassen.

Prophylaxe auf dem Gebiet der Zahnheilkunde sollte von der Gesellschaft aktiv gefördert werden: dazu gibt es gute Beispiele, z.B. die Landesarbeitsgemeinschaften mit der Betreuung von Kindern und Jugendlichen. Leider sind diese aber immer noch nicht in der Realität angekommen. Wir brauchen keine Intensivbetreuung für den Großteil der Menschen, sondern wir müssen uns auf die gesellschaftlichen Randgruppen am unteren Ende konzentrieren. Wir müssen Migranten, Angehörige der sozialen Unterschicht, sehr Alte und Debile ins Zentrum unserer Aufmerksamkeit rücken, soll das Ideal, Gesundheit und Lebensqualität für Alle, umgesetzt bzw. zumindest in Reichweite gerückt werden. Wen wir rational erreichen, der wird selbständig seine Präventionsziele weiterverfolgen. Die Problempatienten, jene 20 Prozent der Bevölkerung, die 70 Prozent der Gesamtausgaben des Gesundheitsbetriebs auslösen, müssen erreicht werden. Die derzeitigen Modelle, so zeigen die Zahlen, sind dafür ungeeignet.

Wie Prophylaxe dort umsetzen wo es nötig ist?

Die Problemgruppen können kaum rational angesprochen werden, sonst hätten ihre Mitglieder ja auch keine Schulprobleme – Schule bzw. Schulerfolg und Intelligenz (ein solider Parameter für rationale Fähigkeiten) korrelieren in hohem Maße. In der Subpopulation werden auch rationale oder geistvolle Themen kaum diskutiert, die Angehörigen dieser Schichten fühlen sich Großteils davon nicht angezogen oder sogar abgestoßen.  Gerne geäußerter Spruch: „Weißte Alter: wozu Schule? Kapier´ ich doch sowieso nicht und brauch´ ich auch gar nicht!“.

Dafür haben Statussymbole in diesen Kreisen einen besonders hohen Stellenwert (denken wir nur an „Manta Manta“, prollig ist bin). Also müssen wir genau da ansetzen: emotionale Inhalte (nicht Gesundheit ist als Ziel zu postulieren, sondern „Status“, „Lebensqualität“, etc.) Lebensqualität ist nicht objektiv, das ist subjektives Empfinden. Das Eingehen auf subjektive Dinge, die sich im Gefühlsleben der Zielgruppe manifestieren, führt zum Erfolg. Wer sich mit dem Milieus vertraut machen möchte, braucht ja nur die gängigen  Fernsehshows zu verinnerlichen: DSDS, Big Brother, Germanys Next Topmodel – da machen sich die Kandidaten zum Volldeppen, nur um mal im Rampenlicht zu stehen. Kann man ja irgendwie transferieren – wenn es „cool“ ist, mal keine schwarzen abgefaulten Zähne zu haben, nicht aus dem Mund zu stinken, usw., dann hat man gewonnen. Und dazu kann man sehr gut den Starkult nutzen, die Subkultur hat ja auch welche – Rapper und Co, spezielle Schauspieler, usw. Wenn man es schafft, bei den bisher prophylaxeunwilligen Patienten den permanent vorhanden Nachahmereffekt auszulösen, hat man gewonnen…

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