Mikroskope in der dentalen Therapie

Mikroskope und Lupenbrillen

Der Einsatz von optischen Vergrößerungsinstrumenten ist in der Medizin nichts wirklich Neues. Pioniere der modernen Medizin, wie Luis Pasteur oder Robert Koch, wären ohne den Einsatz der damals in Mode kommenden Mikroskope nie auf ihre bahnbrechenden Ideen gekommen. Das Mikroskop ist eine typische Errungenschaft der Neuzeit und damit der Aufklärung – das gab es in der Antike nicht und schon gar nicht im Mittelalter. Das fast zeitgleich entwickelte Fernrohr hat ja der Menschheit ebenfalls neue Horizonte eröffnet, und dass die Neuigkeiten nicht gleich mit stürmischer Begeisterung  aufgenommen wurden, auch das ist bekannt. Unrühmliche historisch gut belegte Ereignisse dazu waren die Verbrennung des Giordano Bruno (weil der die Erde unter dem Einfluss der Betrachtung des Alls mittels Fernrohr nicht mehr im Mittelpunkt des Universums sehen wollte) oder in unseren Fachgebiet die jahrelange Diskriminierung des Dr. Robert Koch durch den damaligen Chef der Charité Sauerbruch (berühmt ist die Auseinandersetzung, in der Koch seinen Chef bat, er möge doch durch das Mikroskop durchblicken, um die Kleinlebewesen selbst zu sehen, und dessen Antwort, er müsse das nicht, er wisse ja, dass da nichts sei). Bis die Medizinergemeinde akzeptieren konnte und wollte, dass Krankheiten nicht gottgegeben, sondern (zumindest großteils) durch Infektionen, d.h., durch Eindringen von Kleinstlebenwesen („Mikroorganismen“) in den Organismus, ausgelöst wurden, hat es Jahrzehnte gedauert. So mancher Forscher hat an der vorherrschenden Ignoranz verzweifelt.

Sogar heute noch gibt es Zweifler: Esoteriker stellen die Krankheitsursache „Mikroorganismen“ immer noch infrage, wie wir wissen, und ein ganzer Berufszweig (Heilpraktiker) lebt davon. Die „Schulmedizin“ wird bedeutend kritischer gesehen als „Naturheilkunde“ – Naturwissenschaft ist eben für den Großteil der Bevölkerung etwas Gefährliches weil Undurchschaubares.

Analog können wir die derzeit zögerliche Durchdringung der Zahnheilkunde mit Vergrößerungsapparaten mit solchen Vorbehalten sehen: weshalb soll man denn ein Mikroskop einsetzen, wenn es doch vorher auch ohne gegangen ist? Zumindest die Lupenbrille hat ja den Durchbruch geschafft, die wird heute wohl in der überwiegenden Zahl der Praxen routinemäßig eingesetzt.

In anderen Fachdisziplinen der Medizin ist das Mikroskop hingegen schon lange Realität, vermutlich weil  knifflige Tätigkeiten nicht beim normalen Praktiker (der hat nämlich auch keine Ausrüstung), sondern in Kliniken und Spezialpraxen durchgeführt werden. Die Tätigkeit des „Facharzt für Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten“, abgekürzt „Zahnarzt“, hingegen ist eine „knifflige“ Aufgabe, da kommt es auf Passgenauigkeiten von wenigen Tausendstel mm an, das kann man mit unbewaffnetem Auge einfach nicht leisten.

Während im Dentallabor schon seit Jahrzehnten nur noch mit Mikroskop gearbeitet wird hat dieses bisher nur zögerlich Einzug in die Zahnarztpraxis gehalten. Es ist müßig darüber zu spekulieren, weshalb das so ist – jedenfalls ist festzustellen:

–          Der Einsatz von optischen Hilfsmitteln mit Vergrößerungseffekt ist sinnvoll und notwendig

–          Derzeit werden immer mehr Praxen mit Mikroskopen ausgestattet

Neben der unbestritten sinnvollen Investition aus rein fachlicher Sicht kann ein Mikroskop auch aus Marketinggründen äußerst nützlich sein, man zeigt damit den Patienten, dass „ihr Zahnarzt“ es ernst meint mit seinen Bemühungen um Qualität. Und letztlich ist der gesetzliche Auftrag zu beachten, eine Heilkunde „nach aktuellem Wissensstand“ anzubieten, so will es das ZHK – im Fall eines Zwischenfalls oder einer gescheiterten Therapie kann es problematisch sein, „ohne“ gearbeitet zu haben. Die Gutachter (weil sie müssen!) entscheiden zunehmend gegen Zahnärzte, die sich nicht entsprechend ausgerüstet haben.

Unter dem Sammelbegriff Microdentistry wird die Behandlung am Zahn (kariöse Läsionen mit Füllungen und Zahnersatz), im Zahn (Endodontie) und am Weichgewebe (Parodontologie) sowie in der dentalen Chirurgie (z.B. retrograde Endodontie) unter Zuhilfenahme eines Dentalmikroskops mit 3–25-facher Vergrößerung subsummiert.

Bereits seit Ende der der achtziger Jahre wird das Operationsmikroskop (wie es aus dem Fachbereich HNO bekannt war) auch in der Zahnheilkunde eingesetzt. Danach wurde es laufend für die aktuellen Anforderungen der ZMK-Medizin modifiziert und weiterentwickelt.

Als Pioniere beim Einsatz eines Dentalmikroskop gelten Prof. Dr. Syngcuk Kim (USA) sowie Prof. Dr. Richard A. Rubinstein (USA), die die erste Wurzelspitzenresektion unter dem Dentalmikroskop durchführten. Als weitere Pioniere sind Clifford Ruddle (USA), Dennis Shanelec (USA) und Glenn van Ass (Kanada) genannt (Wikipedia).

In USA wurde schon früh die Endodontologie als eigene Spezialdisziplin mit einem 5-jährigen Weiterbildungscurriculum etabliert. Der Endodontist gilt als der bestverdienende Dentalspezialist in der Vereinigten Staaten. Seit etlichen Jahren ist der Endodotologe auch in Deutschland anerkannter Spezialist mit Ausbildungscurriculum und Abschlussprüfung.

Jedoch kann und soll das OP-Mikroskop nicht nur dem endodontisch tätigen Zahnheilkundler hilfreich sein, auch die Nutzung bei ZE-Herstellung und Weich- und Knochengewebs-Operationen ist unbestritten sinnvoll, nebst Anwendungen in der Parodontologie.

Leider hat die Novellierung der GOZ die zaghaften Fortschritte großteils wieder abgeblockt, da die vorgesehene Gebührenziffer „Einsatz des OP-Mikroskops“ so krass unterbewertet ist dass es aus wirtschaftlicher Sicht unsinnig wäre, ein Mikroskop anzuschaffen. Bisher gelang es ja gut über die Analogberechnung die Kosten weiterzugeben. So wird auf absehbare Zeit die Zahl an Neuanschaffungen auf ein geringes Maß zurückgehen, bis Wege der Finanzierung gefunden sind. Hier sind Gerichte gefragt, die Korrekturen an unsinnigen und kontraproduktiven Regelungen der GOZ 2012 vornehmen können (wie dies z.B. hinsichtlich der Kosten für Implantatfräsen in 2002 vom BGH bereits für die GOZ ´88 vorgelegt worden ist). Es ist einfach unmöglich unter dem Kostensatz zu arbeiten, das haben auch die Richter am BGH gesehen.

Mikroskope in der Endodontologie

Die möglichweise bedeutendste Innovation in der Endo-Therapie ist die Einführung des Mikroskops. Bei der retrograden Endo-Behandlung liegt die Erfolgsrate nach Literaturangeben bei etwa 50 bis 75 Prozent. Operiert man jedoch mit Hilfe des Mikroskops und füllt mit EBA bzw. S

uper-EBA Zement ab, so wird eine deutlich raschere Heilung sowie eine deutlich erhöhte Erfolgsrate berichtet (Prof. Dr. Richard A. Rubinstein in JADA). „Die Durchführung von Wurzelspitzenresektionen mit Hilfe des Dentalmikroskopes hat zu einer wesentlichen Qualitätsverbesserung sowie einer klaren Vorhersagbarkeit des Therapieergebnisses geführt. Der Zahnerhalt ist, bei der Entfernung

abgebrochener Instrumente oder der Abdichtung von Perforationen, dadurch erst möglich. Die bis zu

25fache Vergrößerung mit dem Dentalmikroskop bedeutet eine in höchstem Maße verbesserte Sicht

für das menschliche Auge, und ermöglicht dadurch die bestmögliche noninvasive Diagnose und minimalinvasive Therapie“( Dr. Thorsten Jahn, Konstanz).

Die bessere Sicht auf das OP-Feld lässt einen zielführenden optimalen Abtrag des apikalen Zahn-Anteils zu und erlaubt eine präzise Präparation der apikalen Kavität sowie die perfekte retrograde Füllung mit dem Ergebnis deutlich verbesserter Erfolgswahrscheinlichkeiten, so die Autoren.

Jedoch schon bei der orthograden Endo-Therapie erweist sich der Einsatz des Mikroskops als überlegen. In angelsächsischen Ländern mit ihrem weitgehend freiheitlichen Gesundheitssystem (USA, Australien) können die Kosten der Investition leicht weitergegeben werden, mit der Folge einer auch statistisch nachweisbaren hohen erfolgsrate, die bei etwa 90 Prozent und darüber liegt, während in Deutschland bei meist nur mit unbewaffnetem Auge vorgenommenen Endo-Behandlungen die Erfolgsrate der Literatur gemäß bei nur etwa 50 bis 60 Prozent liegt. In Spezialpraxen für Endodontologie, die nur noch nach freier Vereinbarung (nach §2 GOZ) abrechnen und sich deshalb eine gute Ausrüstung leisten können, wird der Spitzenwert von über 90 Prozent Erfolgsrate dann ebenso wie international angegeben erreicht. Damit kann eine retrograde Endo-Behandlung weitegehend vermieden werden, die nach aktueller Empfehlung der Wissenschaft nach der orthograden Therapie nur zweite Wahl ist. Sogar dann, wenn eine Wurzelfüllung Bereits vorliegt und eine apikale Veränderung erkennbar ist gilt, dass die orthograde Revision erste Wahl wäre.

Befasst man sich mit möglichen Ursachen eines Fehlschlags, so ist besonders häufig das Vorliegen eines oder mehrerer unentdeckter Wurzelkanäle, nebst Instrumentenfraktur und unvollständiger Wurzelfüllung.

Das Mikroskop kann weder Fraktur noch unvollständige Füllung verhindern, jedoch sollte es damit möglich sein, alle Wurzelkanäle sowie deren eventuell ungünstige Form eindeutig zu identifizieren. Dies ist ein nicht unerheblicher Fortschritt und sollte nach Möglichkeit genutzt werden.

Kariesdiagnostik und Füllungstherapie

Weniger bekannt ist der Einsatz des OP-Mikroskops in der Diagnostik von Hartgewebsdefekten. Ein spezielles Problem stellt dabei die Fissurenkaries dar:  eine bloße Verfärbung muss nicht invasiv behandelt werden, eine Initialkaries kann mit Hilfe der Versiegelung dauerhaft therapiert werden – jedoch ist der Einsatz der Sonde hier fraglich. Wendet man Druck an, so provoziert der Untersucher den Einbruch der Deckschicht (bei Initialkaries) und setzt so Schäden, die dann invasiv behandelt werden müssen. Das Mikroskop erlaubt nun minimal invasiv vorzugehen, indem eine Differentialdiagnostik möglich wird, ohne die Sonde substanzschädigend einzusetzen.

Weiterhin kann das Dentalmikroskop bei allen Zweitversorgungen (Redentistry), wertvolle Hilfe bieten. Randspalte können von Verfärbungen unterschieden werden, die problematische Abgrenzung Zahnsubstanz/zahnfarbenes Füllungsmaterial wird durch das Mikroskop deutlich erleichtert.

Auch bei der Randgestaltung der Präparationsgrenzen wird eine besondere Präzision erreichbar, beispielsweise kann der für eine adhäsive Füllungsverankerung geforderte Bevel mit Hilfe des Mikroskops kontrolliert werden, was für das bloße Auge kaum mehr möglich ist.

Damit wird das Therapieergebnis entscheidend verbessert.

Zahnersatz

Was für Füllungen gilt, gilt auch verstärkt für die Anfertigung von Zahnersatz. Der stets erforderliche Bevel am Rand der Präparation kann mit dem OP-Mikroskop kontrolliert werden, was wie bei der Füllungstherapie mit unbewaffnetem Auge schwierig bis unmöglich ist.

Auch die Passgenauigkeit von extraoral hergestelltem Ersatz, wie Inlays und allen Formen der Kronenversorgung kann kaum ohne Mikroskop in der geforderten Präzision umgesetzt werden.

Es wäre ja auch widersinnig, wenn der Zahntechniker unter dem Mikroskop hochpräzise passenden Ersatz herstellt und dann der Zahnarzt am Behandlungsstuhl dieses Niveau nicht halten könnte.

Parodontologie

Die Parodontalchirurgie ist im Prinzip eine mikrochirurgische Disziplin – je präziser z.B. die Konditionierung der gereinigten Wurzeloberflächen gelingt, Membranen eingebracht und positioniert sowie Parodontalnähte gelegt werden können, desto höher die Erfolgswahrscheinlichkeit. Auch die Kontrolle der Maßnahmen gelingt mit Hilfe des OP-Mikroskops viel besser, und letztlich hat sich die Parodontologie ja auch mit den Spätfolgen der Implantation, der Periimplantitis, in zunehmendem Maße auseinanderzusetzen. Alleine die Dekontamination der Gewindegänge von Implantaten gestaltet sich enorm schwierig, da hilft es, wenn man besser sehen kann was man tut.

Fazit

Der Einsatz von Dentalmikroskopen ist eine sinnvolle und nützliche Maßnahme, die eine deutliche Verbesserung der Erfolgsprognose diverser zahnärztlicher Therapien ermöglicht. Solche Verbesserungen können selbstverständlich nicht im Rahmen der engen Vorgaben des SGB V, also bei „Kassenpatienten“, so ohne weiteres eingeführt werden, da hier ja der Hauptschwerpunkt politisch gewollt bei der „Wirtschaftlichkeit“ liegt. Auch die Novellierung der GOZ hat zu einer deutlichen Erschwernis geführt, so dass auch beim „Privatpatienten“ keine einfache Lösung möglich ist. Hier muss Überzeugungsarbeit beim pateinten geleistet werden, denn nur über ein sehr deutliche Steigerung des Faktors kann eine wirtschaftlich sinnvolle Leistungserbringung erfolgen, wie im Übrigen auch bei der Lasertherapie – an einer Vereinbarung nach §2 GOZ mit Vereinbarung eines tragfähigen Steigerungsfaktors führt auch nach Auffassung der Experten aus der Standesführung bzw. der Wissenschaft kein Weg vorbei. Dafür kann dem Patienten im Gegenzug jedoch eine hochwertige Versorgung mit deutlich verbesserter Prognose angeboten werden – ein Wert, der kaum in Euro und Cent bewertet werden kann.

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