2 Behandlungsplanung
Die Planung jeder Erwachsenenbehandlung erfordert neben den routinemäßig angefertigten Unterlagen einen sowohl klinisch als auch röntgenologisch erhobenen Parodontalstatus.
Bei einem als interdisziplinär eingestuften Fall ist die Zusammenarbeit aller an der Therapie beteiligten Disziplinen bereits bei der Behandlungsplanung erforderlich (Abb. 3). #Abb. 3#
Die gewählte Therapie sollte folgende Kriterien bestmöglich berücksichtigen:
- Ästhetische Verbesserung
- Funktionelle Verbesserung
- Parodontalsituation bei Behandlungsende und Langzeitprognose
- Wahrscheinlichkeit apikaler Resorptionen durch Zahnbewegungen
- Belastbarkeit und Compliance des Patienten
- Zufriedenheit des Patienten bezüglich der formulierten Wünsche und Erwartungen
- Stabilität des orthodontischen Resultates.
Die im Anschluss an eine kieferorthopädische Behandlung folgende Retentionsphase darf nicht unerwähnt bleiben. Das Behandlungsergebnis ist beim Erwachsenen in gleicher Weise rezidivgefährdet wie bei Kindern [29]. Die Dauer der Retention hängt dabei von Art, Ausmaß und Geschwindigkeit der Behandlungsdurchführung ab.
3 Parodontalgeschädigte Gebisse
Das auffälligste Symptom einer parodontalen Destruktion ist die Labialkippung der Frontzähne und die Entstehung von Lücken im Oberkiefer. Zudem könnten die betroffenen Zähne extrudieren, was zu einem verstärkten Überbiss führt. Folge der parodontalen Destruktion ist neben den Zahnwanderungen nicht selten die Entstehung einer Fehlfunktion wie z.B. einer Unterlippeneinlagerung in eine sich allmählich vergrößernde sagittale Frontzahnstufe, die wiederum eine Fehlbelastung der betroffenen Zähne mit sich bringt. Auch eine Parodontalbehandlung muss in einer solchen Situation nicht unbedingt einen Stillstand der Zahnwanderungen bewirken; bei einer etablierten Fehlfunktion kann sich die Zahnbewegung fortsetzen. Eine kieferorthopädische Behandlung zur Wiederherstellung einer stabilen und funktionellen Okklusion kann ein Lösungsansatz sein.
4 Kieferorthopädie im parodontal geschädigten Gebiss
Wennström et al. konstatierten, das eine orthodontische Zahnbewegung zu einer verstärkten Destruktion des bindegewebigen Attachments an Zähnen mit knöchernen, entzündlich veränderten Defekten führen kann.
Für die klinische Kieferorthopädie ist es deshalb wichtig, dass vor Beginn der Behandlung bei Patienten mit Parodontalproblemen in Abhängigkeit vom Schweregrad der Erkrankung nach der Parodontaltherapie eine Wartezeit von ca. 3-6 Monaten eingehalten wird [20].
Die Reaktion parodontaler Gewebe auf orthodontische Kräfte im Anschluss an regenerative Behandlungen fortgeschrittener parodontaler Läsionen wurde in der Literatur in Art von klinischen Falldarstellungen bereits mehrmals beschrieben [8,9,19]. Obwohl diese klinische Erfahrung vermuten lässt, dass die orthodontische Bewegung im Anschluss an parodontalregenerative Maßnahmen problemlos möglich ist, liegen wenige experimentelle bzw. histologische Hinweise zur Bestätigung dieser Annahme vor.
Orthodontische Zahnbewegungen in Gebieten mit reduziertem Knochenangebot sind nicht zwangsläufig von einem Verlust an bindegewebigem Attachment begleitet, vorausgesetzt die marginale Entzündung wurde präorthodontisch beseitigt. Polson et al. [21,22] kamen bei Tierexperimenten zur Schlussfolgerung, dass Zahnbewegungen in Parodontaldefekte weder auf der Druck- noch auf der Zugseite zu einer Verschlechterung des bindegewebigen Attachmentniveaus führen müssen. Geraci et al. [9] haben im Rahmen tierexperimenteller Untersuchungen, bei denen Zähne in Parodontaldefekte hineinbewegt wurden, festgestellt, dass sich neues bindegewebiges Attachment an einer Wurzeloberfläche, die zuvor an eine entzündliche Läsion angrenzte, bilden kann. Die Autoren sind sich der Notwendigkeit der Interpretation dieser am Tiermodell gewonnenen Ergebnisse bewusst.
4.1 Orthodontische Biomechanik und Zahnbewegungen bei reduzierter Knochenhöhe
Die qualitative und quantitative Bestimmung der an den Zähnen angreifenden Kraftsysteme gewährleistet ein besseres Verständnis der klinischen Reaktionen. Um die Vorgänge, die eine orthodontische Kraft am Parodontium auslöst, richtig beurteilen zu können, ist ebenso eine Definition des angreifenden Kraftsystems erforderlich.
Vom klinischen Standpunkt aus lassen sich bei der Zahnbewegung zwei Hauptprobleme unterscheiden:
- Die Wahl des Kraftsystems, das für eine bestimmte Bewegung erforderlich ist.
- Die Wahl der optimalen Kraftgröße für die jeweilige Zahnbewegung.
Die reine Translation (Rotationszentrum im Unendlichen) und die reine Rotation (Rotationszentrum nahe dem Widerstandszentrum) sind als die beiden Grundformen einer Zahnbewegung zu betrachten [1] (Abb. 4). Andere Bewegungen stellen Kombinationen aus der reinen Rotation und der reinen Translation dar, d. h. durch Kombination einer einzelnen Kraft durch das Widerstandszentrum mit einem reinen Drehmoment im geeigneten Verhältnis Kraft/Moment lässt sich jedes beliebige Rotationszentrum erzeugen [1] (Abb. 5a-d, Abb. 6).
Jeder Zahn ist über die Parodontalfasern mit dem umliegenden Knochen und Bindegewebe befestigt. Deshalb ist die Lage seines Widerstandzentrums nicht nur von der Größe und Form des Zahnes sondern auch von der Qualität und Menge der unterstützenden Gewebe des Parodontiums (Alveolarknochen, Zement, Parodontalfasern und Gingiva) abhängig.
Die Lage des Widerstandzentrums eines parodontalgesunden Zahnes befindet sich in etwa auf Höhe zwischen dem oberen Drittel und der halben Strecke zwischen dem Wurzelapex und der Crista alveolaris. Bei parodontal geschädigten Zähnen mit niedrigerer Knochenhöhe liegt das Widerstandzentrum apikaler (Abb. 6). Entsprechend ändert sich die Lage des Rotationszentrums und somit die Art und das Ausmaß der Zahnbewegung bei einer applizierten Kraft [16].
Das schematische Beispiel in Abbildung 7 zeigt diese Diversität der Zahnbewegung bei gleich großen Kräften an einem Zahn mit gesunden Parodontalverhältnissen und an einem Zahn mit parodontaler Destruktion. Eine Kraftapplikation auf den parodontal angegriffenen Zahn führt zu einer stärkeren Kippbewegung (unkontrollierte Bewegung), deren Rotationszentrum apikaler liegt als bei einem gesunden Zahn. Um diesen Effekt aufzuheben, muss ein zweites Kraftsystem eingeführt werden, welches das Rotationszentrum in seiner Lage so verändert, dass die gewünschte Bewegung (kontrollierte Bewegung) eintreten kann.
#Abb. 4#
#Abb. 5a-d#
#Abb. 6#
#Abb. 7#
4.2 Intrusion von Zähnen
Bezüglich der Folgen der Intrusion von Zähnen bei Vorhandensein von parodontalen Destruktionen gibt es widersprüchliche Ansichten [26]. Ericsson et al. berichteten über die Folgen einer Intrusion bei Vorhandensein von Plaque; subgingivale Plaque entstand aus ehemals supragingivaler Plaque [7]. Dies führte zu einem Fortschreiten der parodontalen Destruktion.
Melsen et al kamen zu dem Ergebnis, dass die Intrusion von Zähnen nicht zu einer Entwicklung vertiefter Taschen führt [17,18].
Bestenfalls kann die Intrusion zu einem Attachmentgewinn führen, nachdem ein konventioneller parodontalchirurgischer Eingriff erfolgt ist.
Marks und Corn registrierten, dass es bei der Intrusion von Frontzähnen zu einer Vertiefung von knöchernen Defekten kommt [15]. Dies um so mehr, wenn bereits vertikale Knochendefekte vorhanden sind. Stenvik und Mjör stellten fest, dass die Intrusion auch bei gesunden Parodontalverhältnissen zu Wurzelresorptionen, zu Veränderungen der Pulpa und zu unvollständiger Wurzelausbildung führen kann [26].
Biomechanische Besonderheiten müssen im parodontal geschädigten Gebiss bei der Intrusion berücksichtigt werden: weil die Knochenhöhe reduziert ist und somit das Widerstandzentrum apikaler liegt, ist der Abstand zwischen dem Kraftansatz (Bracket) und dem Widerstandzentrum größer; folglich ist das Drehmoment und dessen Effekt größer. Außerdem ist die Neigung der Längsachse des Zahnes in Bezug zu den applizierten Kräften biomechanisch relevant. Die Wirkung der intrusiven Kräfte auf achsengerecht stehende Zähne ist in sagittaler Ebene anderes als bei labial- bzw. steilstehenden Zähnen. Eine Intrusion bei parodontal geschädigten und nach labial aufgefächerten Oberkieferfrontzähnen kann zu einer weiteren labialen Auffächerung der betroffenen Zähne führen; gleichzeitig kippen die Wurzeln weiter nach palatinal [1]. Um dies zu kontrollieren, wird ein Torque eingearbeitet bzw. wird der zusätzliche Intrusionsbogen hinter dem „auxiliary tube“ umgebogen, so dass eine Verlängerung des Zahnbogens verhindert wird. Die Wirkung extrusiver Kräfte auf das Parodontium ist besser vorhersehbar als die Wirkung der Intrusion. Die klinische Erfahrung hat gezeigt, dass es bei einer Extrusion zu einem Knochengewinn kommt [27]. Deshalb kann z.B. bei einem tief frakturierten Zahn nach orthodontisch erfolgter Extrusion eine Osteoplastik im Sinne einer Kronenverlängerung durchgeführt werden.
4.3 Zahnbewegung in einen infraalveolären Defekt hinein
Geraci vertrat die Meinung, dass die Bewegung eines Zahnes in einen knöchernen Defekt hinein zu einer Regeneration des Parodontiums und somit zu einer Eliminierung der Knochentasche führen kann [9]. Parodontologen glaubten, dass die Heilungsaussichten eines Knochendefektes an einem Zahn umso höher seien, je schmäler dieser Knochendefekt infolge der orthodontischen Zahnbewegung gestaltet wird. Die Untersuchungen von Polsen et al. zeigten, dass die Bewegung eines Zahnes in Richtung des Knochendefektes tatsächlich zu einer Verkleinerung des Defektes führt. Durch histologische Untersuchungen konnte aber nachgewiesen werden, dass aus der orthodontischen Zahnbewegung lediglich ein langes epitheliales Attachment resultiert; das Epithel wurde durch die Zahnbewegung in der Knochentasche komprimiert, so dass eine Schicht zwischen der Wurzeloberfläche und dem Alverlarknochen entstand, die eine Barriere bei der Insertion neuer Parodontalfasern darstellt [20,21].
Vanarsdall belegte in einer Vergleichsstudie, dass Attachmentverlust dort auftrat, wo ein Zahn in einen infraalveolären Defekt hineinbewegt wurde [27]. Es ist aber möglich, einen Zahn von einem Alveolardefekt wegzubewegen und bei gleichzeitig kontrollierter Extrusion einen Alveolardefekt zu eliminieren bzw. zu verkleinern.
4.4 Retention bei parodontalen Destruktionen
Nach Proffit sind primär zwei Hauptfaktoren an dem Gleichgewicht beteiligt, das die Position der Zähne bestimmt [23]. Dies sind der Druck von Lippen oder Wangen und der Zunge sowie Kräfte, die durch metabolische Aktivitäten im Parodontium entstehen. Sobald das physiologische Gleichgewicht in Parodontium zusammenbricht, kann es die notwendige Stabilisierungsfunktion nicht länger aufrechterhalten und die Schneidezähne beginnen zu wandern. Schlussfolgerung ist, dass bei Patienten mit starker Parodontalerkrankung und Zahnwanderungen nach der orthodontischen Therapie eine Dauerretention erforderlich ist. Ramfjord verzichtet auf eine Retention bzw. Schienung der Zähne mit erhöhter Mobilität nach einer parodontologischen Behandlung [24]. Dennoch ist der Einsatz eines Kleberetainers zusätzlich zu einer Platte nach einer parodontologisch-orthodontischen Behandlung von Vorteil. Wird kein Retainer bzw. nur eine herausnehmbare Apparatur eingesetzt, entsteht das Risiko eines Jigglings [13,23]. Experimentelle Tierstudien haben gezeigt, dass Jiggling den Fortschritt des Attachmentverlustes bei bestehender Parodontitis begünstigen kann [6,13] oder zumindest zu einer erhöhten Knochen- und Wurzelresorptionen führt [22]. Ohne Jiggling kann sich ein leichtes bindegewebiges Reattachment und eine Knochenregeneration einstellen [42].
Als Parodontalschienung bzw. Dauerretention eignet sich ein flexibler Kleberetainer, der an jedem Zahn befestigt wird, aber dennoch die physiologische Zahnbeweglichkeit noch zulässt [28,29].
5 Klinische Falldarstellung
5.1 Befunde und Diagnose
Bei einem 49-jährigen Patienten entwickelte sich über einige Jahre ein langsam vergrößerndes Diastema zwischen den Zähnen 11 und 21 mit zusätzlicher Elongation derselben. Weiterhin beobachtete der Patient einen Gingivaschwund zwischen den beiden mittleren Oberkieferschneidezähnen und eine deutliche Lockerung der Frontzähne. Aufgrund der labialstehenden und extrudierten Oberkieferfrontzähne lag eine vergrößerte sagittale und vertikale Frontzahnstufe vor, die den Lippenschluss erschwerte. Dies war neben der funktionellen auch eine ästhetische Beeinträchtigung für den Patienten (Abb. 8).
#Abb. 8#
Die intraoralen Aufnahmen vom Zeitpunkt der Erstvorstellung zeigen eine Klasse II-Verzahnung an den 6-ern rechts und nahezu neutrale Okklusionsverhältnisse links, einen tiefen Biss sowie die lückige Oberkieferfront. Zudem waren die Zähne 11 und 21 elongiert und wiesen eine Rezession auf. Die Lücke für den Zahn 15 war durch eine Mesialwanderung des Zahnes 16 eingeengt und Zahn 15 war im Palatinalstand durchgebrochen, so dass ein Kreuzbiss entstanden war. Im Unterkieferzahnbogen lag ein Engstand vor. (Abb. 9a-e). Zwischen dem Oberkiefer- und Unterkieferzahnbogen bestand eine Breitendiskrepanz.
Die klinische Untersuchung zeigte vergrößerte Taschensondierungstiefen an allen Zähnen insbesondere in der Oberkieferfront.
Die intraoralen Röntgenaufnahmen ließen einen generalisierten, überwiegend horizontalen Knochenverlust und zusätzlich an verschiedenen Stellen infraalveoläre Knochendefekte erkennen(Abb. 10).
Die parodontale Diagnose lautete: generalisierte Parodontitis marginalis profunda mit infraalveolären Defekten insbesondere an den Zähnen 14 und 16 und der Oberkieferfront. Die Prognose für die Oberkieferfrontzähne war in Zusammenhang mit einer orthodontischen Behandlung als kritisch zu bewerten, auch nach erfolgreich abgeschlossener Parodontaltherapie.
#Abb. 9a-c#
#Abb. 9d#
#Abb. 9e#
#Abb. 10#
5.2 Therapieplanung
Die bei wachsenden Patienten üblichen Behandlungsziele sind bei erwachsenen Patienten und insbesondere bei Patienten mit parodontalen Schäden nicht immer realistisch. Das Ziel oder zumindest eines unserer Ziele soll sein, die Biomechanik einzusetzen, die zu den geringsten dentalen Belastungen führt. Voraussetzung für eine orthodontische Behandlung war, dass alle entzündlichen parodontalen Prozesse abgeheilt waren.
Kieferorthopädisches Behandlungsziel war die Verbesserung der dentalen Ästhetik durch Schließen der Lücken in der Oberkieferfront, Auflösung des Engstandes im Unterkiefer, Überstellung des Kreuzbisses im rechten Seitenzahngebiet und die Herstellung harmonischer, lückenloser Zahnbögen.
Die Reduktion des Überbisses sollte durch die Intrusion der Fronten und gleichzeitig die Extrusion der Seitenzähne erreicht werden. Die Engstände im Unterkieferzahnbogen sollten durch geringe Protrusion und v. a. Zahnschmelzreduktion (Strippen) aufgelöst werden.
Die Behandlung gliederte sich in drei Phasen:
- Parodontalbehandlung
- Orthodontische Behandlung
- Retention.
5.3 Durchführung der Therapie
Nach der parodontologischen Behandlung hatte sich der Papillenblutungsindex (PBI) und der Approximalraumplaqueindex (API) dank der guten Mitarbeit des Patienten deutlich reduziert. Zwischen Ende der parodontologischen und Beginn der kieferorthopädischen Behandlung wurde 4 Monate gewartet.
In der orthodontischen Phase wurde für die geplanten Zahnbewegungen eine festsitzende Apparatur eingegliedert. Im Oberkiefer wurde zunächst die Lücke für den Zahn 15 geöffnet. Da die Auflösung des Engstandes im Unterkiefer nicht nur durch reine Protrusion der Front erfolgen sollte, wurden die Front- und Eckzähne um 2 – 2,5 mm gestrippt (0,20- 0,25 je Approximalfläche) [4,25]. Diese Maßnahme wurde durchgeführt, bevor der erste Bogen einligiert wurde.
Nach der Nivellierung beider Zahnbögen erfolgte die Korrektur des tiefen Bisses. Hierfür wurde zusätzlich zu den Intrusionsstufen im Oberkiefer eine Intrusionsbiomechanik eingesetzt. Ein 0.017 X 0.025-inch TMA-Intrusionsbogen (Base Arch) wurde im Auxiliary tube der 6-er-Bänder und an den Frontzähnen oberhalb des Hauptbogens einligiert. Die applizierte Intrusionskraft betrug 60-80 Gramm (Abb. 11).
In dieser Phase wurde die Mundhygiene und die Plaquefreiheit der Zähne kontrolliert (Abb. 12).
Nach 14 Monaten erfolgte die Entbänderung. Zur Retention des Ergebnisses wurde ein 3-3 Retainer aus Twist-Flex (0.0175) im Ober- und Unterkiefer geklebt. Zusätzlich wurden Hawley- Retainer in beiden Kiefern eingegliedert.
Die intraoralen Aufnahmen zeigen eine stabile, funktionelle Okklusion mit einer physiologischen vertikalen und sagittalen Frontzahnstufe. Durch die Schließung der Lücken und die Intrusion der Oberkieferfront insbesondere des Zahnes 21 wurde ein harmonischer Gingivaverlauf erreicht. Klinisch lagen gute Parodontalverhältnisse mit ausreichender befestigter Gingiva vor (Abb. 13a-e).
Die extraoralen Aufnahmen zeigen einen kompetenten Lippenschluss, ein harmonisches Mundprofil und ein zufrieden stellendes Lächeln (Abb. 14).
Der Röntgenstatus zeigt gute Knochenverhältnisse. Eine Verschlechterung an den Frontzähnen trat nicht ein (Abb. 15) Die Breite des interradikulären Knochens im Bereich der Unterkieferfront hat als Folge der Auflösung des Engstandes und Einordnung der Zähne in den Zahnbogen (Abb. 16a) zugenommen. Es entstanden „schwarze Dreiecke“ (Abb. 16b). In der Oberkieferfront trat der gegenteilige Effekt ein; durch Schließung der Lücken wurde der interradikuläre Abstand verkleinert, dementsprechend wurde die Gingiva nach inzisal verlagert, so dass sich eine Papille zwischen den beiden mittleren Schneidezähnen gebildet hatte (Abb. 16b).
#Abb. 11#
#Abb. 12#
#Abb. 13#
#Abb. 13a-c#
#Abb. 13d-e #
#Abb. 14#
#Abb. 15#
#Abb. 16a#
#Abb. 16b#
6 Diskussion
Jede kieferorthopädische Korrektur kann dadurch scheitern, dass eine parodontale Erkrankung übersehen wird. Der Gesamterfolg wird sowohl kurz- als auch langfristig vom Parodontalstatus eines Patienten vor, während und nach der kieferorthopädischen Behandlung beeinflusst. Die Langzeitprognose hängt zu einem großen Teil von der Reaktion und Widerstandskraft des Patienten gegenüber parodontalen Erkrankungen ab.
Orthodontische Maßnahmen sind bei Patienten mit Erkrankungen des Parodontiums wegen der Gefahr einer weiteren Destruktion des Zahnhalteapparates durch Knochenresorptionen oder/und Wurzelresorptionen mit Risiko behaftet [26].
Eine orthodontische Kraft auf parodontalgeschädigte Zähne ohne vorausgegangene Parodontalbehandlung führt zu einem Fortschreiten bzw. zu einer Beschleunigung der parodontalen Destruktion. Die Gefahr des Verlustes an desmodontalem Gewebe besteht selbst bei entzündungsfreiem Zustand, wenn der Zahn in einen Bereich mit stark resorbiertem Alveolarknochen bewegt werden soll. Dieser Gewebeverlust muss aber nicht in jedem Fall eintreten, wie verschiedene Veröffentlichungen belegen [21].
Aufgrund dieser Risiken muss im Hinblick auf die geplante Richtung der Zahnbewegung vor jeder orthodontischen Maßnahme die Art, das Ausmaß und die Lokalisation der Parodontalerkrankung bekannt sein, um eine geeignete Vorbehandlung durchführen zu können. Besonders in Fällen mit lokalisiertem, fortgeschrittenen vertikalem Knochenabbau bietet sich die Möglichkeit der Behandlung mittels gesteuerter Geweberegeneration (Guided Tissue Regeneration = GTR) oder/und gesteuerter Knochenregeneration (Guided Bone Regeneration = GBR) an [19,20,28].
Die Literaturübersicht deutet darauf hin, dass die Intrusion eine Gefahr bezüglich der parodontalen Destruktion im Sinne einer Taschenvertiefung, Umlagerung der supragingivalen in eine subgingivale Plaque und Wurzelresorptionen darstellt [6,7,26]. Aus diesem Grund soll diese Art von Bewegung bei Patienten mit parodontalgeschädigten Zähnen mit Vorsicht eingesetzt werden, und wenn möglich durch andere Alternativen ersetzt bzw. kompensiert werden, wie z.B. Kürzung von Frontzähnen, sofern es die Form, Länge und Hartsubstanz der Zähne zulässt.
In Anbetracht der Tatsache, dass der Effekt einer applizierten Kraft von der Lage des Widerstandzentrums abhängig ist, gelten bei Behandlung parodontal geschädigter Zähne besondere Regeln bezüglich Kraftquantität und –qualität.
Daher sollten kieferorthopädische Behandlungen im parodontal vorgeschädigten Gebiss nur mit kontrollierten Kräften durchgeführt werden, deren Drehmomente auf das reduzierte Attachmentniveau abgestimmt sind. Deshalb empfiehlt es sich bei entsprechenden Fällen auf die durchlaufende Bogentechnik wegen der schwer kalkulierbaren Kraftsysteme zu verzichten [2,3]. In solchen Fällen kann die Segmentbogentechniken eingesetzt werden.
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Korrespondenz-Adresse
Privat-Dozent Dr. med. dent. Nezar Watted
Randersackerer Straße 28
97072 Würzburg
E-Mail: nezar.watted@gmx.net
Abkürzungslegende
EM: Wurzelstift aus Edelmetallegierung
Ind.: indirekt gefertigter Stiftkernaufbau
Pall.: Palladiumhaltiger Metallstift
o. Pall.: Metallstift ohne Palladium
WK: Wurzelkanal
Mittl. 1/3: mittleres Wurzeldrittel
Kor. 1/3: koronales Wurzeldrittel
Die Überlebensrate gibt die Anzahl der intakten Proben nach der zyklischen Belastung (sowohl thermisch als auch mechanisch) an.