Alveolar Ridge Preservation

Knochenerhalt nach Zahnextraktion

Praxisgerechte Techniken der
Alveolar Ridge Preservation

Die bisher als unvermeidlich angesehene massive Atrophie der Alveolarfortsätze der Kieferknochen
nach Zahnextraktion stellt sowohl in der Prothetik als auch der Implantologie
ein großes Problem dar. Diese Atrophie geschieht ungleichmäßig: Die Resorption verläuft
bukkal wesentlich stärker als palatinal, wobei dabei beim zahnlosen Oberkiefer ein deutlich
schmalerer Kieferkamm resultiert als ursprünglich durch die Zahnreihen determiniert
(Schropp et al., Araujo et al)1, 2. Zusätzlich weiten sich die Kieferhöhlen aus, so dass im
Ergebnis ein flacher Kieferkamm mit schmalerem Radius entsteht, der lediglich durch
dünnen Knochen von der Kieferhöhle separiert ist. Im Unterkiefer verlaufen die Resorptionsvorgänge
grundsätzlich anders, hier resultiert im Endergebnis ein wesentlich breiterer
Knochen als ursprünglich von den Zahnreihen vorgegeben. Überdies verliert der zahnlose
Knochen auch massiv an Höhe – und das sowohl im OK als auch im UK. Im Prinzip
handelt es sich dabei um einen chronisch-progressiven, irreversiblen Umbauvorgang, bei
dem in den ersten beiden Jahren post extractionem die stärkste Resorption (40 bis 60 %)
stattfindet, die auf eine relativ konstante Resorptionsrate von ca. 1 % pro Jahr
bis zum Lebensende absinkt (Douglass)3.
Dr. Steffen Kistler

Gerne propagierte atraumatische Extraktionsverfahren
können diese Atrophie höchstens vermindern, jedoch
nicht verhindern. Eine kürzlich publizierte Metaanalyse
von verfügbaren Humanstudien zum Thema Socket
Preservation macht deutlich, dass alle beschriebenen
unterschiedlichen Techniken zum Erhalt der Alveole die
Resorption des Knochens lediglich reduzieren, aber nicht
vermeiden können (Ten Heggeler et al)4. Insbesondere oft
verwendete und als volumenstabil geltende deproteinisierte
xenogene Knochenersatzmaterialien können nach
Augmentation der Alveole deren Volumenschwund nicht
vermeiden (Fickl)5.
Dies hat in der Totalprothetik die Folge, dass es je nach
Dauer des Zahnverlustes immer schwieriger wird, eine
stabile Okklusion darzustellen – dies kann im Extrem dazu
führen, dass die Prothesen im Kreuzbiss aufgestellt werden
müssen und trotzdem nur noch ungenügende Kaufunktionen
zulassen. Analog stellt sich das Problem auch
für Implantate dar. In den seltensten Fällen können erfahrungsgemäß
Implantate dort inseriert werden, wo sie aus
prothetischen Gründen erforderlich wären.
Deshalb wurden vielfältige methodische Ansätze entwickelt,
um diesen Einschränkungen zu begegnen. Die
meisten dieser Verfahren wurden aus der Parodontologie
übernommen, da man sich dort ebenfalls mit deutlichem
Knochenrückgang auseinanderzusetzen hat. Die zahlreichen
Verfahren der Knochenaugmentation, sei es durch
homologe (allogene), autologe oder xenogene Transplantate
oder durch GBR-Techniken, haben alle nur ein Ziel,
nämlich das Knochenlager so zu verbessern, dass die Voraussetzungen
für eine sachgerechte Prothetik geschaffen
werden.
Da die Augmentation eines bereits stark atrophierten Knochens
aufwändig, für den Patienten sehr belastend und
nicht immer erfolgreich ist, werden in der aktuellen Literatur
Techniken und Methoden propagiert, die die Atrophie
einschränken sollen. Wenn Knochen nicht oder nicht so stark resorbiert, wird die Arbeit für den implantierenden

Zahnarzt ebenso erleichtert wie für den Prothetiker bei

maximaler Schonung des Patienten.

/// ALVEOLAR RIDGE PRESERVATION

Heute ist es möglich, den Verlust an Breite und Höhe
des Alveolarkamms auf ein Minimum zu reduzieren, wie
Douglass, Parodontologe und langjähriger Präsident der
American Academy of Periodontology, in einer Übersichtsarbeit3
darlegt. Die in mittels Alveolar Ridge Preservation
erhaltenen Knochenabschnitte gesetzten Implantate haben
eine gleich lange Überlebensrate wie solche in natürlichen
Knochen inserierten, ebenso wie solche, die in
augmentierten Knochen platziert wurden (Atwood)6.
Die natürliche Heilung einer Extraktionsalveole zeigt eine
Auffüllung der leeren Alveole mit knöchernem Gewebe,
jedoch eben auch eine enorme Reduktion in Höhe und
Breite. Wird in die Extraktionsalveole unmittelbar ein
Knochenersatzmaterial eingebracht, so resultiert dies in
einem besseren Knochenerhalt, jedoch auf lange Sicht
ergeben sich Unterschiede in den Materialien. So werden
die meisten eingebrachten Knochenersatzmaterialien –
insbesondere z.B. bovine deproteinisierte Knochenmatrix
– nicht in vitalen Knochen umgebaut, was für den Fall
einer späteren Implantation gravierende Nachteile mit
sich bringt. Studien haben gezeigt, dass etwa in 5 bis 35
Prozent Augmentationsmaterial unresorbiert verbleibt
und vitaler Knochen in 30 bis 60 Prozent vier bis sechs
Monate post OP gefunden werden kann (Buser et al)7.
So finden z.B. Wang et al8 bei Socket Preservation mit
mineralisiertem allogenem Knochenersatzmaterial (Puros,
Fa. Zimmer Dental) 68,5 % vitalen Knochen, 3,8 % avitale
Rest-Puros-Partikel und 27,7 % Bindegewebe. Der Erhalt
der Kieferkammdimensionen bei Verwendung von Puros
wurde bereits untersucht und zeigt hervorragende Ergebnisse
(Fotek et al.)11.
Der Zusatz von Kalziumsulfat zu autologem entkalktem
Knochenaugmentat oder zu gefriergetrocknetem Allograft
(Douglass et al)3 scheint die Angiogenese zu verbessern
und zu besseren klinischen Resultaten zu führen.
Vance et al. haben berichtet, dass eine Paste aus gefriergetrocknetem
dekalzifiziertem Knochen, Kalziumsulfat und
Karboxylmethylzellulose platziert in die Extraktionsalveole
ungefähr gleich gute Ergebnisse brachte wie bovines
Hydroxylapatit in Verbindung mit einer Membran. Nach
vier Monaten fanden sich Vance zufolge 61 Prozent vitaler
Knochen. Dies bestätige Angaben von Guarnieri et al9. Es
wurden 58,6 Prozent vitaler Knochen nach drei Monaten
post OP (die Alveole wurde mit Kalziumsulfat Hemihydrat
aufgefüllt) gefunden. Douglass folgert daraus, dass der
Einsatz von Kalziumsulfat zum gewählten Augmentationsmaterial
die Qualität und Menge an neuformiertem
vitalem Knochen steigern könne.
Techniken der Socket Prevention basieren weitgehend auf
Techniken der GTR (Guided Tissue Regeneration) bzw.
GBR (Guided Bone Regeneration), die in der Parodontologie
seit 1982 mit Erfolg praktiziert werden. Frühe Techniken,
eingeführt von Buser und Dahlin7, 13 nutzten eine
PTFE-Membran. Der Erfolg hängt wesentlich von einer
absolut dichten Naht ab, Dehiszenzen führen regelmäßig
zum Verlust des Augmentats. Überdies ist stets eine Zweitoperation
zur Entfernung der Membran erforderlich.
Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass Knochenersatzmaterialien,
die mittels einer Membran vor dem Einwachsen
von Bindegewebszellen geschützt wurden, besser ihr
Volumen halten können als Augmentate ohne Barrieremembran,
wie Douglass berichtet3.
In praktisch allen Studien wurden bukkal bzw. lingual
Lappen mobilisiert für die Deckung der Defekte mittels
Membran. Dazu sind diverse Lappentechniken beschrieben
worden.
Da es also letztendlich äußerst vorteilhaft ist, alles zu tun,
um den Alveolarknochen zu erhalten – also die „Alveolar Ridge Preservation“ anzuwenden – sollte bei jeder Extraktion diese Technik eingesetzt werden.

Forschungsziel heute ist, einfachere Techniken zu entwickeln,
die möglichst unkompliziert sind und leicht in den
Praxisalltag integriert werden können, bei ausreichender
Sicherheit eines vorhersagbaren Ergebnisses. Im vorliegenden
Fallbericht wird eine Methode vorgestellt, die in
den Praxisalltag voll integriert worden ist und routinemäßig
bei gut vorhersagbarem Ergebnis eingesetzt werden
kann. Es kommt die sogenannte ice-cream cone-Technik
nach Tarnow zur Anwendung (Elian et al.)10, bei der das
Augmentationsmaterial – hier „Puros“ – gesichert durch
eine Membran (das Material wird gewissermaßen „eingetütet“)
in die Extraktionsalveole eingebracht wird, ohne
Lappen-OP. Dieses Vorgehen ist besonders empfehlenswert
bei Einzelzahnextraktionen in einer ansonsten geschlossenen
Zahnreihe (siehe Fallbeispiel).
Die Technik hat folgende Vorteile:
• kein Mukoperiostlappen notwendig
• maximaler Schutz und Erhaltung der vestibulären Gewebekontur
• Erhalt der Gingivaästhetik
• Stabilisierung und Schutz des Augmentationsmaterials
durch die Membrane
• kein primärer Wundverschluss am krestalen Bereich der
Alveole notwendig, da die Membrane frei eingranuliert.
/// FALLDARSTELLUNG
Bei einem Patienten wurde wegen einer Wurzel-Längsfraktur
die Extraktion unumgänglich. Problematisch für
eine spätere Versorgung stellt sich der Verlust des bukkalen
Knochens dar. Positiv ist die gut keratinisierte Gingiva
zu beurteilen, die eine Gefahr größerer Rezessionen gering
scheinen lässt.
Es wurde entschieden, möglichst viel Alveolarknochen zu
erhalten – also eine Technik der Socket Prevention anzuwenden
– da der Patient nach Beratung eine Implantatversorgung
zum Ersatz des verlorenen Zahnes wünschte.
Es erfolgte die „atraumatische“, also schonende, Extraktion
des Zahnes mit Zystektomie.
Socket Prevention Technik Step by Step:
• Vorbereitung der CopiOs Pericardium Membran nach
der Tarnow-Ice-Cone Technik.
• Fixierung der Membran am Alveolarfundus mit resorbierbaren
Nähten.
• Auffüllen der Alveole mit Puros Allograft Spongiosa-
Partikeln.
• Okklusales Abdecken des Augmentates mit der Membran
und Fixierung der Membran palatinal.
Es wurde eine Maryland Brücke als temporäre Versorgung
eingesetzt. Die Wartezeit betrug fünf Monate mit sekundärem
Wundverschluss okklusal. Im Reentry fünf Monate
post OP zeigte sich die vollständige Reossifikation der
bukkalen Wand.
Die Implantatinsertion erfolgte bei insgesamt weichem
Knochen. Die endgültige prothetische Versorgung konnte
vier Monate nach Implantation vorgenommen werden.
/// DISKUSSION
Bisherige gängige Methoden, insbesondere solche, die
auf der Membrantechnik basierten, erforderten ganz besondere
Sorgfalt und sind extrem techniksensibel. Ebenso
ist ein besonders enger Recall unabdingbar – und bei einer
eventuell auftretenden Nahtdehiszenz war das Augmentat
regelmäßig verloren. Die geforderten Lappentechniken
mit der Gefahr der Retraktion und damit verbunden hohen
Belastung der Naht sowie die sehr zeitaufwändige
Methodik hat diesen Techniken die große Verbreitung
versagt. Dem Praktiker sind solche OPs im Allgemeinen
zu riskant. Mit der im Fallbeispiel demonstrierten Technik
wird nun dem Praktiker eine wesentlich vereinfachte
Möglichkeit an die Hand gegeben. Die Technik ist leicht
zu erlernen, die Erfolgsrate ist auch bei schwierigen Indikationen hoch (wie das Fallbeispiel zeigt), was bei guter
Vorhersagbarkeit des Ergebnisses die implantologische
Planung schon zum Zeitpunkt der Extraktionsentscheidung
möglich macht. Auch für den Fall, dass sich ein
Patient während der Wartezeit umentscheidet bleibt ein
Nutzen, denn durch die Reduktion der zwangsläufig der
Extraktion folgenden Atrophie des Alveolarknochens wird
auch eine nichtimplantologische prothetische Versorgung
positiv beeinflusst.
Wang et al.8 und Fotek et al.11 haben den wissenschaftlichen
Beweis erbracht, dass die Anwendung von Puros
Allograft Spongiosa-Partikeln zur Augmentation der Extraktionsalveole
funktioniert (68,5 Prozent vitaler Knochen
nach fünf bis sechs Monaten post OP) und trotz
fehlender gingivaler Deckung der Extraktionswunde (es
ist keine Lappen-OP mit dichter Naht erforderlich) eine
knöcherne Restitutio der Extraktionsalveole ohne die zu
erwartende massive Atrophie möglich ist. Im gezeigten
Fall war diese Methode besonders hilfreich: Die häufig
zu beobachtenden Defekte der bukkalen dünnen Knochenlamellen,
wie im vorgestellten Fall, bewirken ohne
adäquate Socket Preservation den Schrumpf genau dort,
wo man ihn am wenigsten brauchen kann. Wie auf den
Abbildungen erkennbar, konnte das Knochenlumen auch
bukkal gut erhalten werden, was eine aufwändige Augmentation
ersparte. Ohne Augmentation (oder, wie hier
Alveolar Ridge Preservation) wäre eine Implantation in der
prothetisch vorteilhaften Lage nicht möglich gewesen.
Die Qualität des so erhaltenen Knochens des Implantatbetts
bedingt Implantatüberlebensraten bis zu 97,6 %
(Minichetti et al)12, so dass die Methode zur Anwendung
in der Praxis empfohlen werden kann.
Literatur
1. Schropp, L., A. Wenzel, et al. (2003). „Bone healing and soft tissue
contour changes following single-tooth extraction: a clinical
and radiographic 12-month prospective study.“ Int J Periodontics
Restorative Dent 23(4): 313-323.
2. Araujo, M. G. and J. Lindhe (2005). „Dimensional ridge alterations
following tooth extraction. An experimental study in the dog.“
Journal of Clinical Periodontology 32(2): 212-218.
3. Gordon L. Douglass: Alveolar Ridge Preservation at Tooth Extraction,
CDA.JOURNAL , Vol.33, No.3: 223 – 229, März 2005.
4. Ten Heggeler JM, Slot DE, Van der Weijden GA. Effect of socket
preservation therapies following tooth extraction in non-molar regions
in humans: a systematic review. Clin Oral Implants Res. 2010
doi: 10.1111/j.1600-0501.2010.02064.x. Epub ahead of print
5. Fickl, S., O. Zuhr, et al. (2008). „Dimensional changes of the alveolar
ridge contour after different socket preservation techniques.“
Journal of Clinical Periodontology 35(10): 906-913.
6. Atwood A: Reduction of residual ridges: A major oral disease entity.
J. Prosthet. Dent 1971;26:266
7. Buser D, Bragger U, Lang NP, Nyman S: Regeneration and enlargement
of jaw bone using guided tissue regeneration. Clin Oral
Implants Res 1:22-32, 1990.
8. Wang, H. L. and Y. P. Tsao (2008). „Histologic evaluation of socket
augmentation with mineralized human allograft.“ International
Journal of Periodontics & Restorative Dentistry 28(3): 231-237
9. Guarnieri R, Pecora G, Fini M, Aldini NN, Giardino R, Orsini G,
Piattelli A, Medical-grade calcium sulfate hemihydrate In healing
of human extraction sockets: Clinical and histological observations
at three months. J Periodontol 75:6, 2004.
10. Elian, N., S. C. Cho, et al. (2007). „A simplified socket classification
and repair technique.“ Practical Procedures & Aesthetic Dentistry
19(2): 99-104.
11. Fotek, P. D., R. F. Neiva, et al. (2009). „Comparison of dermal matrix
and polytetrafluoroethylene membrane for socket bone augmentation:
a clinical and histologic study.“ Journal of Periodontology
80(5): 776-785.
12. Minichetti, J. C., J. C. D‘Amore, et al. (2005). „Three-year analysis
of Tapered Screw-Vent implants placed into extraction sockets
grafted with mineralized bone allograft.“ Journal of Oral Implantology
31(6): 283-293.
13. Dahlin C, Andersson L, Linde A, Bone augmentation at fenestrated
implants by an osteopromotive membrane technique. A controlled
clinical study. Clin Oral Implants Res 2:159-65, 1991.
AUTOR
Dr. Steffen Kistler
Praxis Dres. Bayer, Kistler und Elbertshagen
Von-Kühlmann-Straße1
86899 Landsberg

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