Zahnheilkunde – für jeden Patienten das Richtige!

Zahnheilkunde angepasst

Es sollte allgemein akzeptiert werden können: es gibt keine Standardtherapie für jedes Individuum, die Therapie muss personenbezogen erfolgen. Dies bedeutet eine ausgefeilte Planung, die derzeit in Deutschland nicht honoriert wird. Anders ist eine hochkomplexe Therapie kaum zu leisten.

Hier hätte der Verordnungsgeber Sachverstand einzubeziehen – es scheint jedoch eine Missachtung (zahn)ärztlichen Sachverstands ungeheuren Ausmaßes zu geben. Ein „HKP“ wird wie ein Kostenvoranschlag eines Handwerkers eingeschätzt, der auch noch als „Angebot“ kostenfrei erstellt werden muss (auch in der GOZ findet sich eine lächerliche geringe Bewertung!).

Hilfsweise sollte hier eine Honorar-Vereinbarung getroffen werden, die nach § 2 ganz den Zwängen der staatlichen Regulierung entzogen ist. Anwälte werden prinzipiell nur noch mit Honorarvereinbarung tätig, weshalb sollte dies nicht für deutlich höher qualifizierte Zahnärzte gelten?!

Um planen zu können benötigt der Zahnarzt sehr viele Befunde bzw. eine korrekte Diagnose. Dabei ist der Ausgangsdiagnose ebenso hohe Wichtigkeit beizumessen wie der späteren Planung. Was ist das Ziel? Normalerweise wird das Ziel ärztlichen Bemühens die Wiederherstellung von Gesundheit sein. Dies ist jedoch auf dem Gebiet der Zahnheilkunde praktisch nie zu erreichen. Das Maximum dessen, was überhaupt erreicht werden kann, ist eine Verlangsamung der Krankheitsprozesse: Sei es die Füllung, sei es ZE, sei es eine PAR-Therapie, stets wird ein quasi chronischer Zustand als Endpunkt stehen, mit weiter persistierenden Defekten. Wenn es dem Zahnarzt gelingt die Dentition zumindest teilweise bis zum Tod des Individuums zu erhalten hat er schier übermenschliches geleistet…

Beispiel Füllung: auch eine perfekte Füllung kann nicht einen gesunden Zahn bewirken, es verbleibt ein Defekt an excavierter Zahnsubstanz, wie eine offene Wunde im Zahnhartgewebe, und die Füllung stellt einen permanenten Verband dar. Dies lässt sich weiterführen – ZE heißt ja schon „Ersatz“, und bei parodontalen Defekten werden wir keine vollständige Ausheilung erreichen, es verbleibt stets ein dauerhafter Defekt.

Der „normale“ Befund registriert solche Defekte und stellt neue unversorgte Defekte fest.

Nun scheint es logisch dass wir eine Wertung vornehmen müssen: Was ist es dem Patienten „Wert“ natürliche Zahnsubstanz erhalten zu bekommen, oder, was will ein Patient eigentlich sonst?

Hier sind die Vorstellung selten deckungsgleich mit denen des Zahnarztes, ja, teilweise geradezu entgegengesetzt, und leider mischen ja Versicherungen und „Krankenkassen“ ebenfalls noch kräftig mit. Daraus ergibt sich ein großes Spannungsfeld, in dem sich die Praxis bewegt. Dies ist jedoch unvermeidbar.

Individuelle Planung

Für die Planung sind folgende Parameter einzubeziehen:

–          Morbiditätsstatus (Verlauf an Krankheiten nach Zeitachse)

–          Wirtschaftliche Potenz – wie viel an Zahlungen kann ein Patient tragen?

–          Mundhygienestatus (wichtigstes Prognostikum)

–          Patientenwünsche

–          Mundbefund sowie allgemeiner Befund (z.B. Alter, Allgemeingesundheit, voraussichtliche Lebenserwartung, usw.)

–          Diagnose allgemein und speziell

Die Reihung soll keine Prioritätenliste sein, alle Items stehen gleichberechtigt nebeneinander.

Zur Erläuterung: nehmen wir an es stellt sich ein Patient mit einer ernsthaften Allgemeinerkrankung mit einer vermuteten Lebenserwartung von weniger als einem Jahr vor. Hier wird es sicherlich weniger auf eine besonders Langlebigkeit der Restaurationen ankommen als bei einem jungen gesunden Menschen. Gleichwohl ist Patientenwünschen Rechnung zu tragen – und bei der Planung  muss auf die möglicherweise problematischen Nebenwirkungen einer allgemeinärztlichen Therapie Rücksicht genommen werden. Stellen wir uns einmal vor, es handelt sich um einen Patienten mit geschwächtem Immunsystem und Antibiotikatherapie – da kann man kaum eine lege artis PAR vornehmen. Oder, ein Patient mit Tumorerkrankung und dadurch bedingter voraussichtlicher nur noch relativ kurzer Lebensspanne, kann nicht sinnvoll mit aufwändigem teurem ZE versorgt werden, hier müssen andere Möglichkeiten gefunden werden. Oder, soll man einem Todkranken tatsächlich noch 6 Frontzähne überkronen, wenn mit Direktveneers die gleiche kosmetische Wirkung erzielt werden kann, bei geringerer körperlicher und finanzieller Belastung?

Es muss also stets eine Abwägung der Möglichkeiten und Rechtsgüter (Selbstbestimmungsrecht des Patienten! Richtlinien des BEMA! Leitlinien der DGZMK! Allgemeines Arztrecht! usw.) stattfinden – ohne Honorarvertrag ist das nicht zu leisten. Jedoch ist eine Standardversorgung nach Schema auch nicht das, was wir – und die Patienten! – wollen.

Medizinische Kriterien der Planung

Jegliche Planung hat, analog z.B. zur Planung eines Hausbaus, zeitliche Abläufe sowie Therapieschritte vorzusehen. So ist eine Reihung aufzustellen

–          Prophylaxe

–          PAR

–          Endo, Chirurgie

–          Füllungstherapie

–          Prothetik einschließlich Gnathologie

Prophylaxe

Ein Patient ist in die individuelle professionelle Prophylaxe einzubinden. Verweigert sich ein Patient, so hat das unzweifelhaft Folgen für die weitere Planung – es scheint schlicht nicht sinnvoll, ohne vernünftige Mundhygiene eine PAR einzuplanen, ebenfalls muss bei Füllungen auf eine Resistenz gegen Mundhöhlenkeime bei Prophylaxemuffeln geachtet werden, und ZE darf auch nicht etwa aus Implantaten bestehen. Es scheint einsichtig, dass jede Stufe erst abgeschlossen sein muss, bevor man die nächsthöhere erklimmt.

Prophylaxe muss effektiv sein – das heißt, ein Patient sollte kontrolliert werden. Die Erhebung von Plaque Indizes ist unbeliebt, scheint jedoch alternativlos. Wie sonst könnte man Erfolge messen können?

Wurde eine gute Mundhygiene installiert bzw. kann der Zahnarzt einem Patienten Prophylaxefähigkeit bescheinigen (steht auch so in den RiLis!) kann der nächste Schritt eingeleitet werden, die systematische PAR. Findet sich auch so in den RiLis des BEMA sowie in den Leilinien der DGZMK.

PAR

Daten der Erhebungen des IDZ, der DGP sowie der DGZMK und einzelner wissenschaftlicher Studien zeigen ein interessantes Bild, vergleicht man sie mit der Abrechnungsstatistik. Geben die epidemiologischen Daten eine dringende Therapiebedürftigkeit bei etwa 1/3 der Bevölkerung an, so zeigen die Abrechnungsdaten (KZBV Jahrbuch) nur eine relativ geringe Therapiehäufigkeit. Diese Diskrepanz wäre durch zweierlei Umstände erklärbar: die Zahnärzte erkennen den Therapiebedarf nicht und führen ihre Patienten deshalb keiner adäquaten Behandlung zu, oder, die Patienten erfüllen die Voraussetzungen für eine Therapie nicht (Leitlinien der DGZMK, Richtlinien des BEMA), in denen eine messbare Mitarbeit der Patienten gefordert wird (ausgedrückt an entsprechenden Plaqueindizes).  Die KZBV weist für 2011 950 Tsd. Mal den Ansatz der Nr. 4 (PAR-Plan) aus, bei einer theoretischen Bedürftigkeit von cá 30 Mio. (DMS IV). 

Der BEMA  lässt die Erhebung des PSI, eines aussagefähigen Index für epidemiologische Erfassung einer parodontalen Erkrankung, alle zwei Jahre zu. In 2011 wurde dieser Index insgesamt 13.170 Tsd. Mal abgerechnet. Wenn daraus lediglich 950 Tsd. PAR-Anträge resultieren, so ist dies eine Diskrepanz, die erklärungsbedürftig ist.

Rechnen wir nach:

13,170 Tsd. Mal wurde die Nummer 04 abgerechnet, bei insgesamt 80 Millionen Patienten. Wäre bei jedem Patienten die 04 gemacht und abgerechnet worden, so müsste die Zahl bei 40 Mio. (also 40.000 Tsd) liegen, also ebenfalls weit über dem tatsächlich abgerechneten Zahlen. Auch wenn man berücksichtigt dass etwa 10 Prozent der Menschen in diesem Land „privat“ versichert sind, ergibt sich eine auffällige Diskrepanz. Auch kann die Diskrepanz zwischen 13.170 Tsd. Mal Bema 04 (also PSI) und lediglich 950 Tsd. PAR, ausgedrückt durch den PA-Plan nach BEMA 4, nicht erklärt werden Es müssten, den Ergebnissen der DMS IV nach, rein rechnerisch  ein Drittel, also 4.500 Tsd. Mal eine PAR die Folge sein.

Erklärungen hierzu sind in der Literatur nicht zu finden. An dieser Stelle sind KZV und Kammer gefordert, sich einzubringen und eine nachvollziehbare Erläuterung dazu abzugeben. Ebenfalls wäre es wünschenswert wenn sich die Wissenschaft mit dieser Fragestellung auseinandersetzt.

Die individuelle Patientenbezogenheit kann nach Erhebung des PSI sowie einer daraus abzuleitenden Prophylaxesystematik festgelegt werden: PSI 0 erfordert keine weiteren Maßnahmen (was natürlich zu dokumentieren ist!), PSI 1 erfordert Einbindung in ein Prophylaxeschema (verweigert sich dem ein Patient, so ist dies zu dokumentieren), PSI 2 zieht noch stärkere Prophylaxebemühungen nach sich, usw.

Erst wenn eine positive Prognose abgegeben werden kann (also mindestens Rückführung auf PSI 1) darf prinzipiell auf eine PAR-Therapie verzichtet werden und eine Weiterbehandlung (ZE) erfolgen.

Die Regeln des BEMA zur systematischen PAR dürfen nicht so verstanden werden, dass bei parodontalen Taschen von 3 und weniger mm keine Aktion erforderlich wäre – in den Richtlinien finden wir eine „chirurgische systematische Parodontalbehandlung“ bei Taschentiefen von mehr als 3 mm, jedoch sollte es unumstritten sein, dass auch mit geringerer Taschentiefe oder deutlichen Entzündungszeichen (SBI Sulkus Blutungs Index) aktiv eingegriffen werden muss.

Im Übrigen gilt die Grenze von 3 mm erst nach abgeschlossenerer Vorbehandlung – also sollte prinzipiell jeder Patient mit einem PSI von 1 oder größer eine den Kriterien einer PAR-Vorbehandlung entsprechende Therapie erhalten.

Kons, Chirurgie

Wie oben dargestellt sind prinzipiell eine Befundung der Parodontien sowie eine Diagnostik derselben als erste Maßnahme erforderlich. Eine weitere Therapieplanung ohne vorhergehende Erfassung z.B. des PSI ist nicht lege artis.

Findet man gesunde Parodontien vor bzw. kann eine vorliegende Parodontalerkrankung ausgeschlossen werden sind chirurgische und konservierende Maßnahmen möglich. Wird eine Parodontalerkrankung diagnostiziert so ist im Rahmen der vorgeschriebenen Vorbehandlung ebenfalls eine Therapie aller kariösen Defekte und ggflls. eine chirurgische Therapie angezeigt. In beiden Fällen ist das Ergebnis zu dokumentieren. Es sollen keine kariösen Defekte, keine unversorgten pulpal erkrankten Zähne und keine absehbaren chirurgischen Behandlungen (z.B. Extraktionen) gegeben sein. Eine röntgenologische Dokumentation ist im Fall einer geplanten PAR zwingend, in anderen Fällen empfehlenswert.

Die Füllungstherapie sollte auf eine absehbare spätere ZE-Versorgung hin angepasst sein. Es wäre unwirtschaftlich, eine aufwändige Füllungsversorgung vorzunehmen und kurz darauf die versorgten Zähne mit Kronen prothetisch zu versorgen. Für den Fall dass absehbar ist dass eine ZE-Versorgung folgen soll sind Füllungen semipermanent (z.B. mittels Glas-Ionomer etc.) zu versorgen.

Bei der Planung der Füllungsversorgung muss die Technik patientenbezogen individuell gewählt werden – stark kariesaktive Patienten oder solche mit einem hohen Plaquelevel sollten bestenfalls mit Amalgam, jedenfalls nicht mit subgingival endenden  Kunststofffüllungen versorgt werden. Alle bisher erhältlichen Kunststoffmaterialien, seien es Kompomere oder Komposite, sind gegenüber bakteriellen Biofilmen sehr sensibel – am Interface Zahn/Füllung besteht stets eine erhöhte Gefahr von Sekundärkaries, hier müssen patienteneigene Gewichtungen vorgenommen werden.

Prothetik

Nach einer vollständigen Vorbehandlung kann ZE geplant und angefertigt werden. Hierbei muss ebenfalls patientenbezogen individuell geplant werden. Patienten mit einer hohen Kariesmorbidität, Patienten mit unsicherer Parodontalprognose und Patienten mit eingeschränkten finanziellen Möglichkeiten sollten einfachen Zahnersatz erhalten, Patienten mit sehr guter Mundhygiene, guter PAR-Prognose sowie ausreichend finanzieller Potenz können hochwertige Prothetik bis hin zur Implantatversorgung erhalten. Dabei sind alle gelisteten Parameter abzuwägen, um letztlich eine individuell auf die Patientensituation abgestimmte Prothetikplanung und –versorgung erstellen zu können.

Fazit:

Ohne ein individuelles Eingehen auf Patienteneigenschaften, Mundhygienegewohnheiten und wirtschaftliche Gegebenheiten scheint eine korrekte Versorgung unmöglich – die individuelle Vorgehensweise, bezogen auf die Patientensituation und nicht auf Vorlieben des Zahnarztes, ist eine Conditio sine qua non!

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