Zahnerkrankung: welche Therapie?

Zahnerhalt oder Prothetik?

Vor der Frage steht der Zahnarzt immer häufiger: soll ein schwer beschädigter Zahn noch erhalten oder extrahiert und ersetzt werden durch konventionellen ZE oder Implantat? Die enorme Zunahme an Implantationen zeigt einen Trend, hin zu mehr festsitzendem Ersatz. Bei den für die Patienten hohen Kosten kann man folgern, dass es wohl doch eine Frage der mundbezogenen Lebensqualität sein dürfte, wenn Zähne durch Implantate ersetzt werden und nicht durch schleimhautgetragenen Ersatz. Da muss die Frage gestattet sein, weshalb denn dann nicht Zähne erhalten, wenn Lebensqualität an „festen“ Zähnen gemessen wird (dies ist natürlich nur indirekt messbar über die Motivation, viel Geld in die Hand zu nehmen)?

Hier sollte einmal der Blick auf die unsinnigen

Regelungen im deutschen Gesundheitswesen

gerichtet werden.

Der Sozialversicherte – und dazu gehören etwa 90 Prozent der Bevölkerung – hat Anspruch auf kostenlose Betreuung beim Arzt und Zahnarzt („Sachleistung“), so steht es im SGB V (Sozialgesetzbuch). Allerdings wurde das Sachleistungsprinzip kontinuierlich ausgehöhlt durch zahlreiche Kostendämpfungsgesetze. Aktuell wird nur noch etwa 50 Prozent des Gesamterlöses in Zahnarztpraxen durch Leistungen der gesetzlichen Kassen erzielt (ausgedrückt durch Zahlungen über die KZV), die andere Hälfte der Einnahmen wird entweder direkt vom Patienten getragen oder via Privatversicherung erstattet. Mit zu berücksichtigen wären auch noch die Leistungen der GKV die nicht über die KZV abgewickelt werden (insbesondere ZE). Die Diskussion zur Bürgerversicherung hat wohl Jedem deutlich gemacht dass es hier vermutlich beabsichtigt eine gezielte Quersubventionierung gibt: „Privatpatienten“ – dazu gehören eben zunehmend auch GKV-Patienten – zahlen für relativ weniger Leistungen einen weit überproportionalen Anteil, während Sachleistungen deutlich geringer zur Finanzierung der Praxen beitragen.

Nun wird dies ja nie explizit eingestanden von den Verantwortlichen in Politik und Kassenverwaltung, nicht einmal die (Zahn)Ärztevertreter weisen darauf konsequent genug hin. Der (Zahn)Arzt in der Praxis muss seinen Patienten ohne wesentliche Unterstützung Privatleistungen förmlich aufschwatzen, um die Defizite der GKV auszugleichen. Daneben gibt es natürlich auch wirkliche Versorgungslücken. Z.B. ist vollkommen unverständlich, dass bei aller propagierten Zielrichtung „mehr Vorbeugung – mehr Prophylaxe“, ausdrücklich erwähnt im SGB V, Prophylaxeleistungen zurückgefahren wurden (Zahnreinigung, sowieso schon unzulänglich, darf via KVK nur noch jährlich abgerechnet werden, was nie und nimmer als ausreichend angesehen werden kann (SGB V: „ausreichend, notwendig und wirtschaftlich“). Das ist nicht einmal wirtschaftlich. Höchstens nicht notwendig, wenn man den gedanklichen Ansatz hat, nur Erkrankungen dürften via Sachleistung behandelt werden. Dahinter , so der wohl berechtigte Verdacht, verbirgt sich die Idee, „Reiche“ überproportional an den Kosten der Gesundheitsversorgung beteiligen zu wollen, und Arme fallen dann eben manchmal aus dem sozialen Netz, aber, sie bekommen ja zum Ausgleich Zahnersatz zum Nulltarif. Auch dahinter darf man ein Grundprinzip vermuten: Politiker  – die machen ja solche Gesetze – sehen Prothesen wohl als durchaus ausreichend an (muss man nur einmal die Auftritte in der Öffentlichkeit begutachten, die haben kaum gepflegte Zähne), und Zahnerhalt gilt denen wohl als „Luxus“ für „Reiche“.

Nun sollte ein Zahnarzt jedoch nicht seine moralisch-ethische Aufgabe durch unsinnige Vorgaben aus den Augen verlieren. Oberstes Ziel muss sein, die Gesundheit der Patienten zu bewahren (Prophylaxe) bzw. wieder herzustellen (Heilung). Bei dieser Aufgabe darf es keinesfalls eine Beschränkung nur auf „objektive“ Befunde oder gar nur auf die Mundhöhle/das stomatognathe System geben. „Objektivität“ ist gefährlich, weil dabei allzu leicht die seelische Befindlichkeit des Patienten aus den Augen verloren wird. Hilfreich ist hier die Beachtung von Parametern der „mundbezogenen Lebensqualität“, die mittels Fragebogen erhoben werden kann und die subjektive Befindlichkeit der Patienten widerspiegelt. Dabei werden dann individuelle Bedürfnisse in die Befunde/Diagnosen und die daraus resultierende Therapieplanung mit eingebracht. Jeder kennt das: für den einen Patienten bricht eine Welt zusammen wenn er seine Zähne durch Extraktion verliert, der andere ist erleichtert die Störenfriede endlich los zu sein. Lebensqualität ist eben für Jeden etwas anderes. Deshalb sollte für die Planung einer Therapie stets auch die Erhebung der mundbezogenen Lebensqualität sowie eine individuelle Abfrage der Einstellung zu ZE zu den Unterlagen genommen werden.

Leider wird diese fachliche Sicht konterkariert durch Störungen aus den Vorgaben der staatlich verordneten Bürokratie. Diese beeinflusst die Entscheidungen des Zahnarztes in zunehmendem Maße. So wird seit Jahren, mit steigender Härte, über „Wirtschaftlichkeitsprüfungen“ erzwungen, dass weniger konservierende Leistungen als Sachleistung abgerechnet werden (können). Die Anzahl an abgerechneten BEMA-Punkten „Kons/Chirurgie“ stieg über Jahrzehnte und kam seit 2007/2008 vollkommen zum Stillstand (KZBV Jahrbuch). Dies als Erfolg der Prophylaxe interpretieren zu wollen ist weltfremd. Schließlich rollt aktuell eine riesige Zahl an Emigranten, insbesondere aus besonders unterentwickelten Zivilisationen, in unser Land, was den Gesundheitssektor und insbesondere den zahnärztlichen Bereich enorm belastet: Zuwanderer aus unterentwickelten Zivilisationen haben einen weit überdurchschnittlichen Behandlungsbedarf. Zum einen ist Mundhygiene in den Herkunftsländern so, wie wir sie kennen, unbekannt, das könnten sich die Leute dort gar nicht leisten. Erschwerend kommt hinzu dass die Lebensweise ganz anders ist – kommen die Migranten mit unserer Zivilisationsnahrung näher in Kontakt, ist die Folge von mangelhafter Mundhygiene und extrem kariogener Kost die massiv auftretende Karies, etwas, was wir mittlerweile kaum noch kennen, vergleichbar der Situation in den 80er Jahren. Die Erfolge der Prophylaxe haben der einheimischen Bevölkerung nebst karies-gesunden Gebissen (da wurden die WHO-Vorgaben bei weitem übertroffen) ganz andere gesundheitliche Fragen eingebracht: weil Zähne so lange halten bekommen wir eine Welle an Parodontalerkrankungen. Diese fallen jedoch nicht in die Durchschnittsstatistik „Kons/Chir“. So kann der Stillstand nur mit der durch Wirtschaftlichkeitsprüfungen bewirkten Verlagerung der zahnärztlichen Tätigkeit erklärt werden. Anstatt der an sich möglichen konservierenden Versorgung wird eben Zahnersatz beantragt und eingegliedert, die Sozialordnung erlaubt dies ohne Selbstbeteiligung der betroffenen Patienten. Leider liegen dazu keine statistischen Erhebungen mehr vor, nach der Änderung der Gesetzeslage wird seit 2004 nicht mehr über die KZV abgerechnet.

Um drohenden Honorarkürzungen bzw. –rückforderungen zu entgehen bleiben den Zahnärzten prinzipiell zwei Möglichkeiten: entweder ausweichen auf Prothetik oder Abrechnung konservierender Leistungen mit Privatliquidation. Letzteres kann natürlich nur in wirtschaftlich gesunden Gegenden mit zahlungskräftiger und –williger Klientel umgesetzt werden.

Medizinisch-/wissenschaftliche Betrachtung

„Zahnerhalt geht vor Zahnersatz“, dies galt schon immer und ist heute wichtiger denn je, da die Möglichkeiten ganz andere sind. Bei endodontischen Therapien z.B.  finden wir heute in der internationalen Literatur Erfolgsraten von weit über 90 Prozent, vergleichbar den Implantaten. Das hat vor etlichen Jahren ganz anders ausgesehen. Hier hat der medizinische Fortschritt eine enorme Verbesserung der Prognosen bewirkt. Oder betrachten wir die Entwicklung der Füllungstechnik – statt „extension for prevention“ können wir mittels Adhäsivtechnik sogar im Dentin Defekte so frühzeitig minimal invasiv versorgen dass die Lebenserwartung eines kariös erkrankten Zahns nicht in Jahren sondern Jahrzehnten bemessen werden muss. Prinzipiell ist es durchaus möglich die natürliche Dentition bis an das Lebensende zu erhalten. Die Extraktion aus medizinischen Gründen ist eine ultima ratio, die kaum noch notwendig ist. Bei Beachtung aller modernen Möglichkeiten ist der Zahnerhalt (fast) immer möglich – nur, der Aufwand ist dann entsprechend hoch, was sich naturgemäß im Preis niederschlagen muss. Und hier haben wir das Kardinalproblem: die gesetzlich vorgegebenen Honorare lassen nur eine deutlich abgemagerte Behandlungsgüte zu, auch bei „Privatpatienten“ nach GOZ. Richtig gute Arbeit geht nur ganz außerhalb, nach Privatvereinbarung. Bei den Anwälten hat sich dies längst durchgesetzt: unter 250 € pro Stunde vereinbartes Honorar wird kaum einer tätig (vergleichen Sie mal da die GOZ-Sätze!), und dies wird von der Klientel ohne großes Murren akzeptiert. Da fragt man sich, weshalb so etwas nicht in einem deutlich wichtigeren Fachgebiet, der Heilkunde, umsetzbar wäre – die Antwort ist so einfach wie niederschmetternd.  Der Zahnarzt hat viel zu oft Hemmungen, einen gerechten Lohn zu fordern! Und, natürlich, die öffentliche Meinung gesteht dem Schmalspurakademiker Jurist (sieben Semester Studium und dann Examen) eher zu dass er mit seinen Rechnungen hinlangt als dem Einserabiturienten Zahnarzt mit seinem mindestens 10-semestrigen Studium, in dem er pro Woche so viele Pflichtstunden hat wie der Jurist im Monat. Kommt in der Öffentlichkeit kaum an, dass es da Bildungsunterschiede gäbe…

Wenn nun  der Zahnarzt – wie es die Juristen tun – auf einem anständigen Honorar besteht, können auch ganz andere Qualitäten an Arbeit geleistet werden, bis hin zum Erhalt auch wirklich schwer geschädigter Zähne.

Hierunter fallen:

Marktote Zähne,

mit oder ohne apikale Beteiligung (Therapie kann bis zu einem Jahr dauern, mit häufigen Sitzungen). Was ist da zu tun? Apikale Aufhellungen, Zeichen einer Ostitis oder Zyste, können orthograd (!) nach vorläufiger Aufbereitung des Kanalsystems durch Einlagen mit Kaliumhydroxid, bei Schmerzsensationen anfangs Ledermix Paste, sowie deren wiederkehrenden Wechsel (maximaler Zeitabstand cá 4 Wochen) vollkommen ausgeheilt werden. Nach vollständiger Ausheilung und Aufbereitung kann dann das Kanalsystem mit plastifizierter Guttapercha mit oder ohne zusätzlich eingebrachtem Kanalzement definitiv verschlossen werden. Nicht vergessen darf dabei die weitere Versorgung werden: Überkronung oder Zahnaufbau und –stabilisierung durch adhäsive Füllungsmaterialien. Die Methodik hat sich auch im weit distal liegenden Molarenbereich bewährt, wobei nach den Kriterien der GKV (Richtlinien BEMA) die Behandung von  Molaren als nicht wirtschaftlich angesehen wird. Heilungserfolge bei Zähnen mit röntgenologisch erkennbarer zirkulärer Aufhellung bis fünf und mehr mm können aus eigenem Patientengut nachgewiesen werden und sind bei entsprechender Vorgehensweise die Regel.

Parodontal erkrankte Zähne,

auch mit tiefen Taschen, lassen sich auf lange Sicht (bei entsprechender Mitarbeit des Patienten) erhalten, mit regenerativen Verfahren lassen sich New Attachment und Neubildung von Alveolarknochen bewerkstelligen, auch hier können eigene Fallbeispiele als Beweis herangezogen werden. Selbst Taschentiefen von acht mm sowie Lockerungsgrad II bis II können so ausgeheilt werden.

Kariös zerstörte Zähne

mit Verlust fast der gesamten klinischen Krone können nach Endo-Therapie sowie der Einbringung von adhäsiv verankerten Wurzelstiften mittels Adhäsivmaterialien wieder aufgebaut werden, wobei hier die endgültige Versorgung mit einer stabilen Krone (Metall oder Keramik) die Endlösung für einen langen Zahnerhalt darstellt. Selbst aus Wurzelresten kann noch ein Zahnstumpf aufgebaut werden (Techniken: chirurgische Kronenverlängerung, eventuell orthodontische langsame Extrusion der Wurzel) – wesentlich ist stets, dass der Zahnarzt sich das nötige Wissen sowie die Fertigkeiten angeeignet hat und es schafft, die Kosten für diesen enormen Aufwand auch an den zahlungspflichtigen Patienten weiterzugeben.

Nun ist jedoch zu beachten, dass wir hier in Größenordnungen vorstoßen, die leicht die Kosten für Zahnersatz übersteigen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Risiken allzu einseitig beim Zahnarzt zu liegen kommen; scheitert die Therapie, aus welchem Grund auch immer, und der unzufriedene Patient sucht den Gutachter auf, wird allzu leicht überzogene Profitgier beim Zahnarzt vermutet und dem Patienten Schadensersatz zugesprochen. Hier wäre ein Umdenken sicherlich nötig.

Prothetik

Allerdings bleibt festzuhalten: auch Implantate, so wie anderer Zahnersatz auch, haben eine nur begrenzte Lebensdauer. Denken wir nur an die Problematik der Periimplantitis, die sich inzwischen beginnt herumzusprechen. Gerade die modernen Implantate mit ihrer bis in die Mucosa reichenden Gewindestruktur lassen die Therapie einer Periimplantitis zum Albtraum werden. Wenn dann so ein Implantat verloren geht hat man kaum noch belastbaren Knochen für eine Ersatzimplantation, zudem sind die Patienten wegen des vorgerückten Alters weniger OP-fähig.

Auch konventioneller ZE hat Tücken: bei festsitzendem Ersatz (Brücken) ist meist die Hygienefähigkeit eingeschränkt, was zu Sekundärschäden führt. Auch ist das Präparationstraume nicht zu unterschätzen, nicht selten verliert ein präparierter Brückenpfeiler die Vitalität und wird dann selbst zum Problem. Wenn dann ein Brückenpfeiler verloren geht muss die Brücke erweitert werden, Vorstufe zum schleimhautgetragenen ZE.

Schleimhautgetragener ZE hat primär den Nachteil inne, dass damit die mundbezogene Lebensqualität leidet, bei den meisten Patienten jedenfalls, und rein objektiv besteht das Problem dass es zur Druckatrophie der tragenden Gewebe (Knochenlager) kommt mit der Folge dass eine spätere Implantation auch nur noch mit Klimmzügen möglich ist.

Ist ZE definitiv unvermeidbar, z.B. weil die Patientensituation schon besteht beim Erstbefund, sollte jedenfalls der festsitzende Ersatz durch Implantate bevorzugt werden, so wie das mehrheitlich bereits so stattfindet.

In allen dargestellten Varianten gilt:

  • Die Patienten-eigene Dentition ist so weit als möglich zu schonen bzw. zu erhalten, auch wenn es eines großen Aufwandes bedarf
  • Um das Ergebnis der zahnärztlichen Therapie zu sichern auch über längere Zeiträume hinweg ist eine stabile Arzt-Patienten-Beziehung zur Durchsetzung einer guten Compliance (Prophylaxe) von entscheidender Wichtigkeit. Je mehr Zahnsubstanz durch zahnärztliches Material ersetzt wurde desto wichtiger ist die Prophylaxe!
  • Auch ZE bedarf großer prophylaktischer Anstrengungen – es ist eine Illusion, dass die Mundhygiene bei Eingliederung von ZE vernachlässigt werden dürfte.
  • Es sind, wenn immer möglich, „biologische“ Materialien einzusetzen (Keramik) bzw. wird zahnfarbenes Material aus Gründen der Lebensqualität zu bevorzugen sein
  • Und last but not least muss heute das Beratungsgespräch jedenfalls auch die wirtschaftliche Komponente beinhalten, auch die finanzielle Langzeitbetrachtung.

Fazit: die Entscheidung Zahnerhalt oder ZE hängt heute eher von der wirtschaftlichen Situation des Patienten sowie dessen ganz individuellen Vorlieben und Befindlichkeiten (Stichwort mundbezogene Lebensqualität) ab als von objektiven medizinischen Kriterien, was bedeutet, dass der Aufklärungs- und Informationsbedarf deutlich an Gewicht (gegenüber früher) zugenommen hat.

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