Psychologie der Verhaltensänderung

Psychologie der Verhaltenssteuerung und -änderung

Zahnerkrankungen insgesamt und Parodontitiden insbesondere sind eine unmittelbare Folge von menschlichem Fehlverhalten, d.h., ungenügender Mundhygiene in Zusammenhang mit Fehlernährung. Nur in extrem seltenen Ausnahmen gibt es andere Ursachen, die jedoch für den normalen Praxisalltag vollkommen irrelevant sind. Dies konnte in zahlreichen Studien belegt werden, eine Aufzählung der Literaturstellen erübrigt sich, das es praktisch keine anderslautenden Ergebnisse gibt.

Wissenschaftlich eindeutig bewiesen ist, dass der Verweis auf genetische Disposition (die gibt es, jedoch hat sie nur Folgen bei Fehlverhalten, d.h., Fehlverhalten hat nicht bei jedem Individuum die ähnlich schlimmen Folgen) praktisch immer eine schlichte Schutzbehauptung ist. Der Normalfall ist: Unsere Patienten ernähren sich falsch und sie betreiben nicht die adäquate Mundhygiene.

Erschwerend kommen weitere Fehlverhalten hinzu: in hohem Prozentsatz wird geraucht (obgleich es an den schlimmen, auch tödlichen, Folgen des Rauchens überhaupt keinen Zweifel mehr geben kann), es gibt durch Bewegungsmangel und Fehlernährung in Kombination eine immer mehr Menschen betreffende Neigung zur Adipositas mit der Folge von Herz-/Kreislauferkrankungen und Diabetes, und es gibt durch unnatürlichen und unnötigen Stress verursachte zusätzliche Belastungen.

Damit sind die meisten Erkrankungen insgesamt und die Krankheiten der Mundhöhle im Besonderen zum weit überwiegenden Teil von menschlichem Fehlverhalten bestimmt und nicht etwa schicksalhaft oder unabwendbar. Dies ist Alles längst bekannt – nur, wesentliche Auswirkungen auf das Verhalten der Menschen hat dieses Wissen bisher nicht, es scheint eher so, dass die Verhaltensdefizite noch weiter zunehmen:

  • Adipositas (Fettleibigkeit) wird immer häufiger und und immer früher angetroffen
  • Raucherkarrieren beginnen immer früher, insgesamt nimmt das Rauchen in Deutschland (im Gegensatz zu internationalen Entwicklungen) immer noch weiter zu. Rauchverbote, inzwischen internationaler Standard, werden in Deutschland nur zögerlich und mit zahlreichen Ausnahmeregelungen umgesetzt.
  • „Prophylaxeerfolge“ gibt es so richtig derzeit lediglich auf dem Gebiet der Karies, wobei hier vermutlich weniger Verhaltensänderungen, sondern der Einfluss der Fluoride und der Konservierungsmittel (es werden immer mehr Fertigprodukte gegessen, die mit Konservierungsmitteln – die ja bakterizid wirken – versetzt sind) für einen Rückgang der Kariesinzidenz ursächlich sind; eine tatsächlich deutlich bessere Mundhygiene jedenfalls kann man nicht feststellen (immer noch liegt der durchschnittliche jährliche Verbrauch an Zahnbürsten pro Kopf viel zu niedrig, der Verbrauch an Zahnseide kann nur in Zentimetern pro Jahr und Kopf gezählt werden). Bezüglich Parodontitis ist deshalb immer noch mindestens jeder Dritte dringend behandlungsbedürftig.

Herz-/Kreislauferkrankungen und Diabetes (typische „Zivilisationskrankheiten“) nehmen weiter zu
typische Rauchererkrankungen (Gefäßerkrankungen, Neoplasmen, etc.) sind weiter auf dem Vormarsch
am raschesten nehmen Darmerkrankungen (Karzinome) in der Häufigkeit zu, typische Folge der ballaststoffarmen Fast Food Ernährung (die Dickdarmpolyposis, Vorstufe der Karzinome, ist in Deutschalnd mittlerweile ebenso häufig wie in USA)
in der Zahnheilkunde sind Erosionen der Zähne inzwischen ein eigenes, häufig zu sehendes, Krankheitsbild, verursacht durch „Erfrischnungsgetränke“ mit absurd hohem Säuregehalt, „abgeschmeckt“ durch Zucker.

Der Staat, repräsentiert durch die gesetzliche Kranken- und Rentenversicherung sowie durch die Schule, fördert eher Fehlverhalten als dass er es eindämmen würde; in Schulen gibt es eigene Raucherzimmer für Lehrer und Schüler (!) (oder „Raucherecken“), die schuleigenen Essens- und Getränkeangebote enthalten Fett, Zucker oder Säuren (sind also sehr ungesund), die Krankenversicherung bestraft gesundes Verhalten (wer erkrankt ist, braucht nicht zu arbeiteten und erhält 100 Prozent des Nettogehaltes – damit hat der Arbeitende nach Abzug seiner Kosten weniger in der Tasche als der Kranke), die Beiträge sind für Menschen mit eindeutigen Verhaltensdefiziten häufig niedriger als für „gesund Lebende“ (es besteht eine deutliche Korrelation zwischen Bildung, Einkommen – also der sozialen Schicht – und der Häufigkeit von Krankheiten; ganz niedere soziale Schichten zahlen überhaupt keine Beiträge und nehmen doch die höchsten Leistungen in Anspruch), Fehlverhalten und damit Erkrankung führen in der Regel zur Frühverrentung, also wieder zur Belohnung des Fehlverhaltens, usw.

Die Gesellschaft toleriert derzeit immer noch diese von falscher Sozialromantik geprägten Regelungen, es besteht ein allgemein anerkannter Konsens dahingehend, dass selbst das krasseste Fehlverhalten keine für das Individuum negativen Folgen haben darf (Beispiel: im Fall der Arbeitslosigkeit wird es als ganz normal und richtig angesehen, dass derjenige, der für Notzeiten erspartes zurückgelegt hat, keine oder geringe Leistungen erhält, der Gewissenlose und Leichtsinnige, mag er auch noch so viel verprasst haben, erhält jedoch die Maximalzuwendung).

Nun hat die Verhaltensforschung ganz eindeutige Ergebnisse erbracht: wird ein Verhalten belohnt, so wird es immer häufiger gezeigt, so lange, bis es stabil verankert ist. Wird ein Verhalten jedoch bestraft, so wird das Individuum den unangenehmen Folgen auszuweichen versuchen und sein Verhalten so weit verändern, bis keine Bestrafung mehr erfolgt.
Es widerspricht also allen wissenschaftlich fundierten Erkenntnissen, Fehlverhalten durch Belohnung zu fördern, es sei denn, man wollte genau dieses Verhaltensmuster auch tatsächlich bewirken (Beispiel: wenn der Raucher eine Extrapause – Rauchpause – eingeräumt bekommt, der Nichtraucher hingegen nicht, so wird der Raucher belohnt, der Nichtraucher hingegen bestraft. Wird der Raucher jedoch auf die Straße verwiesen und muss die Fehlzeit nacharbeiten – wie dies in USA, England, Irland, Italien oder Frankreich so gehandhabt wird -, so wird er sein Verhalten – hier das Rauchen – zu ändern suchen. In den USA rauchen heute viel weniger Menschen als noch vor 20 Jahren und sehr viel weniger als in Deutschland, in dem die Zahl der Raucher immer noch zunimmt). Dies lässt sich auch auf andere Verhaltensmuster übertragen: war es noch vor 50 Jahren ein besonderer gesellschaftlicher Mangel, ledig ein Kind zu bekommen und deshalb ein seltenes Ereignis, so ist dies heute bereits die Regel geworden. Die Vorteile einer ledigen Mutter sind ja auch zu verführerisch – die finanziellen Zuwendungen sind erheblich.

Für die Verhaltensforscher sind die gesellschaftlichen und gesundheitlichen Verhältnisse in Deutschland eine logische Folge der Belohnungssysteme – diese hat es auch in USA (Beispiel) gegeben, allerdings hat dort die Wissenschaft einen größeren Einfluss auf die Politik, weshalb es schon seit geraumer Zeit massive Veränderungen gibt. Ganz aktuell z.B. wurde (noch unter Clinton) die Zeit der Sozialhilfezuwendungen auf lebenslang 3 Jahre beschränkt, die Antiraucher-Politik zeigt Wirkung, und neuestes Ziel ist die weit verbreitete Adipositas, die höhere Versicherungsbeiträge in der Krankenversicherung nach sich zieht, auch erste Fluggesellschaften verlangen nun für Fette einen Zuschlag auf die Ticketpreise.

Nun steht der Praktiker bei uns ja nicht im leeren Raum – wir haben nun mal die Gesellschaft mit ihren Fehlleistungen. Diese konterkarieren jegliche Bemühung – deshalb ist es bis heute kaum gelungen, real funktionierende Prophylaxemodelle in der Praxis zu integrieren, lediglich vereinzelt kann man Erfolge sehen. Dabei sind die bisher propagierten Methoden primär auf Verständnis abgestellt – wie PISA gezeigt hat, kann man darauf beim größten Teil der Bevölkerung nicht hoffen. Appelle an Verständnis bleiben genau bei denen besonders wirkungslos, die die Prophylaxe am nötigsten brauchten, nämlich der sozialen Unterschicht.
Es ist also zu fordern, für diese breite Masse, die die überwiegende Zahl der Krankheiten erwirbt und so auch die Hauptkosten verursacht, ein anderes, funktionstüchtiges Modell zu erarbeiten und umzusetzen.

Nach diesen einleitenden Worten sollte bereits klar sein, dass nur eine klare Strukturierung erfolgreich sein kann – Halbheiten würden mehr schaden als nutzen, da – auch das konnte die Verhaltensforschung darstellen – intermittierende Verstärker (ein Fachbegriff, der wechselnde Reaktionen auf bestimmte Verhaltensmuster, wie einmal Belohnung oder Bestrafung und dann keine Reaktion, bedeutet) ein gezeigtes Verhalten noch mehr zementieren anstatt es zu verändern.
Zur weiteren Erklärung: bei intermittierender Verstärkung kann sogar eine sporadisch erfolgende Bestrafung ein gezeigtes Verhalten noch weiter festigen – das ist gerade für uns fatal. Wenn der Mensch sündigt (z.B. indem süß gegessen wird, ohne adäquate Mundhygiene), so hat er ja nicht jedes Mal Zahnschmerzen, wird also nur sporadisch dafür bestraft. Damit wird das Fehlverhalten durch intermittierende Verstärkung noch bestärkt, das führt dazu, dass ein Zusammenhang mit der Fehlhaltung und den Folgen (also den Zahnschmerzen)  vehement geleugnet wird.
Wir wollen jedoch ein als ungünstig identifiziertes Verhalten – nämlich ungenügende Mundhygiene nebst Fehlernährung – dauerhaft verändern und nach Erreichen eines erwünschten Verhaltens stabilisieren. Der Zahnarzt muss also allen Ernstes als Verhaltenstherapeut tätig werden, will er dauerhaft Erfolg haben (die Rezidivrate nach PAR-Therapie von 50 Prozent und mehr ist normalerweise keine Folge zahnärztlicher Fehlbehandlung, sondern des weiter bestehenden Fehlverhaltens der Patienten – wie soll eine Erkrankung heilen, wenn die Ursachen nie abgestellt werden?), eine wahrhaft nicht leichte Aufgabe in dem negativen Umfeld, das er vorfindet (siehe oben), und dazu bedarf es auch einer corporate identity des ganzen Teams, d.h., Alle müssen an der gemeinsamen Aufgabe mitwirken, und keiner darf aus der Reihe tanzen, sonst bekommen wir wieder „intermittierende Verstärker“.
Zweifler mögen sich an die entsprechenden Fachinstitutionen halten, z.B. www.dgvt.de Deutsche Gesellschaft für Verhaltenstherapie oder Infos unter www.wissen.de/wde/generator/wissen/ressorts/natur/naturwissenschaften/indexoffline,page=1265908.html einholen.

 

Prinzip der Verhaltenstherapie in der Praxis

Zu Beginn muss eine schonungslose Analyse der Situation stehen. Ausreden, wie „schon meine Mutter hatte da Probleme, ich habe das geerbt“ sind mit Entschiedenheit zurückzuweisen. Das ist so wie in der katholischen Kirche: der Patient hat zu „beichten“, d.h. er muss seine Verfehlungen vortragen (der Zahnarzt ist quasi sein Beichtvater, und dieser muss auch nachbohren, freiwillig kommt da wenig). Dann hat der Patient als der Sünder auch seine Verfehlungen als solche zu erkennen und zu bereuen – daraus erwächst schon mal eine erste Motivation, etwas zu ändern. Kann oder will ein Patient sein Selbstverschulden an seinen Zahnproblemen nicht einsehen, so kann man ihm auch nicht helfen, geradeso wie der katholische Pfarrer dann auch keine Absolution erteilt.
Das religiöse Beispiel wurde hier mit Bedacht gewählt: die Methoden der Religion zielen ja ebenfalls auf Verhaltensänderungen (man sollte sich nicht mehr einfach gegenseitig einfach totschlagen, wie das bei den alten Germanen durchaus üblich war). Wir müssen also eine Art „Zehn Gebote“ aufstellen, deren Nichtbefolgung strafbedroht ist und deren Befolgung belohnt wird. Dummerweise steht bei der Zahngesundheit nur das Versprechen auf spätere Seligkeit, wie das ja auch bei der Religion der Fall ist – unmittelbare Belohnungen wären (und sind) allemal besser. Im Fall der Religion war dies die Achtung, die ein „anständiger“ Mensch durch seine Mitmenschen erfahren hat, wir brauchen also ebenfalls kurzfristig wirkende Verstärker. Nur langfristige Versprechen (also die Seligkeit im Jenseits) haben schon in der Religion wenig genützt, und das nützt auch bei uns kaum: wenn wir einem Patienten versprechen, dass er in vielleicht 20 Jahren den Nutzen aus einer heute stattfindenden Maßnahme ziehen wird, werden wir kaum auf viel Verständnis treffen. Der Patient will hier und jetzt, sofort, etwas davon haben!

Um eine gezielte verhaltenstherapeutische Korrektur menschlichen Fehlverhaltens gegen alle Widerstände der Umwelt durchsetzen zu können, muss eine Abgrenzung geschaffen werden – religiöse Sekten, bestimmte gesellschaftliche Gruppierungen (z.B. die „Bio“-Bewegung) oder auch beispielsweise bestimmte Volksgruppen haben erfolgreich vorgemacht, wie man seine ganz eigene Welt mit eigenen Regeln mitten in einer Umwelt, die ganz anderen Gesetzen folgt, schaffen und erhalten kann.
Also erfinden wir eine „Religion“ für orale Gesundheit, mit strengen Regeln und Gesetzen, und mit einem eindeutigen Belohnungs- und Bestrafungssystem. Ein Nebeneffekt: die „Gläubigen“ werden dadurch intensiv an ihre Gemeinde (hier: die Praxis) gebunden. Dies kommt auch einem Grundbedürfnis der Menschen entgegen, sich in einer überschaubaren Gruppe einzuordnen, das durch die Zerstörung der Familien und einer Unpersönlichkeit der öffentlichen Strukturen nicht befriedigt werden kann. Wenn man genau hinschaut, sind die „Stammpatienten“ einer Praxis ja auch schon Gläubige: „Ihr“ Doktor ist der beste, obgleich doch „alle Zahnärzte Halsabschneider sind“…
Das kann und sollte man nutzen!

Diese Effekte erklären auch, weshalb in Praxen mit überzeugten Prophylaktikern die zahnmedizinische Prävention ohne größere Probleme durchsetzbar ist, wohingegen Andere behaupten, bei Ihnen seien die Patienten dafür nicht zu gewinnen1. Nun sind solche Erfolge meist eher zufällig, weil eben Überzeugung dahinter steht – man kann und sollte dies jedoch systematisch angehen, da dann der Erfolg nicht mehr zufällig, sondern sicher eintreten kann.

 

Die zehn Gebote der Prävention
 

Als erste wesentliche Grundlage jeder Gemeinschaft sind strenge Regeln erforderlich, deshalb sollte man solche auch für die Gemeinschaft der „Prophylaktiker“ formulieren und als Glaubensbekenntnis propagieren.
 

  1. Der Zahnarzt und seine Mitarbeiter sind die einzig zuständigen und kompetenten Fachleute in Sachen zahnmedizinischer Prävention
  2. kein Anderer, kein Allgemeinarzt, Kassenangestellter oder Politiker hat diese Kompetenz
  3. Karies und Parodontitis sind kein Schicksal, sie sind vermeidbar
  4. wer oral gesund werden, sein und bleiben möchte muss den Anweisungen und Empfehlungen des Praxisteams unbedingt Folge leisten
  5. nur regelmäßige Kontrolle der häuslichen Mundhygiene sichert den Erfolg
  6. nur regelmäßige Prophylaxesitzungen in der Praxis sorgen für langfristige Mundgesundheit
  7. Je gesünder die Ernährung, desto seltener der Zahnarztbesuch mit Prophylaxesitzung
  8. Je besser die eigene Mundhygiene, desto seltener ist die Prophylaxesitzung notwendig – regelmäßig (mindestens 2x täglich) Zähne putzen, Zahnseide verwenden (mindestens 3x pro Woche)
  9. Zusätzliche Hilfen, wie Mundspülungen, Zahnpasten usw. sollen nur in Absprache mit dem Praxisteam eingesetzt werden
  10. Wer diesen Geboten ganz genau folgt, wird lebenslang ein gesundes Gebiß haben!

Daraus folgt die auch für die Patienten nicht unwichtige Aussage, dass derjenige, der sehr gut mitmacht, auch weniger Kosten für die Praxisbesuche hat. Gleichzeitig gilt das Versprechen, dass hier dauerhaft Gesundheit gewährleistet wird – daraus folgt, dass die Praxis „Garantien“ für die zahnärztlichen Leistungen abgibt. Damit beweist man, dass man selber an die vorgetragenen Thesen glaubt – was könnte da noch überzeugender sein?!
 Für die PAR-Therapie wichtig ist auch, dass man nicht bei der Kürettage (der Vorbehandlung) oder einer bloßen Lappen-OP stehen bleibt, wenn tiefe Taschen vorhanden sind. Hier ist zur Bedingung für Garantien zu machen, dass neben der perfekten Mitarbeit des Patienten auch regenerative Methoden angewendet werden, um das Ergebnis zu sichern. Hieraus ergibt sich zwingend, dass eine PAR-Therapie niemals innerhalb der GKV erbracht werden kann.
Dies hat zwei Gründe: zum einen ist die GKV-PAR so unzulänglich, dass man sie nicht einmal als richtige Vorbehandlung ansehen kann, zum anderen hat ein Patient, der per GKV nur passiv betroffen wäre – er bezahlt ja nichts – kaum eine Motivation, mitzuarbeiten. Wenn die Zahnbürste mehr kostet als der Zahnarzt, weshalb sollte man dann etwas an seinem Verhalten ändern? Da fehlt jeglicher Anreiz! Und das bloße vage Versprechen, in Zukunft könnte es nutzen – darauf setzt doch heute Keiner mehr …
Dass hier das Beispiel PAR gewählt wurde, erklärt sich dadurch, dass auf diesem gebiet die Compliance besonders wichtig sit. Kareis kann man auch durch passive Maßnahmen (besondere Zahnpasten, Mundspülungen, etc.) gut reduzieren, bei Parodontalerkrankungen geht das nur sehr eingeschränkt, hier ist die aktive Mitarbeit (z.B. Benutzung von Zahnseide) elementar.

Die kleinen Schritte, die zum Erfolg führen

Ein Patient wird zuerst gründlich untersucht, das ist ja die Voraussetzung für jegliche Diagnostik. Wird eine PAR-Erkrankung festgestellt, so wird dies (logisch) dem Patienten mitgeteilt, samt Aufklärung über die Folgen (auch allgemeinmedizinische! Beispiel: Osteoporose, Graviditätsprobleme, Herz-/Kreislaufprobleme, usw.).
Dies ist im verhaltenstherapeutischen Sinn eine „Strafe“, weil ja der Patient durch solche Eröffnungen erst mal leidet. Ist ja für Viele schockierend, wenn man denkt, ist ja bloß was an den Zähnen, und dann eröffnet der Zahnarzt einem, dass man massiv erkrankt ist, mit Folgen für Herz, Nachwuchs, Knochen, Nieren, usw. Schonung wäre kontraproduktiv- nicht nur, dass die Aufklärungspflicht ja solche Information vorschreibt (Infos dazu finden Sie auf unseren Downloadseiten, ein komplettes Info-System unter www.gh-praxismanager.de), so ein Schock kann auch heilsame, weil motivierende, Wirkung haben.

Erster Schritt

Daraufhin wird der Patient darüber informiert, dass die Erkrankung heilbar ist (Belohnung), aber:
Nur die Befolgung der „Zehn  Gebote“ eine dauerhafte Gesundung verspräche. Wer sich nicht daran halten kann (oder möchte) hat demgemäß mit negativen Folgen zu rechnen.

Hier sollten die negativen Folgen drastisch dargestellt werden:

Allgemeingesundheit ist gefährdet (detailliert darauf eingehen!)

Der drohende Zahnverlust ist durch Nichts zu kompensieren: Prothesen sind eben nur Prothesen (am Beispiel Beinprothese gut darstellbar: wer kann denn ohne Beine bzw. mit Beinprothesen wirklich noch laufen?). Auch wenn Zahnärzte überwiegend als Prothetiker ausgebildet worden sind und an den Erfolg ihrer Arbeit glauben – dieses Teil an Selbstkritik sollte man schon aufbringen, dass man die natürlichen Zähne als besser einschätzt als die noch so gut gelungene prothetische Arbeit.

Prothesen bedeuten auch Verlust an sozialen Verstärkern: die Mitmenschen bringen Prothesenträgern weniger Zuwendung entgegen, sie werden für weniger kompetent gehalten, usw. Auch wenn das Wissen dazu in der Bevölkerung gar nicht da ist (die meisten merken es nicht bewusst, dass keine natürlichen Zähne vorhanden sind), die Reaktion ist unterbewußt da. Natürliche Zähne vermitteln „Sympathie“.

Prothesen sind keine endgültigen Problemlöser: auch mit Prothesen fallen notwendige Zahnarztbesuche an, die Kosten verursachen. Prothesen müssen öfters erneuert werden, weil sie nicht mehr passen (das gilt auch für festsitzende Prothesen, sollte man nicht vergessen!). Es gibt keine Prothese für die Ewigkeit bzw. eine bis ans Lebensende!

Prothesen lassen einen alt aussehen: die typischen Veränderungen des Profils nach Zahnverlust lassen sich mit keiner noch so guten Prothetik vermeiden!

Weitere Argumente lassen sich nach Belieben finden und verwenden, hier sind der Phantasie und der Überzeugungskraft keine Grenzen gesetzt.

Nun sollte der Patient einen ersten richtigen Schritt tun, nämlich die Behandlungsbereitschaft erklären. Leider kann man das nicht direkt belohnen – die notwendige Vorbehandlungsphase, einschließlich Prophylaxesitzungen, sind ja zu bezahlen, d.h., der Patient fühlt sich erst einmal bestraft (das Geld fehlt ja anderswo). Hier muss ein Ausgleich gefunden werden: besondere Zuwendung ist ein mindestens genauso wichtiges Kriterium wie Geld (kann man recht gut einsetzen!), beispielsweise sollte jetzt der vereinbarte Prophylaxetermin „schön“ gestaltet werden: pünktliche Abfertigung ohne Wartezeit (nicht zu unterschätzen!), besonders große Freundlichkeit an Empfang und in der Prophylaxesitzung (da kann man ruhig die Freude darüber ausdrücken, dass der Patient für das Prophylaxeprogramm gewonnen werden konnte), ein kleines Präsent als Belohnung (z.B. eine Grundausstattung an Mundhygienemitteln, das kann man gut mit dem Honorar für die Sitzung kalkulieren, es darf aber nicht auf der Rechnung stehen!). Es ist erstaunlich, wie sehr sich Menschen von kleinen „Guttis“ einnehmen lassen, auch wenn sie rational manchmal durchaus erkennen können, dass sie diese ja selbst bezahlen – der emotionale Effekt bleibt!

Hier wäre Kleinlichkeit kontraproduktiv: wenn keine Belohnung ausgereicht wird, ist die Compliance nicht gegeben …

Zweiter Schritt

Es ist wichtig, dem Patienten Erfolgserlebnisse zu verschaffen. Es ist unwahrscheinlich, dass es Jemand schafft, auf Anhieb sein ganzes bisheriges Leben zu ändern. Also wird man die Umerziehung in ganz kleinen Schritten angehen:
Zuerst könnte man beispielsweise nur die Front von 3 bis 3 in OK und UK perfekt putzen lassen (hier sollten die Interdentalräume dann real Plaque-frei sein. Plaquefrei bedeutet, dass nach Trocknung (!) und Anfärbung mit einem Plaquerelevator definitiv keine Plaques in den Zahnzwischenräumen mehr zu finden sein dürfen! Großzügigkeit in der Auswertung ist Umsinn – der Patient lernt dann gar nichts, und, wenn man dann später meckert, hat man einen intermittierenden Verstärker gesetzt und betoniert das Fehlverhalten.
Hat der Patient endlich gelernt, die Front perfekt zu putzen, wird man die distalen Bereiche angehen, hier sind die Schritte individuell abhängig von der Lernfähigkeit zu setzen: hat der Patient auf Anhieb (das dürfte eine sehr kleine Minderheit sein) gelernt, die Front zu reinigen, kann man natürlich mehr verlangen als von einem Patienten (Mehrheit), der erst nach der dritten oder vierten Sitzung dieses Teilziel verwirklichen konnte.
Die Auswertung der Plaquetests muss gemeinsam mit dem Patienten erfolgen, sonst sind die Ergebnisse nicht nachvollziehbar.
Es ist bei Erreichung eines größeren Teilziels wieder eine Belohnung vorzusehen; das kann beispielsweise ein Utensil zur Interdentalraumhygiene sein (immerhin wird beim Erlernen der Technik Einiges zu Bruch gehen, es besteht Ersatzbedarf), dies könnte eine Mundspüllösung sein, etc.
Ist das Ziel eines gut gepflegten Gebisses erreicht, d.h., kann man ehrlich einen API von 30 Prozent und darunter bestätigen (genau hinsehen!), so sollte eine größere Belohnung vorgesehen werden. Das kann z.B. ein Blumenstrauß sein (bei Frauen) oder ein adäquates Incentive für Männer (da kann man auch die Vorlieben der Patienten nutzen!), als Anerkennung der großen Leistung. Der Erfolg ist dann bestimmt auch für alte Hasen in der Präventionsbetreuung überzeugend!
Dabei soll durchaus eine feierliche Stimmung gehalten werden – es ist schließlich wirklich nicht alltäglich, dass ein Mensch in unserem Lande mindestens 70 Prozent seiner Interdentalräume perfekt sauber gehalten hat! Da ist daran zu denken, eine „Hygieneurkunde“ auszugeben (da macht man gleich preiswerte Praxisreklame, denn, so was zeigen die Leute herum), so ein Zertifikat, zusammen mit der Überreichung eines Blumenstraußes, lässt viele Patienten vergessen, wie viel sie dafür bereits zu zahlen hatten.

Dritter Schritt
 

Es genügt nicht, einmal eine perfekte Zahnreinigung zu sehen und zu bestätigen – diese muss internalisiert werden, d.h., es sind mindestens noch zwei weitere Kontrolltermine nötig, um das Verhalten als einigermaßen stabil ansehen zu können.
Hier könnte die Belohnung so aussehen, dass der Patient dann nicht für diese (kurze) Sitzung zu zahlen hat, wenn der API weiter unter 30 Prozent zu liegen kommt, andernfalls jedoch die (sinnvolle) Nachreinigung in der Praxis in Rechnung gestellt wird.
Da hätte man Bestrafung und Belohnung gleichzeitig als Verstärker eingesetzt.

Vierter Schritt
 

Neben der rein auf Mundhygiene ausgerichteten Verhaltensbeeinflussung ist es sicherlich auch sinnvoll, andere Aspekte der Lebensführung zu bearbeiten. Hier ist insbesondere an das Rauchen zu denken, mit eine Hauptursache für vorzeitigen Zahnverlust und Hauptrisikofaktor bei einer chirurgischen PAR.
Raucherentwöhnung kann man mit Hilfe der Hypnose zumindest in einem gewissen Prozentsatz erreichen (Hypnosekurse auch für Zahnärzte gibt es, und, Hypnose wird ja separat abgerechnet, daran sollte man denken!), andere Möglichkeiten wären z.B. wieder die Vorgehensweise in kleinen Schritten (die erste Zigarette erst zu einem bestimmten Zeitpunkt, z.B. um 9 Uhr, dann 9:30, usw.) oder, auch das ist eine Variante, die Zuweisung des Patienten an eine Raucherentwöhnungsinstitution.
Die Ernährung sollte mit Hilfe eines Tagesprotokolls erfasst und in der Prophylaxesitzung diskutiert werden (dazu sind fundierte Kenntnisse der Ernährungslehre erforderlich, siehe auch Hetz, G. Parodontologie in der Praxis, Zahnärzteverlag Köln, 2003, da wird die Chemie der Nahrungsmittel und Getränke detailliert dargestellt und ihr zahnmedizinischer Bezug erläutert).
Durch eine solche Betreuung gewinnt man gegenüber den Patienten an gefühlter Kompetenz (ist auch sehr wichtig!), und man zeigt, dass man die Sache wirklich ernst nimmt.

Dabei sollte jeder mit der Prävention befasste tatsächlich überzeugt sein: die Ernährung ist ein ganz wesentlicher Punkt in der Prophylaxe von Zahn- und Munderkrankungen, und krasse Fehlernährung kann man auch mit der besten Mundhygiene nicht ausgleichen!
Und:
Wer nicht selbst überzeugt ist, kann auch Andere nicht überzeugen!

Es sollte durchaus kontrolliert werden, ob sich eine Veränderung tatsächlich eingestellt hat: erneute Tagesprotokolle hinsichtlich Rauchgewohnheiten sowie Trink- und Essverhalten (hier ist insbesondere den Getränken besondere Aufmerksamkeit zu schenken: auch „Fruchtsäfte“ sind im Prinzip nur Zuckerwasser und deshalb gesundheitsschädlich, wobei Fruchtsäfte sogar noch zusätzlich Säuren enthalten, die eine unmittelbare Erosion bewirken) sind in definierten Zeitabständen anzufertigen, damit dies auch dokumentierbar ist.

Fünfter Schritt
 

Nach dieser sorgfältigen und (hoffentlich!) erfolgreichen Vorbereitung sollte man nun entscheiden, inwieweit PAR-Maßnahmen tatsächlich geplant und vorgenommen werden können. Die Entscheidung für eine weitere Therapie kann bereits als Belohnung interpretiert werden – immerhin musste sich unser Patient die Zustimmung durch die Vorarbeit „erkaufen“.
Man darf nun nicht vergessen:
der Patient hat teilweise bereits erhebliche Mittel aufgewendet
die ursprüngliche Erkrankung dürfte zu einem nicht unerheblichen Teil gar nicht mehr vorhanden sein
für die therapiebedürftigen Parodontien muss ein in die Zukunft gerichteter Therapieplan greifen, d.h., es sollten immer regenerative Verfahren geplant werden
ganz wichtig: hier ist zu klären, ob noch genug Geld für die Therapie vorhanden ist!
Es ist auch zu klären (mit dem Patienten), weshalb nun noch weitere Maßnahmen erforderlich geworden sind, wenn doch die Blutungsneigung gar nicht mehr gegeben ist
nach diesen rein die „Zahngesundheit“ betreffenden Fragen muss – natürlich – auch die Frage der (ggflls.) prothetischen Weiterversorgung besprochen werden.

Sechster Schritt
 

Die ganze Therapiesystematik basiert auf einer Vorgehensweise in definierten kleinen Schritten, von denen jeder erst abgeschlossen sein muss, bevor der nächste begonnen wird. Und jeder Schritt wird zum Abschluss belohnt – also auch nach der vollständigen Gesundung der Basis, also dessen, was von der natürlichen Dentition noch übrig ist. Man kann den Patienten das gut erklären, dass vorher keine Prothetik möglich ist – bespielsweise mit den Worten „man baut ja auch kein Haus auf ein morsches Fundament“, das kann jeder nachvollziehen.

Die Systematik sollte man nicht „zufällig“ einsetzen – die gehört in ein QM-System eingebunden, und Alle müssen sich daran halten. Natürlich kann Jeder ein solches System nach eigenem Dafürhalten auch variieren – und dann in sein QM integrieren. Es sollte jedoch immer klar sein: die Vorgaben der Psychologie, der Verhaltensforschung, lassen keinen Zweifel daran, dass Verhaltensänderungen schwer zu bewirken sind. Um überhaupt eine Bereitschaft für eine Verhaltensänderung vorzufinden, muss es einen „Leidensdruck“ geben (als mögliche Ursachen für einen Leidensdruck seitens des Patienten kann man Zahnschmerz, finanzielle „Strafen (Kosten beim Zahnarzt), Aussehen (das Streben nach Ästhetik bzw. „Schönheit“ ist universal), Essprobleme (wer nicht richtig kauen kann leidet),  Angst (Angst vor dem Zahnarzt, Angst vor dem Altern, Angst vor öffentlicher Diskriminierung) – es finden sich also zahlreiche Ansatzpunkte dafür, dass Patienten „leiden“, wenn sie zum Zahnarzt kommen. Um die unangenehmen Gefühle (das Leiden) zu vermeiden sind Menschen zu teilweise geradezu heroischen Taten bereit, das zeigt die Geschichte ebenso wie der aktuelle Boom der chirurgischen Kosmetik. Damit hat man einen ersten Ansatzpunkt, nämlich die grundsätzliche Bereitschaft, etwas zu ändern. Wenn dann seitens des Praxisteams den Vorgaben der Verhaltensforschung gemäß eine strikte Vorgehenseise eingehalten wird, wird der Erfolg fast zwangsläufig eintreten, Nur: Fehler, wie eingangs dargestellt, die eine intermittierende Verstärkung des Fehlverhaltens bewirken, sollten vermieden werden. Und; was ganz am Anfang jeglicher erfolgreichen Umsetzung dieser Strategie stehen muss, ist die Erkenntnis und daraus folgende Überzeugung des Praxisteams, dass Gebisschäden stets und praktisch ausnahmslos (denkbare Ausnahmen; Trauma, Radiatio im Kopfbereich, pharmakologische Nebenwirkungen – cave:Speichelfluss! -, geistige bzw. körperliche Behinderung – häusliche Mundhygiene wird dadurch behindert oder unmöglich -, und Sucht, wie Rauchen, Alkoholismus, harte Drogen, die für sich therapiert werden müssen) selbst verschuldet sind durch Verhaltensmängel. Patienten haben meist ncith die Bildung, um die Zusammenhänge erkennen zu können – die Teammitglieder haben jedoch die moralische und rechtliche Pflicht, sich das nötige wissen anzueignen, und wer um die Genese der Munderkankungen weiß, kann gar nicht anders, als diese auf Verhaltensdefizite zurückzuführen!

Dr. Gerhard Hetz

c/o Deutsches Dentalkolleg (www.dentalkolleg.de)

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