Wurzelbehandlungen

Das so oft von der „Wissenschaft“ öffentlich geschmähte und trotzdem von Praktikern gerne und oft eingesetzte Ledermix beweist auch unter wissenschaftlichen Bedingungen (dies zeigt diese Studie), was die Praktiker immer schon vermutet haben: Es sorgt konkurrenzlos rasch für Schmerzfreiheit, wobei die postulierten Nebenwirkungen und Nachteile in dieser Studie (wie in so vielen vorher) nicht beobachtet werden konnten.
In der umfangreichen Studie wurden 223 Zähne von 221 Patienten behandelt. Die Patienten stammten aus der Notfallambulanz des „Royal Dental Hospital“, Melbourne, Australien. Es wurden ausschließlich Patienten mit der Diagnose „Pulpanekrose“ und „akute apikale Parodontitis“ in die Studie einbezogen.
Alle Zähne wurden konventionell behandelt, das heißt, sie wurden beim ersten Besuch bis zum Apex jedes Kanals instrumentiert. Die Aufbereitung wurde in Stepback Technik mit Handinstrumenten in Verbindung mit Spülungen vorgenommen. Gespült wurde abwechselnd mit 1 % Natrium Hydrochlorit und 15 % EDTA. Die Kanäle wurden getrocknet und eines der 3 folgenden Medikamente wurde in den Kanal eingebracht

  1. Ledermix Paste (Riemser Arzneimittel AG, Greifswald, BRD)
  2. Kalziumhydroxid Paste (Calcipulpe, Septodont, Frankreich)
  3.  keine Einlage.

Die subjektive präoperative Schmerzempfindung der letzten Nacht wurde mit einer Analogskala erfasst. Die Patienten wurden angehalten, ihre Schmerzempfindung vier Stunden nach der Behandlung und täglich für weitere vier Tage aufzuzeichnen.

Als durchschnittlicher Schmerzfaktor vor Therapie wurde für alle drei Gruppen ein Wert zwischen 42 und 48 ermittelt. Nach vier Tagen war der Schmerzfaktor für Kalziumhydroxid 10, für Plazebo 7 und für Ledermix 4. Der durchschnittliche unmittelbar präoperative Schmerzgrad war 44,4 und nahm um 50 % (auf 22.1) nach 24 Stunden ab. Patienten mit Ledermix erlitten signifikant weniger postoperative Schmerzen als die anderen.

Die Autoren folgern, dass Patienten mit schmerzhaften Zähnen auf Grund akuter apikaler Parodontitis bei einer Behandlung mit Ledermix Paste wesentlich schneller von ihren Schmerzen befreit werden können als Patienten, die mit Kalziumhydroxid oder Plazebo behandelt wurden.
Für Patienten ist jedoch die rasche Schmerzfreiheit ein wichtiges Kriterium; es steht dem (Zahn)arzt nicht an, aus Überzeugungsgründen auf die Anwendung von Methoden oder Pharmaka zu verzichten, wenn es die Möglichkeit einer raschen Schmerzausschaltung gibt und die damit verbundenen Risiken bzw. Nebenwirkungen demgegenüber gering einzuschätzen sind.

Die postoperative Schmerzsituation ist nicht ungewöhnlich in der Endodontie. Zahlreiche Literaturstellen verweisen darauf; Balaban et al. berichten z.B.1984 von einem Wiederaufflammen der Schmerzen in 8 von 80 Fällen bei Patienten nach vollständiger Aufbereitung der Wurzelkanäle bis 1 mm zum röntgenologischen Apex und Medikation der Pulpakammer mit einer 35 % Campher Parachlorphenol-Einlage. Torabinejad et al. berichteten 1988 vom Auftreten von Schmerz-Notfällen bei etwa 50 % von 2000 Patienten, Genet et al. veröffentlichten 1987 über Auftreten von postoperativen Schmerzen bei 27 % bei 443 Fällen.
Wolfson  versuchte 1954 die Keimkontrolle  im Wurzelkanal unter Einsatz der lontophorese. Feinchneider (1961) setzte eine Einlage aus Neomycin und Hydrocortison ein. Beide Autoren berichteten über wirksame Schmerzkontrolle. Schroeder (1962) publizierte, dass Hydrocortison nicht effektiv sei und berichtete vom klinischen Erfolg durch Einsatz von Triamcinolon und Chloramphenicol, aufgelöst in einer wasserlöslichen Salbe. In der Folge wurde von Schroeder die Ledermix Paste (Riemser Arzneimittel AG, Greifswald, Germany) entwickelt, jedoch mit Tetracyclin anstatt Chloramphenicol als Antibiotikum. Die Rezeptur wurde seit 1962 nicht geändert.
Zahlreiche frühe Studien (Ehrmann 1964, 1965 &1972, OIsen 1964 & 1966, Schroeder 1965, Laws 1967, Schneider 1968) berichteten über Verminderung oder vollständigen Ausschluss von Schmerzen, wenn Ledermix nach Wurzelkanalaufbereitung bei Zähnen mit nekrotischer Pulpa angewandt wurde. Andere Corticosteroid / Antibiotikum Kombinationen wurden von anderen Untersuchern ausgewertet (Blitzer 1956, Van Cura & Remeikis 1970, Chance et al. 1987, Fava 1998, Negm 2001).
Corticosteroide kontrollieren die inflammatorische Reaktion, hervorgerufen von der bakteriellen Infektion am Apex. Da die inflammatorische Reaktion durch Corticosteroid unterdrückt wird, wird üblicherweise ein Antibiotikum dem Corticosteroid zugegeben.
Die zitierte neue Studie sollte erstmals anhand einer Schmerzskala die Wirkung von Ledermix untersuchen. Die beiden Präparate Ledermix und Kalziumhydroxid wurden mit Hilfe einer Feile in den getrockneten Wurzelkanal eingebracht. Der Patient wurde nach Feststellung der präoperativen Schmerzempfindung aufgefordert, den Schmerzgrad vier Stunden nach der Sitzung und dann täglich für die folgenden vier Tage aufzuzeichnen.
Analgetika sollten nicht eingenommen werden, es sei denn, der Schmerz würde wieder unerträglich.

Die Resultate bestätigten die klinischen Eindrücke und Berichte über die effektive Wirkung von Ledermix Paste. Die Anwendung der Ledermix Paste sollte, so die Autoren, allerdings nur als eine Behandlungsphase bei Zähnen mit nekrotischer Pulpa gesehen werden. Ledermix ist weder ein Ersatz für die sorgfältige Aufbereitung des Wurzelkanals noch für ein antibakteriell wirkendes Medikament wie Kalziumhydroxid (Byström et al. 1985, Sjögren et al. 1991, Holland et al 2003).
Die Schmerzskala für Ledermix blieb während der nächsten vier Tage deutlich unter der der Vergleiche. Die Geschwindigkeit der Wirkung eines Medikaments, eingebracht in den Wurzelkanal, das Corticosteroid enthält, ist beachtlich. Der Effekt war bereits vier Stunden nach Applikation nachweisbar.

Es hat bisher nur drei aktuelle Studien gegeben, die das Auftreten von postoperativen Schmerzen an devitalen Zähnen zwischen den Behandlungsterminen abhängig von Ledermix (Trope 1990, Rimmer 1991, Matthews et al. 1994) betreffen. Trope (1990) verglich die Wirksamkeit von Ledermix, Kalziumhydroxid und Formocresol, wobei kein signifikanter Unterschied gefunden wurde; allerdings benutzte Trope Papierspitzen, um Ledermix in den apikalen Bereich einzubringen, im Gegensatz zu den Empfehlungen Schroeders (1981), die Paste mit einem Lentulo zu applizieren. Auch die Packungsbeilage von Ledermix gibt eine ähnliche Empfehlung. Die Menge von Ledermix Paste, die mit der Spitze eines Papier Points eingebracht werden kann, ist wohl einfach zu gering.

Kritik am Einsatz von Corticosteroiden
Kritik am Einsatz von Corticosteroiden wurde von Sinkford & Harris (1964) und Klotz et al. (1965) geäußert. Sie gaben an, dass Corticosteroide eine Pulpahyperämie oder den inflammatorischen Prozess bei vitalen Zähnen unterdrücken könnten. Sie sagten weiter aus, dass Corticosteroide für systemische Nebenwirkungen verantwortlich sein könnten.
Dies wurde von Abbott (1992) widerlegt.
Eine neuere Kritik ist von Seltzer (2000) geäußert worden. Der Nachteil von Corticosteroiden in der endodontischen Therapie beruhe auf dem Einfluss auf die Abwehrzellen. Infektionen könnten heftiger werden und eine Heilung könnte verhindert oder verzögert werden.
Stanley (1984) sieht das ganz anders, er schrieb: „…eine große Einzeldosis von Corticosteroiden ist offensichtlich harmlos. Die empfohlene Dosis von Steroiden für die Pulpa- und apikale Therapie bewegt sich im Rahmen der Dosierung, die üblicherweise in der Dermatologie für lokale Hauterkrankungen eingesetzt wird“.
Heithersay (1984) diskutierte den Einsatz von Ledermix Paste und Kalziumhydroxid als Kanaleinlagen. Er stellte fest: „Der Einsatz dieser Materialien hat die endodontische Behandlung vereinfacht und für eine enorme Verbesserung des Befindens der Patienten während der Behandlung gesorgt“.
Die Ansichten von Seltzer (2000) sind vermutlich eher theoretischer als praktischer Natur. Die Wirkung von Triamcinolon ist offensichtlich abhängig von den Mengen, die in das Gewebe abgegeben werden; Abbott (1992) hat gezeigt, dass diese sehr gering sind.
Ledermix ist in Australien und in vielen anderen Ländern weit verbreitet im Einsatz. Keine Fälle von verschlimmerter Infektion sind berichtet worden und Läsionen, die von mit Ledermix behandelten Zähnen herrühren, heilen ganz unproblematisch.

Nach den Ergebnissen dieser Studie zu urteilen ist Ledermix ein ausgezeichnetes Mittel, um Patienten mit endodontisch bedingten Schmerzen rasch und nachhaltig Erleichterung zu verschaffen.

Zusammenfassung aus Ernest H. Ehrmann et al, „The relationship of intracanal medicaments to postoperative pain in endodontics“, Intern. Endo. J. 36, 2003

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