Medizintourismus

Ungarn:

(k)ein Paradies für Zahntouristen

Die Kleinstadt Sopron (Oedenburg) gleich hinter der Grenze zu Österreich, leicht zu erreichen über die Autobahn Wien – Eisenstadt, beherbergt mehr Zahnarztpraxen als Restaurants, wobei die Zahl von Hotelbetten überschaubar ist. Hier ist ein Zentrum ungarischer Angebote für Medizintouristen. Mit Rundum-Paketen wird gerne und viel Werbung gemacht: Implantatversorgungen in einer Sitzung, dazu Abholung vom Flugplatz (Schwechat, der Wiener Airport, ist nur etwa 35 Minuten Fahrzeit entfernt), alles zum scheinbar günstigen Preis – eine Komplettversorgung kostet im Schnitt etwa 35 bis 40 Prozent weniger als im benachbarten Österreich, das lädt schon zum Nachdenken ein.

Die Praxen sind modern, durchaus zeitgemäß, ausgestattet, überwiegend mit Geräten namhafter deutscher Hersteller, die Materialien sind die gleichen wie in Deutschland. Könnte man sich durchaus zuhause fühlen, wenn nicht die Umgebung doch arg an die Segnungen des Sozialismus erinnern würde. Nur die Hauptstraße ist inzwischen einigermaßen hergerichtet, überall sonst sind Bagger am Werk, um nach 30 Jahren Grenzöffnung sich immer noch an den Hinterlassenschaften des Kommunismus abzuarbeiten. Verrottete Zu- und Abwasserrohre, verschlissene Stromleitungen, ein trauriger Anblick, der sich da bietet. Da haben die Ungarn wohl noch eine Jahrhundertaufgabe vor sich.

Die Häuser sind teilweise einsturzgefährdet, so etwas hat man in der DDR gesehen, oder man sieht es aktuell in Kuba.

Die Restaurierung der Gebäude hinkt arg nach – selbst bei ansehnlich hergerichteten Fassaden erschrickt man beim Blick ins Innere. Eigene Erfahrung: ein Hotel, angegeben mit 4 *+, bietet Zimmer ohne Klimaanlage, deutlich veraltete Aufzüge, und spartanisch eingerichtete Zimmer. Ab und zu finden sich attraktive antike Möbelstücke aus der Kaiserzeit, die zumindest die Gemeinschaftsräume etwas aufpeppen. Nach unseren (westlichen) Standards kann man so einem Hotel kaum mehr als 2 * geben.

Aber, der Patient kommt ja nicht wegen touristischer Schönheiten oder luxuriösen Herbergen nach Ungarn, der Medizintourist möchte eine möglichst kostengünstige Versorgung haben.

Nun scheint es sich herumgesprochen zu haben, dass zahnärztliche Versorgung viel mit Vertrauen und Betreuung zu tun hat. Auch den Patienten ist es mittlerweile klar, dass es immer einer Nachsorge bedarf – und da spielt die Entfernung eine Rolle. Wer aus Wien kommt, hat da kein Problem. Aber aus Deutschland?

Das dürfte mit ein Grund dafür sein, dass bei den interviewten Zahnärzten das Klientel bevorzugt aus Österreich, Kroatien und Südtirol kommt. Dazu Patienten aus den bekannt teuren skandinavischen Ländern. Deutsche Patienten haben mittlerweile dort Seltenheitswert, obgleich es tatsächlich Zahnarztpraxen gibt, die von deutschen Zahnärzten betrieben werden. Ist wohl historisch bedingt, es gab ja einmal eine Hochzeit des Medizintourismus nach Ungarn.

Medizintourismus: die Feststellungen können auch auf andere Fachgebiete und Destinationen übertragen werden. In Heviz, einem bekannten Bad mit heißen Quellen vulkanischen Ursprungs, kurlauben bevorzugt Russen und Ukrainer, auch hier sind Deutsche deutlich unterrepräsentiert. Ist ja auch nicht wirklich billig dort, und die Servicequalität sowie Hotelstandard kann mit westeuropäischen Ansprüchen einfach nicht mithalten.

Der Preisvorteil, der früher von den Medien kommuniziert wurde, ist gar nicht mehr so groß. In Deutschland stagniert der Preis für (zahn)ärztliche Leistungen seit Jahrzehnten, in Ungarn findet eine stetige Anpassung an die Marktsituation statt, der früher mögliche Preisvorteil ist weitgehend verbraucht.

Das hat dazu geführt, dass nun auch die ungarischen Kollegen nach günstigeren Zahntechnikerleistungen Ausschau halten – mit CAD/CAM bleibt die Zahntechnik (noch) im Lande, konventionelle Zahntechnik wird auch in Ungarn (!) nach Asien vergeben. Auch der ungarische Zahnarzt muss auf die Kosten achten, schließlich ist einem Patienten nur der Gesamtpreis wichtig, wie der sich zusammensetzt, ist letztlich Nebensache.

In Budapest, der Hauptstadt, ist weniger von den unseligen Zeiten des Sozialismus zu sehen, dort wurden die verfügbaren Gelder zuerst eingesetzt. Da ist die Zahnarztdichte aber kaum anders als bei uns, eher geringer, trotz der bekannten Semmelweis-Universität. Ein Zentrum des Medizintourismus ist Budapest jedoch nicht, dazu sind die Preise einfach zu hoch. Das trotz internationalem Flughafen.

Es scheint, dass sich Ungarn zunehmend Richtung Osten orientiert: in Restaurants, Hotels, (Zahn)Arztpraxen sowieso, finden sich die ausgelobten Angebote nebst in lateinischen Lettern in Englisch und Deutsch geschrieben auch in kyrillischer Schrift, und es wird oft russisch oder ukrainisch gesprochen.

Fazit: in Europa rechnet sich für deutsche Patienten der Medizintourismus ganz und gar nicht, denn nimmt man die österreichischen Preise (Wien) als Maßstab, da lohnt es sich eher für den Österreicher zur Behandlung nach Deutschland zu kommen als umgekehrt, und Ungarn scheint letztendlich auch nicht wirklich billiger als Deutschland.

Qualitätsmerkmale wurden, der Fairness wegen, gar nicht in die Beurteilung einbezogen. Die kann man nie nur an Einzelfällen ablesen, dazu braucht man objektive Untersuchungen  bzw. Statistiken, dazu liegt jedoch kaum etwas vor, und individuelle Zufriedenheit ist zwar ein wichtiger Parameter, jedoch sicher nicht der einzige. Internationale Vergleichsstudien befassen sich meist mit der Lebensdauer von Restaurationen, diese bieten eine gewisse Objektivität, ansonsten ist ja in der zahnärztlichen Restauration sehr vieles Geschmackssache – was „schön“ ist, ist relativ, wie wir wissen. Und funktionelle Belange, dazu finden wir nicht einmal in Deutschland viel in der Literatur.

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