Geriatrie



Gerontostomatologie:

Besonderheiten in Prophylaxe und Therapie der alternden Bevölkerung

Demografie

In 2008 waren in Deutschland etwa 20 Prozent der Bevölkerung 65 Jahre oder älter, hingegen nur 13,8 Prozent Kinder und Jugendliche. Dies hat für die (zahn)medizinische Versorgung Folgen: das Therapieangebot ist zunehmend auf die Bedürfnisse und besonderen therapeutischen Anforderungen älterer und alter Patienten abzustellen.

Altersstruktur:

0-14 Jahre: 13,8% (Mann 5.826.066/Frau 5.524.568)
15-64 Jahre: 66,2% (Mann 27.763.917/Frau 26.739.934)
65 Jahre und mehr: 20% (Mann 6.892.743/Frau 9.622.320)

Quelle: CIA World Factbook – Version Mai 16, 2008

 

Quelle: statistisches Bundesamt

Diese Situation mit einer bereits heute recht alten (im Duchschnitt) Bevölkerung wird sich zunehmend verschärfen.

Die Alterungskomponente

Offizielle statistische Daten kann man beim statistischen Bundeamt beziehen, sie sind eine verlässliche Basis für Überlegungen, auch und insbesondere zur zukünftigen Aufgabenstellung des Zahnarztes.

Die Statistik der Geburten, ermittelt als zusammengefasste Geburtenziffer des Jahres 2008, lag bei durchschnittlich 1,38 Kindern je Frau. Diese – auf ein Kalenderjahr bezogene – zusammengefasste Geburtenziffer ist der meist verwendete Indikator in der politischen und öffentlichen Diskussion.

Die zusammengefasste Geburtenziffer eines Kalenderjahres bezieht sich auf alle Frauen, die im betrachteten Jahr im Alter von 15 bis 49 Jahren waren. Die zusammengefasste Geburtenziffer des Jahres 2008 wird wie folgt interpretiert: Wenn das Geburtenverhalten der Frauen in den 35 Jahren zwischen ihrem 15. und 50. Geburtstag so wäre wie das durchschnittliche Geburtenverhalten aller 15- bis 49-jährigen Frauen im Jahr 2008, dann würden sie im Laufe ihres Lebens durchschnittlich ca. 1,38 Kinder bekommen. Das Geburtenverhalten wird dabei anhand der altersspezifischen Geburtenziffern der Frauen in den einzelnen Altersjahren von 15 bis 49 Jahren gemessen.
Aufgrund ihres hypothetischen Charakters eignet sich die zusammengefasste Geburtenziffer der Kalenderjahre nur eingeschränkt dazu, die Entwicklung der endgültigen Kinderzahl, die eine Frau im Laufe ihres Lebens bekommt, präzise zu beurteilen. Deshalb wird eine weitere statistische Größe erfasst, die „
zusammengefasste Geburtenziffer zwischen 1950 und 2008“.

Noch zu Beginn der 1960er Jahre hatte Deutschland einen Anstieg der Zahl der Geburten mit den höchsten zusammengefassten Geburtenziffern der Nachkriegszeit von 2,5 Kindern je Frau („Babyboom“). Die damals geborenen Kinder bilden heute die starken Jahrgänge der Mittvierziger. Das spätere rapide Sinken der Zahl der Geburten ab 1964 in der DDR und 1967 in der BRD verringerte die zusammengefasste Geburtenziffer stark.

 

 

Der Rückgang dauerte fast zwanzig Jahre, Mitte der 1980er Jahre erreichte die zusammengefasste Geburtenziffer den Tiefstand mit weniger als 1,3 Kindern je Frau. Zu diesem Rückgang der Geburtenhäufigkeit trug auch bei, dass ein immer größerer Teil der Frauen ihre Familiengründung in ein höheres Alter aufgeschoben hat. Danach stieg die zusammengefasste Geburtenziffer bis 1990 auf 1,45 an und schwankte dann – mit Ausnahme von einzelnen Jahren – geringfügig um 1,4 Kinder je Frau.
Die ehemalige DDR steuerte dem Geburtenrückgang ab Mitte der 1970er Jahre mit umfangreichen staatlichen Fördermaßnahmen für Familien mit Kindern gegen. Dies führte kurzfristig zu einem Anstieg der zusammengefassten Geburtenziffer im Jahr 1980 auf 1,94 Kinder je Frau. Dann ging die Geburtenhäufigkeit allmählich wieder zurück. Was zeigt, dass staatliche Fördermaßnahmen einen Trend kaum umkehren können.

Die Ergebnisse der laufenden Geburtenstatistik für das Kalenderjahr 2008 zeigen für Deutschland einen minimalen Anstieg der zusammengefassten Geburtenziffer von 1,37 auf 1,38 Kinder je Frau.

In den beiden Jahren 2007 und 2008 haben vor allem Frauen im Alter zwischen 30 und 40 Jahren durchschnittlich mehr Kinder bekommen als die gleichaltrigen Frauen in den Jahren davor. In den jüngeren Jahrgängen nahm die Geburtenhäufigkeit weiter ab.
Die Frauen der älteren Jahrgänge haben ihre Kinder meistens zu einem früheren Zeitpunkt in ihrem Leben bekommen als die Frauen jüngerer Generationen. Da die späte Familiengründung jedoch nicht zwangsläufig weniger Kinder bedeutet, haben viele Frauen ihre Geburten in höherem Alter „nachgeholt“.

Wir müssen also zwangsläufig davon ausgehen, dass die Relation “Alte” zu “Junge” immer ungünstiger wird. Dafür sind zwei wesentliche Faktoren verantwortlich: die geringe Reproduktionsrate sowie die (an sich erfreuliche) Tatsache einer stetig zunehmenden Lebenserwartung. Damit öffnet sich die Schere: immer weniger Beitragszahler finanzieren das Gesundheitswesen (der relativ zur Lebenserwartung frühe Renteneintritt zusammen mit der demoskopischen Entwicklung und der unsinnigen Regelung eines “Generationenvertrags”, der nur bei stetig wachsenden Bevölkerung funktionieren kann, nicht jedoch bei einer schrumpfenden, läßt die Belastungen ins une rmessliche steigen) und die “Alten” werden immer älter. Das kann kein solidarisches Sozialsystem nach Bismarck´scher Fasson leisten.

Gesundheitsfakten

Es gibt immer mehr alte Menschen mit (noch) eigenen Zähnen; dies ist wohl der zunehmend guten Prophylaxebetreuung geschuldet. Der alte Mensch hat jedoch ganz andere Probleme mit seinem Gebiss als der Jugendliche. Leider hat die Politik auf diese Situation bisher nicht reagiert – z.B. kommen nur Kinder und Jugendliche in den Genuss von Prophylaxeleistungen durch die GKV, Erwachsene oder Senioren bleiben hier außen vor.

Tabelle: Zahngesundheit (Karieserfahrung) [Gesundheit in Deutschland, 2006]

 

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Formularende

 

 

 

 

 Alter in Jahren

 Mittlere Zahl betroffener Zähne

 Insgesamt DMF-T

 1989*/1992**/1994***

 1997*/2000**

 6 bis 7

2,89*** 

2,21** 

 9

1,5* 

0,45** 

 12

2,44** 

1,2** 

 35 bis 44

17,5* 

16,1* 

 65 bis 74

– 

23,6* 

 

 

  •  

 

Nimmt man den DMFT als Maßstab, so kann man einen enormen Zuwachs an natürlichen Zähnen bei den Senioren feststellen. Ein DMFT von 23,6 bei den 65 bis 74-jährigen bedeutet ja im Umkehrschluss, dass noch sehr viele eigene Zähne in der Mundhöhle stehen müssen. Dabei nehmen die Risiken für Zahn- und Munderkrankungen mit dem Alter in nicht unerheblichem Ausmaß zu.

  •  

 

Karies- und Parodontitisentstehung, Risikofaktoren [Gesundheitsbericht für Deutschland, 1998]

 

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Formularende

 

Tab. 5.21.1: Risikofaktoren für Karies und Parodontopathien

 

 

 Risikofaktoren

Folgen

 

 

Karies

Parodonto-
pathien

 

 

 Ernährung

 

 

 

 

 • Zuckergehalt

++

+

 

 

 • Häufigkeit der Mahlzeiten

+++

+

 

 

 • Gehalt freier Säuren

+

 

 

 Mundhygiene

 

 

 

 

 • unzureichende Zahnpflege

++

++++

 

 

 • fluoridfreie Zahncreme

+++

 

 

 Zahnstatus

 

 

 

 

 • Engstand

++

++

 

 

 • überstehende Füllungen, Kronen

+++

++

 

 

 • Zahnstein

+++

 

 

 Speichelsekretion

 

 

 

 

 • reduzierte Menge

++++

++

 

 

 • reduzierte Pufferung

++++

 

 

 Mikroorganismen

 

 

 

 

 • Plaquemenge

+++

+++

 

 

 • Plaquezusammensetzung

 

 

 

 

– säureunempfindliche Mikroorganismen

++++

 

 

–  gramnegative bewegliche Mikroorganismen

++++

 

 

 Indirekte Risikofaktoren

 

 

 

 

 • Streß, chronische Erkrankungen

++

++

 

 

 • Schichtarbeit

++

++

 

 

 • Dauereinnahme bestimmter Medikamente

++

++

 

 

Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an König.
Risiko: – keine Gefährdung, ++++ große Gefährdung.

 

 

Quelle:

  •  

Gesundheitsberichterstattung des Bundes [Gesundheit, Statistik, GBE]

 

Die o.a. Tabelle gibt die vermutlich wichtigsten Risikofaktoren gar nicht an: Rauchen und soziale Schicht. Auch diese tragen dazu bei, im Alter besondere Probleme zu bereiten.

 

Aber: Auch besondere Krankheitsbilder im Alter sind hierbei (leider) nicht erfasst. Solche besonderen Krankheitsbilder sind

 

– Erosionen (per definitionem sind dies Defekte an der Zahnhartsubstanz, die ohne kariöse Prozesse entstehen)

  • Keilförmige Defekte (also ebenfalls Zahnhartsubstanzdefekte, die nicht durch Karies verursacht worden sind

  • Oligosialie (als Risikofaktor in oberer Tabelle nur ungenau beschrieben)

  • Xerostomie (als Risikofaktor in oberer Tabelle nur ungenau beschrieben)

  • Tumore

  • Knochenatrophie aufgrund fehlender Zähne

 

Dabei nehmen solche besonderen Defekte bzw. Krankheitsbilder in enormem Ausmaß zu. Nachdem bereits junge Erwachsene bis zu 50 Prozent von solchen Phänomenen betroffen sind, lässt sich die Problematik leicht abschätzen – was geschieht mit älteren Menschen, die bereits mit erosiven Vorschädigungen ins Rentenalter eintreten? Und die dann wegen Xerostomie infolge einer Tumornachbehandlung einen noch rascheren Zerfall der Zahnhartsubstanz erleiden?!

Dass die Politik bisher um diese Problematik einen großen Bogen gemacht hat, wird bei Analyse der Kosten erkennbar, hat doch die Beschränkung der Prophylaxeleistungen auf Kinder und Jugendliche schon bei Einführung ausschließlich finanzielle Gründe gehabt. Jegliche Ausdehnung auf weitere Versichertenkreise wurden von der Politik als „nicht finanzierbar“ abgelehnt. Dabei fließt in die Prävention ein wirklich nur sehr kleiner Prozentsatz der Ausgaben:

 

Gesundheitsausgaben [Gesundheitsbericht für Deutschland, 1998]

 

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Formularende

 

Tab. 8.2.1: Gesundheitsausgaben

 

 

Leistungsart

1980

1992

1994

 

 

Westen

Deutschland

 

 

 

in Mrd. DM

 

 

Insgesamt

129,9

311,6

344,6

 

 

– Prävention/Gesundheitsschutz

5,4

13,9

15,6

 

 

– ärztliche Leistungen

42,1

90,0

99,4

 

 

– pflegerische und
    therapeutische Leistungen

18,7

57,5

68,4

 

 

– Leistungen zum Ausgleich
   krankheitsbedingter Folgen

1,9

7,5

9,3

 

 

– Unterkunft und Verpflegung

12,9

25,9

28,5

 

 

– Waren

35,7

84,2

85,7

 

 

– Transportleistungen

1,5

3,7

5,1

 

 

– Verwaltungsleistungen

9,1

22,3

25,5

 

 

– Forschungs-/Ausbildungsleistungen

2,7

6,6

7,2

 

 

 

in %

 

 

Insgesamt

100,0

100,0

100,0

 

 

– Prävention/Gesundheitsschutz

4,2

4,5

4,5

 

 

– ärztliche Leistungen

32,4

28,9

28,9

 

 

– pflegerische und
   therapeutische Leistungen

14,4

18,5

19,8

 

 

– Leistungen zum Ausgleich
   krankheitsbedingter Folgen

1,5

2,4

2,7

 

 

– Unterkunft und Verpflegung

9,9

8,3

8,3

 

 

– Waren

27,5

27,0

24,9

 

 

– Transportleistungen

1,1

1,2

1,5

 

 

– Verwaltungsleistungen

7,0

7,2

7,4

 

 

– Forschungs-/Ausbildungsleistungen

2,1

2,1

2,1

 

 

Quelle: StBA, neue Gesundheitsausgabenrechnung [1998].

 

 

 

  •  

Gesundheitsberichterstattung des Bundes [Gesundheit, Statistik, GBE]

 

Aber auch die „privaten“, also nicht sozialisierten, Ausgaben für Prävention sind, gemessen an den Gesamtausgaben für Gesundheit, verschwindend gering. Betrachtet man dann die Relation „Gesundheitsvorsorge“ und z.B. Aufwendungen für „Rauchen“ schüttelt man nur noch fassungslos den Kopf:

 

Insgesamt gaben private Haushalte für Nahrungsmittel, Getränke  (alkoholische und alkoholfreie) und Tabakwaren im Jahr 2003 monatlich 272 Euro aus. Der Anteil der Tabakwaren lag bei 17,63 Euro pro Monat, das sind 6,5 % der Konsumausgaben.

Single-Haushalte gaben monatlich 13,43 Euro für Tabakwaren aus, Paare 18,34 Euro. Paare mit Kindern (!) geben fast 23 Euro und damit um fast 28 % mehr als der Durchschnitt der privaten Haushalte mit 17,63 Euro aus. Paare ohne Kinder hingegen geben unterdurchschnittlich wenig für Tabakwaren aus (16,00 Euro), alleinerziehende durchschnittlich 17,51 Euro im Monat.

Die höchsten monatlichen Ausgaben für Tabakwaren haben Haushalte mit einem monatlichen Haushaltsnettoeinkommen von 2.600 bis 3.600 Euro (19,98 Euro), gefolgt von 3.600 bis 5.000 Euro (19,21 Euro). Bezieher höherer Einkommen rauchen weniger (17,34 Euro), in Haushalten mit niedrigerem Nettoeinkommen (unter 1500 Euro) werden durchschnittlich 14,40 Euro ausgegeben.

Der relative Anteil der Ausgaben für Tabakwaren am Haushaltseinkommen in ökonomisch schwachen Haushalten ist deutlich höher als in einkommensstarken Haushalten. Internationale Studien belegen, dass in einkommensschwachen Schichten und vor allem bei allein Erziehenden dieser Ausgabenanteil zwischen 10 % und 20 % betragen kann.

Für Prävention und Gesundheitsschutz wird hingegen durchschnittlich mal eben 0,1 Prozent aufgewendet!!!

 

Gesundheitsausgaben privater Haushalte [Gesundheitsbericht für Deutschland, 1998]

 

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Formularende

 

Tab. 8.10.2: Gesundheitsausgaben privater Haushalte

 

 

Leistungsart

Westen

Deutschland

 

 

1980

1992

1994

 

 

 

in Mio. DM

 

 

Insgesamt

10.530

28.999

34.246

 

 

 • Prävention/Gesundheitsschutz 

4

26

35

 

 

 • ärztliche Leistungen

1.726

2.944

3.409

 

 

 • pflegerische und therapeutische 
    Leistungen

1.562

5.871

7.225

 

 

 • Leistungen zum Ausgleich
    krankheitsbedingter Folgen

92

364

458

 

 

 • Unterkunft und Verpflegung

778

3.066

3.814

 

 

 • Waren

6.350

16.559

19.123

 

 

 • Transportleistungen

7

168

183

 

 

 

in %

 

 

Insgesamt

100,0

100,0

100,0

 

 

 • Prävention/Gesundheitsschutz 

0,0

0,1

0,1

 

 

 • ärztliche Leistungen

16,5

10,2

10,0

 

 

 • pflegerische und therapeutische
    Leistungen

14,8

20,2

21,1

 

 

 • Leistungen zum Ausgleich
    krankheitsbedingter Folgen

0,9

1,3

1,3

 

 

 • Unterkunft und Verpflegung

7,4

10,6

11,1

 

 

 • Waren

60,3

57,1

55,8

 

 

 • Transportleistungen

0,1

0,6

0,5

 

 

Quelle: StBA, neue Gesundheitsausgabenrechnung [1998].

 

 

 

  •  

Gesundheitsberichterstattung des Bundes [Gesundheit, Statistik, GBE]

 

Das heißt, in sozioökonomisch schwachen Schichten werden (siehe oben) bis zu 30 Prozent für das bekannt gesundheitsschädliche Rauchen, jedoch nur 0,1 Prozent für Prävention ausgegeben. Das Resultat ist natürlich: hohe Kosten für die Behandlung der Kranken.

 

 

für ZHK relevante Krankheitskosten in Mio. € für Deutschland

Alle Altersgruppen, Jahr: 2006, sortiert nach ICD 10

  K00-K14 Krankheiten der Mundhöhle, der Speicheldrüsen und der Kiefer

21.047

 

              K02 Zahnkaries

7.406

 

              K03.6 Auflagerungen (Beläge) auf den Zähnen

635

 

              K05 Gingivitis und Krankheiten des Parodonts

1.022

 

              K08.1 Zahnverlust durch Unfall, Extraktion oder lokalisierte parodontale
              Krankheit 6.530

 

Die Tabelle wurde am 31.03.2010 11:09 Uhr unter www.gbe-bund.de erstellt.

Erschwert wird die Situation durch die Schiefverteilung der Morbidität: die Erkrankungsrate ist hochsignifikant abhängig von der Bildung und damit der sozialen Schicht. Soziale Schicht und Bildung sowie Einkommen sind unmittelbar verküpft – vereinfacht ausgedrückt: wer arm und ungebildet ist ist auch kränker als der Abkömmling gebildeter, wohlhabender Eltern.

Anteil naturgesunder Gebisse in Prozent [Gesundheit in Deutschland, 2006]

 

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Formularende

Tabelle 1.2.8: Anteil naturgesunder Gebisse in Prozent bei 12-Jährigen in Abhängigkeit von der Schulbildung der Eltern.
Quelle: IDZ-Surveys 1989, 1997

 

 

 

 Jahr

 Schulbildung der Eltern

 

 Niedrig

 Mittel

 Hoch

 1989 (Deutsche Mundgesundheitsstudie I)

9,5% 

13,0% 

28,6% 

 1997 (Deutsche Mundgesundheitsstudie III)

44,8% 

34,3% 

50,1% 

 

So. Was wollen uns diese Zahlen sagen? Was wäre die Konsequenz?

Die Politik müsste dringend angemessen reagieren – das wird sie jedoch nicht tun, also muss sich die Zahnärzteschaft selbst helfen. Der Therapiebedarf insgesamt wird weiter zunehmen, und die Gelder aus den staatlich kontrollierten Versicherungen (dazu gehören auch die Privatversicherungen, bei denen findet die Kostenbremse via GOZ statt) werden entweder nicht weiter steigen oder sogar, wie wir es in der Vergangenheit erlebt haben, sogar sinken. Es sind also die frei verfügbaren, privaten Konsumausgaben anzuzapfen, um die zahnärztliche Betreuung unserer Patienten sicherzustellen. Dass hier sogar bei den Ärmsten der Armen noch gewaltige Reserven zu schöpfen sind, sollte sich aus dem statistischen Material zu den Konsumausgaben ableiten lassen: wer 30 Prozent seiner Gesamtausgaben für Rauchen aufwenden kann, der kann auch für seine Zahngesundheit zahlen.

Spezifische Leistungen für ältere und alte Patienten

Ältere und alte Erwachsene haben spezielle Bedürfnisse hinsichtlich zahnärztlicher Leistungen. Diese müssen häfig privat liquidiert werden, da die GKV dafür nur begrenzte (für zahnärztliche Prävention bzw. Prophylaxe gar keine) Mittel bereit stellt. Dies muss für die Praxis Folgen haben – es sind besondere Vorkehrungen zu treffen hinsichtlich der Organisation, der Aufklärung/Information sowie auch und insbesondere der Leistungsangebote.

Organisation

Die Organisation der Praxis muss auch Hausbesuche berücksichtigen. Die Patienten, die noch lange bis ins höhere Alter in die Praxis kommen können, werden irgendwann – trotz noch eigener natürlicher Zähne – zuhause oder im Seniorenheim bzw. in der Pflege immobil, sie können die Praxis nicht mehr besuchen. Also muss die Praxis zu Ihnen kommen, dies können diese Patienten erwarten. Die Pflege kann die zahnärztliche Betreuung nicht leisten, auch sind Pfleger weitgehend dafür nicht ausgebildet. Untersucht man, was in den einzelnen Pflegestufen (I bis III) an Leistungen gelistet ist, findet man darib jedenfalls keine Zahnprophylaxe.

Es ist also schon mal erforderlich, die Prophylaxe zu den Alten zu bringen. Hier können entsprechend geschulte Hilfsberufe (z.B. DH´s, Prophylaxehelferinen, etc.) Entlastung bringen, wenn die Finanzierung geregelt werden kann. Dies wäre unter Umständen über die Landesarbeitsgemeinschaften machbar.

Daneben ist es jedoch unbedingt notwendig, dass auch ein Zahnarzt nach den Patienten sieht. Spezielle Befunde, wie Xerostomie oder Oligosialie, Erosionen, Alterskaries, Speicheldrüsenprobleme, wie Speichelsteine, Schleimhautveränderungen (z.B. Tumore), Infektionen (z.B. Pilze, wie Soor), um nur einige zu nennen, und natürlich die vermutlich bei jedem Alten feststellbare Parodontitis sind dem Zahnarzt vorbehalten, dafür sind weder Pfleger noch Prophylaxehelferinnen oder Allgemeinärzte qualifiziert. Und werden krankhafte Befunde erhoben, dann sind auch therapeutische Entscheidungen zu treffen. Und letztlich muss auch Jemand dann die Therapie auch umsetzen.

Zahnärzte müssen also zunehmend mehr Hausbesuche absolvieren, darauf sollte sich jede Praxis einstellen. Es wäre unethisch sich dieser Herausforderung nicht stellen zu wollen.

Natürlich wird man nicht ambulant vor Ort Implantate setzen wollen – die Kariestherapie, um ein Beispiel zu nennen, kann sehr wohl mit mobilen Geräten erfolgen. Und auch die parodontologische Basisversorgung ist durchaus per Hausbesuch zu gewährleisten.

Dazu müssen organsisatorische Struktruen geschaffen werden:

  • es sind portable Behandlungseinheiten anzuschaffen

  • es ist speziell geschultes Personal einzustellen

  • es müssen Transportwege organisiert werden, um die Leistungen zum Patienten zu bringen

  • und letztlich ist viel Aufklärung, auch beim Pflegepersonal, zu leisten

  • und man darf auch nicht vergessen, für einen Zahlungsfluss von Patient/Leistungsempfänger hin zu Leistungserbringer zu sorgen (die gesetzlichen Leistungen sind insbesondere bei den Bedürfnissen der Senioren praktisch nicht vorhanden)

  • es müssen Hausbesuchstage geplant werden, um den regulären Praxisbetreib nicht zu gefährden

  • es wäre wirtschaftlich sinnvoll, den Praxisbetrieb auch während der Hausbesuche weiter laufen zu lassen – hierzu ist die Einstellung von Assistenten sinnvoll, die eventuell auch die Besuche duchführen können.

Daneben muss eine realistische Einschätzung der therapeutischen Chancen Einzug in die Planung halten – es macht wenig Sinn, bei einer nur noch geringen Lebenserwartung Therapien zu planen, die sich über sehr lange Zeiträume hinziehen (Beispiel Augmentation). In Unserem Beispiel schadet man häufig mehr als dass man Nutzen für den Patienten schafft: wenn z.B. eine Beckenkammtransplantation zur Gewinnung von Kieferknochen geplant wird, geht man das hohe Risiko, dass der Patient nur die Schmerzen und Einschränkungen an der Entnahmestelle erleiden muss, die Vorzüge einer besseren Kaufunktion jedoch dann gar nicht mehr erlebt. Heute stehen sehr unterschiedliche Möglichkeiten zur Verfügung, z.B. kann auch im stark atrophierten Kiefer noch implantiert werden, sogar teilweise mit Sofortversorgung – weshalb dann die (zwar möglicherweise bessere, aber viel belastendere) Knochentransplantation? – was zur raschen Verbesserung führt; da hat der Patient dann wenigstens noch was von der Therapie.

Neben der dem Lebensalter bzw. der Lebenserwartung angepassten Therapieformen ist auch auf die sozialen Faktoren des Patienten Rücksicht zu nehmen. Es auch hier ebenfalls wenig zielführend, wenn man einem am Existenzminimum lebenden Rentner extrem teure Theapievorschläge macht – für die wenigen Jahre, die bleiben, kann unter Umständen eine preiswerte Alternative mehr Lebensqualität schaffen (z.B. können Direktveneers aus plastischem Füllungsmaterial trotz geringerer Haltbarkeit besser sein als die laborgefertigten Keramikveneers. Auch die persönliche Mitarbeit der Patienten ist zu berücksichtigen – bei erkennbar schlechter Mundhygiene macht es wenig Sinn, eine aufwändige PAR zu planen, auch hier gilt, man darf das Große Ganze nicht aus den Augen verlieren.

Auch im Alter sind also – wie schon bei Jugendlichen und Erwachsenen – differenzierte Therapieplanungen erforderlich, es gibt einfach keine optimale Therapie für Jeden. Aus Grün den der Zweckmäßigkeit kann man jedoch Subgruppen definieren, dann kann man die Therapieplanung besser systematisieren. Dies sollte im Rahmen des QM geschehen – und QM ist ein wesentlicher Teil jeder Organisationstruktur.

Präventionsleistungen

Es ist unumgänglich, dass die Zahnarztpraxis die prophylaktische Betreuung der älteren und alten Patienten in die Hand nimmt, es gibt sonst keine Institution, die sich darum kümmern würde. Besonderes Augenmerk ist dabei auf die alterstypische Problematik zu richten:

– es ist viel Zahnersatz vorhanden mit besonderen Anforderungen an Prophylaxekonzepte

  • man findet generell freiliegende Zahnhälse mit entsprechender Problematik, wie keilförmige Defekte, Zahnhalskaries, interdentale Wurzelkaries, freiliegende Furkationen mit häufiger kariöser Erkrankung

  • Erosionen sind praktisch an jeder noch gesunden Schmelzfläche zu finden

  • die Kauflächen sind generell abradiert, mit häufiger Perforation der Schmelzschicht und Exposition von Dentin

  • eine generalisierte Rezession parodontaler Strukturen mit/ohne entzündlichen Begleiterscheinungen ist gegeben

Prophylaxekonzepte müssen dabei die besondere Befindlichkeit älterer Menschen berücksichtigen. Ältere sind eher weniger schmerztolerant, schon eine simple Zahnreinigung kann die Toleranzgrenze überschreiten (es ist zu erwägen, hier Anästhetika einzusetzen). Dem Punkt „Lebensqualität“ ist eine zentrale Bedeutung zuzumessen, wobei zu bedenken ist, dass Lebensqualität kein einheitlicher normativer Begriff ist – Lebensqualität ist eben auch individuell, die hängt in der Bewertung von der ganz persönlichen Situation ab. Hier ist ein behutsames Eingehen auf die Patientenwünsche allemal vorteilhaft.

Generell kann empfohlen werden, Methoden der Schmerzausschaltung bzw. Schmerzkontrolle einzusetzen (da kann Hypnose, Akupunktur o.ä. unterstützend wirken, aber auch die pharmakologische Intervention ist stets eine Option), es sind Methoden des Umgangs mit Patientenängsten – ältere Menschen sind ängstlicher als junge – einzusetzen (auch hier ist der Gesprächsführung bis hin zu hypnotischen Methoden Vorrang einzuräumen vor pharmakologischen Angstdämpfern), und da die soziale Schicht mit dem Alter zunehmend an Bedeutung gewinnt (will heißen, Verhalten, das in früher Jugend erlernt wurde, kann im Alter immer weniger kompensiert werden und schichtspezifisches schlägt voll durch) muss auch diesem Aspekt große Beachtung geschenkt werden.

Unter keinen Umständen darf vergessen werden, dass ältere Menschen sich – insbesondere wenn sie sich nicht mehr selbst versorgen können und auf Pflegeleistungen bzw. Essensservice angewiesen sind – besonders minderwertig ernähren. Kantinen sind ja ähnlich: da findet man keine Speise ohne Zuckerzusatz (und wer putzt dann sofort?), die Nahrung ist breiig (man meint ja, Rücksicht auf die Zahnlosen nehmen zu müssen), es fehlt meist an Frischgemüse, Obst, etc., und anstatt nungezuckerter Backwaren wird Konditoreigebäck verzehrt, abgesehen von der Schokolade im Nachtkästchen. Berücksichtig man dazu das Problem der Getränke (Süß- bzw. „Erfrischungsgetränke“ werden leider bevorzugt gegenüber Wasser) sowie die des stets verminderten Speichelflusses, so ist auch hier den Besonderheiten Rechnung zu tragen mit besonderen Maßnahmen.

So sieht die Prophylaxesitzung beim alten Patienten doch anders aus als beim Jugendlichen – die Prozedur nähert sich der für Kinder an; auch Kinder sind ja besonders empfindsam und keine einfachen Patienten. So sieht dann die Prophylaxe so aus:

  • Angstmanagement

  • Schmerzkontrolle

  • professionelle Zahnreinigung in relativ kurzen Intervallen

  • stets Fluoridierungen und andere zahnsubstanzerhaltende Maßnahmen, wie z.B. CHX-Spülungen etc.

Auch nicht zu vergessen ist die Erwähnung der mit dem Alter abnehmenden kognitiven Fähigkeiten – die Statistik zeigt einen stets wachsenden Anteil an Altersdemenz und Alzheimer. Gene rell leidet das Kurzzeitgedächtnis unter dem Alterungsprozess – da kann eine simple Terminvereinbarung bereits zum Problem werden. Die enge Zusammenarbeit mit Pflegepersonal oder Angehörigen ist deshalb auch unverzichtbar.

Prophylaxesitzung

Die PZR wird nach angstlösenden Maßnahmen – ev. Diazepam, Hypnose – unter Lokalanästhesie durchgeführt. Deshalb ist die Anwesenheit eines (Zahn)Artes zwingend erforderlich.

Eine Vorab-Abklärung möglicher Risiken (Blutgerinnungshemmer? Herzschrittmacher?) sowie eine Desinfektion der Mundhöhle (CHX) sind unverzichtbar. Daneben sollte eine Abschätzung der Speichelflusssituation nicht übersehen werden – mit dem Lebensalter steigt die Wahrscheinlichkeit von Speichelflussstörungen rasant an.

Neben der Entfernung aller supragingivalen Beläge muss stets auch ein Parodontienscreening stattfinden, die Erhebung des PSI-Index wäre eine geeignete Methode. Da stets von einer Diagnose „Parodontitis marginalis“ auszugehen ist sind konkrete Maßnahmen zu planen:

  • sind Kürettagen erforderlich?

  • Ist die Langzeitgabe von CHX sinnvoll (das Risiko von Zahnverfärbungen ist gegenüber der generalisierten Entzündung und den Folgen für den Gesamtorganismus vernachlässigbar; auch sind Geschmacksbeeinträchtigungen häufig für die Patienten irrelevant, da sie des Alters wegen sowieso bereits kaum noch etwas schmecken)?

  • Können Empfehlungen für besondere Mundhygienemittel gegeben werden (z.B. CHX-Zahncreme, elektrische Zahnbürste – mit dem Alter nehmen mechanische Fähigkeiten massiv ab, da ist die elektrische Bürste dann überlegen -, etc.)?

Zum Abschluss der PZR ist jedenfalls ein Schutz der Zahnhartsubstanz erforderlich, Mittel der Wahl sind Fluoridliquids oder -Gele, Lacke sind wegen der gefährdeten Parodontien weniger empfehlenswert. Bei Bedarf müssen Therapiesitzungen wegen Exposition von Dentin geplant werden, auch Zahnhalsdefekte sind zu behandeln, da solche Defete die Hygienemöglichkeiten einschränken.

Therapie

Zahnhalsdefekte (keilförmige Defekte) sind beim alternden Menschen eher die Regel als die Ausnahme. Versorgungen mit Komposit stoßen hier rasch auf Grenzen: Komposit kann zervikal kaum wirksam verankert werden, und es enthält stets die Gefahr einer zusätzlichen Reizung der Parodontien bzw. der benachbarten Gingiva. Hier ist einem Glas-Ionomer der Vorzug zu geben, das Material haftet auch dann, wenn kein Schmelz verfügbar ist, und es ist sicherer als Dentinbonding an Kompomer oder Komposit.

Freiliegende Dentinflächen – z.B. an den Abrasionsflächen der Molaren – können nicht so einfach mit Komposit überschichtet werden, hier ist die sorgfältige Planung nach individueller Situation unverzichtbar. Manchmal genügt ja auch eine Intensivfluoridierung.

Generell ist in der Therapieplanung zu bedenken, dass die Restaurationen nicht mehr sehr lange halten müssen, je nach Alter der Patienten ist die Lebensdauer der zahnärztlichen Restauration irgendwie der Lebenserwartung des Patienten anzupassen.

Zahnlücken sind möglichst zu versorgen, da im Alter auch bevorzugt Kiefergelenksprobleme mit wirklich schlimmer Schmerzsymptomatik auftreten. Sind gnathologische Störungen – z.B. die Myoarthropathie – oder/und Störungen in der Kieferrelation feststellbar, so ist trotz der o.a. Beachtung einer nur begrenzten Lebensdauer jedenfalls die Funktionsanalytik obligat. Gnathologische Störungen beeinträchtigen die Lebensqualität enorm, und es sollte stets das Ziel einer (Zahn)Ärztlichen Betreuung sein, die HRQOL (Health Related Qualtity of Life) bzw. bei uns OHRQOL (Oral Health Related Quality Of Life) zu halten und wenn irgend möglich auch zu verbessern. Die Beachtung subjektiver Faktoren das Patientenwohl betreffend wird mit zunehmendem Alter unserer Patienten immer wichtiger. Im Gegenzug muss dann eine aus der Funktionsanalytik resultierende prothetische Versorgung nicht mehr „für die Ewigkeit“ ausgelegt sein. Manchmal genügt schon eine mit Komposit restaurierte vernünftige Front-/Eckzahnführung, um die Lebensqualität des Patienten enorm zu verbessern.

Ein wichtiges Thema bei alten Patienten ist die vermehrt zu beobachtende interdentale Karies, die sich gerne unterhalb der Schmelz-Zement-Grenze ausbreitet. Hier gestaltet sich die Therapie wegen der beschränkten Zugänglichkeit außerordentlich schwierig – und zu allem Überfluss ist es auch recht leicht möglich, akzidentiell die Kanalpulpa während des excavierens freizulegen, da der Abstand zwischen Defektboden und Pulpa hier extrem klein ist. Deshalb ist stets eine röntgenologische –oder, beim Hausbesuch, die Diagnostik mittels Licht empfehlenswert, um frühzeitig Defekte zu entdecken. Leider sind ja andere diagnostische Möglichkeiten, wie z.B. die Lasertechnik (Diagnodent) wegen der anatomischen Gegebenheiten in diesen Fällen nicht praktikabel.

Ganz unglücklich sind Kariesdefekte in Kombination mit parodontalen Erkrankungen, wie wir sie gerade beim alten Patienten sehr häufig antreffen. Hier sollte man auch die Versorgung, anders als gewohnt, in einer Sitzung (also Versorgung des kariösen Defekts und die Kürettage) vornehmen. Bei subgingivalen Defekten ist GI-Material gut geeignet, mit Komposit werden wir wohl kaum glücklich in der besonderen Situation.

Wegen der reduzierten Speichelproduktion (Oligosialie bzw. Xerostomie) sollte man auch reagieren – man kann die Speichelflussrate leicht bestimmen (einfach über einen festgelegten Zeitraum allen sezernierten Speichel in ein Gefäß spucken lassen und dann die Menge messen und mit der Norm abgleichen) und dann dazu Überlegungen anstellen. Bei Xerostomie sollte Ersatzspeichel in Kombination mit Chlorhexidin-Spülungen gegeben werden, bei nur reduziertem Speichelfluss (Oiligosialie) könnte Listerine, CHX, Meridol oder/und andere nachweisbar wirksame Mundspülungen helfen.

Ein bei älteren Menschen ebenfalls sehr häufiges Problem ist die freiliegende Furkation mit/ohne kariöser Erkrankung. Hier bleibt meist nur die Prämolarisierung mit vorheriger oder gleichzeitiger endodontischer Therapie.

Furkationsbefall ist ein typischer Altersdefekt – die physiologische Degeneration der Gingiva bzw. des Parodonts, die man beim jüngeren Erwachsenen mittels PAR-Chirurgie einzugrenzen versucht, macht beim alten Menschen kaum noch Sinn. Man wird sich damit abfinden müssen, dass die Furkationen eben nicht mehr mit Weichgewebe gedeckt sind und im Zweifel prämolarisieren.

Bei der Behandlung von Furkationsdefekten ohne Prämolarisierung ist das excavieren mittels Ultraschallinstrumenten ein probates Hilfsmittel. Die Versorgung sollte mit GI-Materialien erfolgen, das ist rasch und etwas sicherer als mit Komposit umzusetzen.

Parodontale Defekte sollten entzündungsfrei gemacht werden – dies kann mit Hilfe von Kürettagen in Kombination mit antibakteriellen Interventionen bewirkt werden. Antibakteriell wäre z.B. CHX, wobei zu beachten ist, dass CHX durch Blut bzw. Blutbestandteile inaktiviert wird. Antibiotika sollten nur in Abstimmung mit dem betreuenden Hausarzt gegeben werden –Hausärzte verordnen ihren Patienten gerne viele solcher Präparate, da könnte es zu Interferenzen kommen. Überhaupt ist die permanente Zusammenarbeit mit dem Hausarzt bei alten Patienten ein unbedingtes Muss: die Menschen sind multimorbide und nehmen meist Hände voll Pharmaka ein, 10 und mehr Tabletten täglich sind eher der Normalfall als die Ausnahme, und (leider) sind den meisten Ärzten die Nebenwirkungen nicht oder nur ungenügend geläufig. Hier kann der Zahnarzt so manche böse Überraschung erleben, wenn eine rechtzeitige Abstimmung unterbleibt. Beispiel reduzierter Speichelfluss: mehr als 400 häufig eingesetzte Substanzen (das bedeutet, weit mehr als 1000 Präparate!) wirken dämpfend auf die Speicheldrüsen. Zahlreiche Pharmaka, die typischerweise älteren Patienten gegeben werden, bewirken Gingivawucherungen oder Schwellungen, kaum ein Alter ist ohne Gerinnungshemmer unterwegs (Cave: stets den Quickwert abfragen beim Hausarzt!) –hier ist die sorgfältige Abklärung elementar. Die Anamnese ist hier nicht besonders wirksam, weil alte Menschen ihre Medikation kaum wirklich kennen-die wissen vielleicht noch, dass sie die rosa und die weiße Pille morgens, die zweiblauen mittags und dann die anderen abends einzunehmen haben, wofür das Ganze, das bleibt im Dunkel, und wenn man sich die Pillen zeigen lässt, weiß man auch kaum mehr. Das konsiliarische Gespräch ist schon aus forensischen Gründen unvermeidbar.

Besondere Vorsichtsmaßnahmen

Alte kann man nicht mehr so leicht – wie wir es gewohnt sind – im Liegen oder gar kopfüber behandeln. Die meisten älteren Mitmenschen haben chronische Grunderkrankungen – Herz- Kreislaufprobleme sind in Deutschland die häufigsten Krankheitsbilder, daneben sind relevant Erkrankungen des Bewegungsapparats. Es stört den Zahnarzt nicht, wenn der Patient schlecht sieht, aber es macht Probleme, wenn wegen Rückenproblemen die Lagerung nicht in gewohnter Form gelingt, und ganz besonders problematisch sind die Herzkrankheiten bis hin zu Angina pectoris sowie deren Medikation. Überdies haben wir ja keine Patientenliege dabei, wenn wir in das Seniorenheim gehen.

Wir müssen also meistens bei aufrechtem Kopf behandeln (das strengt zwar an, bringt aber jedenfalls den Patienten nicht gleich an den Rand eines Kollaps), und wir müssen besonders auf die Medikation und deren Wirkung/Nebenwirkung achten. Und selbstverständlich müssen wir auf eine lückenlose Dokumentation achten – insbesondere die Anamnese und Aufklärung/Beratung müssen sorgfältig dokumentiert werden.

 

Schlussbetrachtung

Die Zahnheilkunde befindet sich in einem immer rascheren Wandel, weniger, was neue Technologien oder Behandlungsmethoden betrifft, sondern der Wandel ist hauptsächlich geprägt durch die Veränderung des Patientenguts. Darauf richtig und rechtzeitig zu reagieren bedeutet die Praxis zukunftssicherer zu machen, denn so viel steht fest: der Therapie- und Betreuungsbedarf wird keinesfalls zurückgehen, im Gegenteil, der Zahnarzt wird in nächster Zukunft noch mehr gebraucht als früher – der Prophylaxe sei´s gedankt!