Seniorenzahnheilkunde

Senioren-Zahnheilkunde 60+

 Dr. med dent Gerhard Hetz

Dass die Bevölkerung und damit unsere Patienten immer älter werden sollte mittlerweile allgemein bekannt sein. Dass sich daraus zwangsläufig jedoch auch Veränderungen der Therapienachfrage bez. des Therapieangebots ergeben scheint bisher zumindest weniger ins Bewusstsein vorgedrungen zu sein. Indiz dafür ist wohl auch, dass es bisher keinen deutschen Lehrstuhl für Alterszahnheilkunde gibt, eine Spezialisierung ist für viele Teilbereiche der Zahnmedizin möglich, nicht jedoch für Seniorenmedizin, und die staatlichen Vorgaben für die GKV betreffen bisher nur Jugendliche und Erwachsene, nicht die Subgruppe der Senioren.

Dabei sind für diese Bevölkerungsgruppe spezielle Krankheitsbilder wohl bekannt – nicht nur dass hier allgemeinmedizinische chronische Krankheiten vorliegen, wie z.B. Diabetes, Herz-/Kreislauferkrankungen, usw. -, es treten auch spezielle orale Krankheitsbilder auf, andere auch bei Erwachsenen bzw. Jugendlichen anzutreffende Krankheitsbilder finden sich bei Senioren häufiger und in schwererer Ausprägung. So sind unbedingt besondere Vorkehrungen in der Zahnarztpraxis zu treffen, um diesen gesteigerten Anforderungen gerecht werden zu können.

 

Alterszahnheilkunde – Reformkonzept für bessere zahnärztliche Versorgung gefordert

"Mundgesund trotz eines Handicaps und hohem Alter", so lautet ein neues Motto der KBZV und der BZÄK gemeinsam mit Wissenschaftlern der Deutschen Gesellschaft für Alterszahnheilkunde (DGAZ) und der Arbeitsgemeinschaft für zahnärztliche Behindertenbehandlung im Bundesverband Deutscher Oralchirurgen (BDO) für die Alterzahnheilkunde von Behinderten entwickelt haben. Die demografische Entwicklung mit der stetig zunehmenden Anzahl älterer Menschen machen neue Wege in der Alterzahnheilkunde und in der zahnärztlichen Versorgung zwingend erforderlich.

 

Mit einem neuen Konzept für die Alterzahnheilkunde, welches in Berlin der Presse, der Politik und der allgemeinen Öffentlichkeit vorgestellt wurde, sollen grundlegende Defizite in der Alterzahnheilkunde inclusive der zahnärztlichen Versorgung körperlich und kognitiv eingeschränkter Menschen angegangen werden. Dazu sagte der stellvertretende Vorsitzende des Vorstandes der KZBV, Dr. Wolfgang Eßer: "Die zahnmedizinische Versorgung in der GKV ist darauf abgestimmt, dass Versicherte zur Vorsorge selbst die Zähne putzen und zur Behandlung eine Zahnarztpraxis aufsuchen können. Viele ältere, pflegebedürftige Patienten und Menschen mit schweren Behinderungen sind aber dazu nicht in der Lage. Die Anzahl der Menschen, die auf besondere zahnärztliche Hilfe angewiesenen sind, steigt von Jahr zu Jahr. Diese Patienten können und wollen wir nicht alleine lassen. Zur Umsetzung unseres Versorgungskonzeptes benötigen wir die Hilfe des Gesetzgebers." 

 

Im Intensiv – Pflegebereich trifft man auf  altersbedingte Krankheitsbilder wie Parodontitis, Karies an freiliegenden Zahnhälsen oder Probleme, die aus allgemeinmedizinischen Formenkreis entstammen. Sie machen eine kontinuierliche zahnärztliche Versorgung in der Alterzahnheikunde unerlässlich. Vor allem eine kontinuierliche Prophylaxebetreuung und eine systematische PZR, sollte in einem kürzeren Tonus für diese hilfebedürftigen Menschen angeboten werden können. Zudem ist ein gut funktionierender Zahnersatz für Senioren eine Voraussetzung für eine sichere, feste  Nahrungsaufnahme und damit zusammenhängend einer stabilen Abwehrlage im vorgerückten Alter.

 

Der Vizepräsident der BZÄK, Dr. Dietmar Oesterreich, warnte vor den zunehmend wachsenden Problemen in der zahnmedizinischen Versorgung der betroffenen Gruppen: "Bisher haben wir über karitative Organisationen und ehrenamtliches Engagement zahnärztlicher Kollegen versucht, die Versorgungsdefizite in der Alterzahnheilkunde für Menschen mit Behinderung aufzufangen. Aber das ist schwierig bis unmöglich. Wir haben etwa 600.000 Menschen mit Behinderungen und gut zwei Millionen Pflegebedürftige, für die eine aufwendige zahnmedizinische Betreuung notwendig ist. Und die Zahl wird angesichts der demografischen Entwicklung noch sehr viel weiter steigen. Deswegen brauchen wir endlich eine strukturelle Lösung."  Quelle: Pressemitteilung BZÄK

 

 

 

Erkrankungsdaten

 

Die Mundgesundheitsstudie IV (DMS IV)

Wie bei den Erwachsenen ist auch bei den Senioren der Kariesindex erstmalig gesunken: Während er im Jahr 1997 (DMS III) noch bei 23,6 lag, betrug er im Jahr 2005 22,1. Die Ursache liegt wohl darin, dass heute deutlich weniger Zähne als früher wegen Karies extrahiert werden. Da immer mehr Zähne erhalten werden, ist allerdings die Wurzelkaries als besondere Erkrankungsform stark um 29,5 Prozentpunkte angestiegen. Das heißt, dass 45 Prozent der untersuchten Senioren mindestens eine kariöse oder gefüllte Wurzelfläche haben. Der Kariessanierungsgrad hat ein außerordentlich hohes Niveau von 94,8 Prozent erreicht.

Allerdings ist unter den Senioren erwartungsgemäß die Parodontitis am weitesten verbreitet. 48,0 Prozent dieser Altersgruppe sind von einer mittelschweren und 39,8 Prozent von einer schweren Ausprägung der Krankheit betroffen. Das entspricht einer Zunahme von 23,7 Prozentpunkten im Vergleich zur letzten Erhebung im Jahr 1997. In dieser Gruppe zeigt sich am deutlichsten der Zusammenhang zwischen dem Rückgang der Zahnverluste und der Zunahme von Parodontalerkrankungen.

 

Zusammenhang zwischen Anzahl eigener Zähne und Schweregrad der Parodontitis bei den Senioren in der DMS IV:

                Anzahl eigener Zähne im Mund

1 bis 9 Zähne     10 bis 19 Zähne                20 bis 28 Zähne

Schweregrad %

Grad 0 – gesund                                              5,2                         0,8                                         0,5

Grad 1 – Blutung                                              7,5                         4,1                                         2,9

Grad 2 – Zahnstein                                         14,2                       5,3                                         5,4

Grad 3 – Taschentiefe 4 bis 5 mm             42,5                       50,3                                       48,4

Grad 4 – Taschentiefe >6 mm                                    30,6                       39,5                                       42,8

 

Hier ist der statistische Nachweis dafür gelungen, dass verbesserte zahnmedizinische Prophylaxe – wie von vielen sachkundigen Autoren unisono seit Jahren vorgetragen – nicht zu einer Abnahme der Therapiebedürftigkeit führt, sondern im Gegenteil mehr und vor allem aufwändigere Therapien nach sich zieht. Die Annahmen der Politik, man könne Kosten für zahnärztliche Behandlungen durch vermehrte Präventionsanstrengungen senken, haben sich als falsch erweisen. Eine Korrektur dieser fehlerhaften Politik, z.B. in Form einer Anpassung der Budgets – mehr Therapiebedürftigkeit wird ja nicht billiger sondern teurer – deutet sich hingegen nicht an. So gewinnen die Patienten 60 + zwar deutlich an Lebensqualität, dieser Zugewinn wird jedoch durch überproportionalen Verzicht der Zahnärzteschaft auf angemessene Honorierung  erkauft.

 

 

Die Zahl der durchschnittlich fehlenden Zähne ist bei Senioren von 17,6 Zähnen im Jahr 1997 auf 14,2 Zähne im Jahr 2005 gesunken. Im gleichen Zeitraum ist die Zahl der Personen mit totaler Zahnlosigkeit von 24,8 Prozent auf 22,6 Prozent zurückgegangen. Fehlende Zähne wurden zu

88,7 Prozent prothetisch ersetzt.

 

Zahnverlust und totale Zahnlosigkeit bei Senioren im Vergleich von 1997 und 2005

1997                      2005

Durchschnittliche Zahl der fehlenden Zähne                     17,6                       14,2

Anteil der Senioren mit totaler Zahnlosigkeit                    24,8%                   22,6%

Quelle DMS IV

 

Nach wie vor überwiegen bei Senioren herausnehmbare Formen von Zahnersatz, also Teil- oder Vollprothesen. Allerdings gibt es auch in dieser Altersgruppe – wie bei Erwachsenen – einen Trend zu festsitzendem Zahnersatz. Die Zahl von Implantatversorgungen ist von 1997 bis 2005  auf mehr

als das Dreifache angestiegen von 0,7 Prozent auf bereits 2,6 Prozent. Diese Entwicklung dürfte sich verstärkt fortgesetzt haben.

 

Entwicklung der Zahnersatzversorgung (Leitversorgungen) bei 65- bis 74-jährigen Senioren

1997                     2005

Anteil der Untersuchten mit Kronen                                                                    4,2%                      6,5%

Brücken                                                                                                                            16,6%                   29,1%

Teilprothesen                                                                                                                 30,3%                   28,1%

Vollprothesen                                                                                                                44,2%                   30,5%

Quelle: DMS IV

 

Am auffälligsten ist die Abnahme der Vollprothesenträger, mit draus resultierenden besonderen therapeutischen Anforderungen, wie Behandlung von Wurzelkaries oder/und Parodontitis sowie Periimplantitis.

 

In der Altersgruppe der 65- bis 74-Jährigen wird die Abhängigkeit der Mundgesundheit von der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Bildungsschicht am deutlichsten bei der Anzahl der fehlenden

Zähne. Senioren mit niedriger Schulbildung fehlen durchschnittlich 16,0 Zähne (ohne Weisheitszähne), während es bei Untersuchten mit hohem Bildungsstatus nur 8,6 Zähne sind.

 

Auch vom Robert-Koch-Institut  RKI wird der Einfluss der Schichtzugehörigkeit auf die Gesundheit und Lebenserwartung durch epidemiologische Studien regelmäßig bestätigt. Die Angehörigen der unteren Sozialschichten sind vermehrt von körperlichen und psychischen Krankheiten, psychosomatischen Beschwerden, Unfallverletzungen sowie Behinderungen betroffen. Sie schätzen ihre eigene Gesundheit schlechter ein und berichten häufiger von gesundheitsbedingten Einschränkungen in der Alltagsgestaltung. Infolge dessen haben sie einen höheren Bedarf an Leistungen des medizinischen Versorgungssystems und an sozialer Absicherung im Krankheitsfall. Die Effekte der sozialen Benachteiligung kumulieren im Lebensverlauf und finden demzufolge auch in der vorzeitigen Sterblichkeit einen deutlichen Ausdruck.

Die Schichtzugehörigkeit bei der Ausprägung und Stabilisierung gesundheitsbezogener Einstellungen und Verhaltensmuster, z. B. Rauchen, Alkoholkonsum, Ernährung, körperliche Aktivität oder Inanspruchnahme des Gesundheitswesens, spielt eine wichtige Rolle, so die Bundesregierung, repräsentiert durch das RKI.

Die Schichtzugehörigkeit wird dabei oftmals über einen mehrdimensionalen aggregierten Index erfasst, der auf Angaben zum Haushaltsnettoeinkommen, Bildungsniveau und zur beruflichen Stellung basiert und eine Differenzierung zwischen Unter-, Mittel- und Oberschicht nahe legt (Winkler-Index). In den letzten Jahren wurden zahlreiche Arbeiten zum Thema Sozialschicht und Gesundheit publiziert, die auf Daten der Gesundheitssurveys des Robert Koch-Instituts basieren. Der Einfluss der Schichtzugehörigkeit wurde dabei u. a. im Zusammenhang mit folgenden Aspekten der Gesundheit betrachtet:

          Herz-Kreislauf-Krankheiten

          Hypertonie und Hypercholesterolämie

          Übergewicht und Adipositas

          Tabak- und Alkoholkonsum

          Körperliche Aktivität und Sport

          Medikamentenkonsum

 

Abfrage von Gesundheitsleistungen

Die Armuts- und Reichtumsberichterstattung der Bundesregierung, unter Beteiligung des RKI, liefert eine Expertise zum Thema "Armut, soziale Ungleichheit und Gesundheit – Zur sozial ungleichen Verteilung der Gesundheitschancen und Krankheitsrisiken in Deutschland". Die statistischen Daten sind deckungsgleich mit den Daten aus der zahnheilkundlichen Forschung: etwa 30 Prozent der Bevölkerung, überwiegend der sozialen Unterschicht zuzuordnen, fragen 70 Prozent der Gesundheitsleistungen nach. Anders als vielfach behauptet sind es also nicht die Senioren, die die Gesundheitskosten explodieren lassen, sondern primär die Angehörigen niederer sozialer Schichten, wobei das Gesundheitsrisiko dann im Alter bei diesen weit überproportional steigt (siehe auch DMS IV, doppelt so viele fehlende Zähne wie im Durchschnitt). Diese Daten müssen zwangsläufig in das Therapiekonzept für Senioren einfließen, damit eine adäquate individuelle Therapie gefunden werden kann.

 

Besonderheiten der Therapie – Therapiekonzept

Auch Senioren müssen einer regelmäßigen Prophylaxebetreuung zugeführt werden. Nur für den Fall der prothetischen Vollversorgung wäre dies weniger notwendig. Insbesondre Patienten mit reduziertem Gebiss – wie bei Senioren durchweg üblich – benötigen eine besondere Betreuung: die Restzähne sind nicht selten parodontal erkrankt, sie zeigen eine Neigung zu Wurzelkaries, die Gingivaretraktion ist eher die Regel als die Ausnahme, mit der Folge freiliegender Zahnhälse sowie Hypersensibilitäten.

 

Prophylaxe

Beim älteren Patienten sollte prinzipiell in Erwägung gezogen werden, dass Allgemeinerkrankungen vorliegen.  Dies beinhaltet das Risiko von Gerinnungsstörungen (Gerinnungshemmer sind bei vielen Senioren normale Medikation), Herzerkrankungen als die häufigsten Erkrankungen unseres Kulturkreises sind bei einem hohen Prozentsatz der Älteren chronisch. Bei der Prophylaxe ist deshalb besonders darauf zu achten, gegebenenfalls eine präventive antibiotische Abdeckung vorzunehmen (jede „normale“ Zahnreinigung löst eine dezente Bakteriämie aus, die bei Vorerkrankungen zu ernsten Krisen führen kann). Ebenso ist darauf zu achten, im Fall einer Gerinnungsstörung besondere schonende Verfahren der Zahnreinigung einzusetzen, da es sonst zu langandauernden Blutungen der verletzten Gingiva kommen kann. Da prinzipiell von freiliegenden Zahnhälsen auszugehen ist, sind Maßnahmen der Dentin-Desensibilisierung obligat. Der erhöhten Schmerempfindlichkeit älterer Menschen ist gegebenenfalls durch Lokalanästhesie Rechnung zu tragen, wobei abzuklären ist, inwieweit das zahnärztliche Anästhetikum mit der vermuteten Dauermedikation interferiert.

Zur Prophylaxe gehört bei Senioren auch eine Abschätzung der Speichelfließrate, die mit hoher Wahrscheinlichkeit reduziert ist, mit Folgen für die Kariesanfälligkeit. Eine Bestimmung der Salivationsrate scheint deshalb angebrachter als Bakterientests.

 

Kariologie

Die Karies ist beim älteren Menschen bevorzugt im Wurzelzement lokalisiert – Zahnhalsregionen, Interdentalräume (Wurzelkaries) sowie bei Dehiszenzen der Gingiva auch in Furkationen auch interradikulär. Schmelzkaries tritt dagegen in der Häufigkeit zurück. Deshalb sind auch Füllungstechniken anzuwenden, mit deren Hilfe eine Verankerung des Füllungsmaterials an Dentin möglich ist. Die Zahnhalsfüllung mit Stopfgold scheint nach wie vor bei der Zahnhalsfüllung der „Goldstandard“ – buchstäblich. Füllungen mit GI-Material sowie Zementfüllungen bieten sich an, Kompositfüllungen scheinen jedoch weniger sinnhaft. Eine Trockenlegung ist schwierig wenn nicht unmöglich (wo soll Kofferdam gelegt werden bei einem interradikulären Defekt?), der Zugang ist unübersichtlich, eine sichere Verankerung (Bonding) scheint zumindest zweifelhaft (sicher ist der Verbund Komposit/Zahn wohl tatsächlich nur im Schmelz, und Komposit setzt Reize der Gingiva (Komposit akkumuliert, so Erkenntnisse der Wissenschaft, mehr Plaque als natürlicher Zahn oder Amalgam bzw. Gold). Zu bedenken ist auch, dass beim Senioren der begrenzten Lebenserwartung die Haltbarkeit einer Restauration nicht mehr so elementar ist wie beim Jugendlichen bzw. Erwachsenen.

 

Bild Karies im internationalen Vergleich

Die Kariesdiagnostik sollte bei Senioren auch anders als bei Jugendlichen und Erwachsenen nicht mehr nur rein visuell sondern verstärkt röntgenologisch erfolgen, da die Karies an Lokalisationen angetroffen wird, die einer rein visuellen Inspektion kaum zugänglich sind. Eine hohe Rate an kariösen Neuerkrankungen sollte stets die Verdachtsdiagnose „Oligosialie“ bzw. „Xerostomie“ auslösen.

Kariöse Erkrankungen sollten  bei Senioren aufgrund der reduzierten Lebenserwartung eher konservativ als prothetisch versorgt werden – die Kosten-Nutzen-Relation ist stets im Auge zu behalten.

 

 

Parodontologie

Nach den Ergebnissen der DMS IV sind etwa 50 Prozent der Senioren therapiepflichtig parodontal erkrankt. Die PAR-Therapie vollzieht sich im Prinzip wie beim Erwachsenen, problematisch sind jedoch Budgets und Wirtschaftlichkeitsprüfungen. Teilweise kann das Problem durch Abdingung gelöst werden, auch Widersprüche gegen Prüfbescheide mit der Begründung „Praxis mit Alten Patienten“ (Nachweis ist zu führen) sind zielführend. Zu berücksichtigen ist aus medizinischer Sicht, dass eine hohe Wahrscheinlichkeit für Diabetes mit schlechter Heilungstendenz, Gerinnungsstörung, Resistenzbildung gegen Antibiotika und generell eine schlechtere Heilungstendenz gegeben ist.

Hinzu kommen neu verstärkt Befunde der „Periimplantitis“ die wie die PAR-Therapie nach vorgegebenem Schema zu behandeln sind.

„150.000 Periimplantitis-Fälle im Jahr!“ – so lautete die Schlagzeile der letzten „Up to Date“ Fortbildung von Oral B. Parodontitis ist seit Ursache Nummer Eins für den Zahnverlust. Nachdem jedoch zunehmen Implantate die Zähne im Alter ersetzen (sollen) kommt eine Welle an Periimplantitis auf uns zu, das zeigt sich in Skandinavien ebenso wie in der Schweiz oder zunehmend auch in Deutschland. Es wurden 2009 erstmals in Deutschland über eine Million Implantate gesetzt.

Damit gewinnt auch die Periimplantitis zwangsläufig an Bedeutung .

Eine Besonderheit der Periimplantitis ist, dass es zu relativ unauffälligen entzündlichen Knochenrezessionen des Implantatbetts kommt. Die von entzündeter Gingiva bzw. der Parodontitis gewohnte Blutungsneigung findet man – wie im übrigen auch beim Raucher –kaum bis gar nicht vor, do bleiben als diagnostische Möglichkeiten die Sondierung sowie das regelmäßige Röntgen. In Anbetracht der gravierenden Folgen einer Periimplantitis mit der erschwerten Therapie an den Schraubengängen Kommt der Früherkennung besondere Bedeutung zu.

 

Zur „konventionellen“ PAR mit Kürettage kommt bei der Periimplantitis das Problem befallener Schraubengänge und daraus resultierend die Unmöglichkeit einer Kürettage.  Hier können unterstützend Antibiotika sowie neuere Verfahren der Phototherapie (Laser) hilfreich eingesetzt werden. Die chirurgische Intervention mit Lappen-OP wird beim Implantatträger viel früher als beim natürlichen Zahn zum Tragen kommen.

 

Bild PAR im Internationalen Vergleich

Die Erkrankungsrate von Senioren in Deutschland ist, wie die Grafik zeigt, im internationalen Vergleich relativ hoch. Hier sollte die Erfassung des PSI sowie eine enge prophylaktische Betreuung der Situation Rechnung tragen.

 

 

 

 

Endo-Therapien

Der ältere Mensch hat einen deutlich höheren Bedarf an Endo-Therapien. Dies ist der langen Verweildauer der möglicherweise vorerkrankten Zähne geschuldet, aber auch der speziellen Kariesform der Wurzelkaries (die oft erst zu spät diagnostiziert wird) sowie einer fortgeschrittenen Parodontitis. Differentialdiagnostisch ist bei apikalen im Röntgenbild sichtbaren Auffälligkeiten zwischen einer Parodontitis periapicalis parodontaler Ursache und endodontaler Genese zu unterscheiden – die Therapie gestaltet sich durchaus unterschiedlich (im einen Fall Kürettage, im anderen Endo-Therapie). Wegen der physiologisch bedingten Rückbildung der Pulpa kann es im Einzelfall schwierig sein, durch Kältetest die Pulpa-Vitalität sicher zu diagnostizieren. Hier iost besondere Sorgfalt anzuwenden.

Die Endotherapie beim alten Menschen folgt im Prinzip den allgemein anerkannten Regeln. Besonderheit der Seniorenbehandlung ist eine Rücksichtnahme auf die vermutlich verminderten geistigen Fähigkeiten (die Altersdebilität nimmt aktuell rasant zu); hier kann es Probleme mit der Terminvergabe geben, es ist empfehlenswert, Angehörige mit einzubeziehen.

In Anbetracht des physiologischen Rückgangs des Alveolarknochens sollte bei der Endo – wie im Übrigen auch bei der PAR – bedacht werden, dass die Zahnwurzeln weitgehend frei liegen und so überlange Zähne in der  Mundhöhle entstehen. Abgesehen von ästhetischen Fragestellungen sind auch prothetische Besonderheiten evident. Bei relativ kurzen wurzeln im Knochen und langen Kronen bzw. Zahnanteilen in der Mundhöhle ergeben sich ungünstige Hebel, die adäquat angegangen werden müssen. So sollte der Wurzelstift nach Endo zeitnah und alternativlos eingesetzt werden, um Frakturen vorzubeugen.

 

Implantologie

 

2009 wurden erstmals in Deutschland über eine Million Implantate gesetzt. Nach deutlichen Verbesserungen der Implantationstechniken – aktuell wird die Implantatlage im Konsens zwischen Implanteur und Prothetiker abgestimmt – mit Augmentationstechniken zur Verbesserung des Knochenlagers, minimal invasiven Eingriffen transgingival ohne Aufklappung, Sofortversorgungen, etc. sind Implantate als echte Alternative insbesondere bei Senioren beliebt. Sie verbessern die orale Lebensqualität gegenüber herausnehmbarem Ersatz  enorm.

Derzeit implantieren mehr als zehn Prozent der deutschen Zahnärzte regelmäßig. Eine weitere Zunahmen zeichnet sich ab. Nicht nur das wachsende Interesse der Zahnmediziner bei Zahnimplantationen ist Beleg für die Triebkraft innerhalb der Implantologie, sondern auch die mediale Aufmerksamkeit, die diesem Fachbereich innerhalb der Zahnmedizin zuteil wird. Der informierte und gutsituierte Patient entscheidet sich mittlerweile nicht unbedingt für billige Prothgesen und "Zahnersatz zum Nulltarif". Bedenkt man in diesem Zusammenhang, dass überwiegend die Zielgruppe 50+ unter Zahnverlust und Zahnlücken leidet und kombiniert man diesen Fakt mit der zu erwartenden demographischen Entwicklung der nächsten Jahre, kann man prognostizieren –  2020 wird jeder dritte Einwohner über 65 Jahre alt sein – dass ein sinkender Behandlungsbedarf wohl nicht zu erwarten sein dürfte.

Ablaufende Patente von namhaften Herstellern in der Implantatindustrie ermöglichen die Kopie und den Vertrieb von Implantaten zum günstigeren Einkaufspreis. So ist das heutige Angebot der Implantatindustrie, welches dem Zahnarzt zur Verfügung steht, enorm groß. Inzwischen haben weit mehr als 160 Unternehmen implantologische Produkte im Portfolio, m Mehr als 60 davon bieten Zahnimplantate an.

 

Leitlinien der DGI

Behandlung eines Patienten mit einem Zahnimplantat Bildquelle: DGI

Etwa 50 Vertreter von 15 Fachgesellschaften und Verbänden haben mit der Erarbeitung von Leitlinien zu vier wichtigen Fragestellungen auf dem Gebiet der Implantatbehandlung begonnen.
Leitlinien wurden bisher bei der Implantatbehandlung noch  nicht definitiv festgelegt: „Es gibt auf diesem Gebiet eine einzige Leitlinie aus Neuseeland – und die hat Mängel“, so Prof. Dr. Ina Kopp, Leiterin des AWMF-Instituts für Medizinisches Wissensmanagement in Marburg. Dass eine gesicherte Osseointegration nach 3 Monaten im Unterkiefer und 6 Monaten im Oberkiefer nach einer Implantatbehandlung in den meisten Fällen vorliegt, gilt als gesichert. Kontrovers werden nachwievor die Sofortbelastung und gewisse Planungsrichtlinien diskutiert. Auch bei der Behandlung der Periimplantatitis wird weiter nach geeigneten Leitlinien gesucht.

DGI-Präsident Prof. Dr. Dr. Hendrik Terheyden formuliert das gemeinsame Ziel der Fachgesellschaften: "Wir holen uns durch diese Leitlinien die Entscheidungsfreiheit in der Therapie bei der Implantatbehandlung zurück." Denn es komme zunehmend vor, „dass einerseits Kostenträger die Kostenübernahme für sinnvolle Maßnahmen ablehnen und andererseits der Einsatz von Verfahren in Indikationen propagiert wird, wo diese vielleicht weniger sinnvoll sind."
Schwerpunktthemen der Arbeitsgruppen sind u.a.: Indikationen für die radiologische 3D Diagnostik und navigierte Implantatinsertion, die Anwendung von Knochenersatzmaterialien, die Klinische Wertigkeit und Differentialindikationen für die festsitzende bzw. herausnehmbare Versorgung auf Zahnimplantaten im zahnlosen Oberkiefer und Maßnahmen zum Strukturerhalt der Alveolarkammgewebe bei Zahnextraktionen vor geplanter Implantatbehandlung.

Die Konsensusstatements sollen auf dem 24. Kongress der DGI am 27. November 2010 in Hamburg präsentiert werden, so die DGI Pressestelle.

Bekannte Kontraindikationen

Allgemeinerkrankungen, wie AIDS oder Leukämie, sind als Kontraindikationen allgemein bekannt. Blutgerinnungsstörungen z.B. oder Diabetes werden konträr diskutiert, ebenso Suchtproblematiken, wie Nikotinabusus. Bei sehr guter häuslicher Prophylaxe kann auch bei einem Raucher mit ausreichend guter Prognose implantiert werden, ebenso bei Patienten mit Gerinnungsstörungen bei vorheriger Absprache mit dem Hausarzt und möglicherweise Einsatz von Fibrinklebern bei der zahnärztlichen OP.

Zu Diabetes gibt ein aktueller Literatur-Review(Javed F, Romanos GE) Antworten.  Der Konsens aus 33 Studien ergab, dass ein schlecht kontrollierter Diabetes die Einheilung von Zahnimplantaten negativ beeinflusst. Unter einer optimalen Kontrolle des Blutzuckerspiegels können jedoch gute Voraussetzungen für eine erfolgreiche Osseointegration auch bei Patienten mit Diabetes geschaffen werden. So ist auch die Verwendung von antiseptischen Mundspülungen und eine entsprechende Mundhygiene, unterstützt von professioneller Prophylaxe für das positive Ergebnis einer Implantation bei Patienten mit Diabetes hilfreich. Die geschätzte Zahl an Diabetikern in Deutschland bewegt sich um 10 Millionen, wobei mit zunehmendem Alter die Wahrscheinlichkeit zunimmt. Es ist also zwangsläufig mit diabetischen Patienten im Seniorenalter zu rechnen. Eine gute Compliance der Patienten bezüglich Antidiabetikaeinnahme sowie Prophylaxe ist unabdingbar

 

Diabetes ist ein Krankheitskomplex mit metabolischen und vaskulären Komponenten. Die Stoffwechselkomponente beim Diabetes bewirkt eine Erhöhung des Blutzuckerspiegels in Verbindung mit Veränderungen des Lipoproteinstoffwechsels infolge eines relativen oder absoluten Insulinmangels. Bei der vaskulären Komponente steht einerseits das frühzeitige Auftreten von Gefäßverengungnen(Arteriosklerose) und andererseits eine spezifische Mikroangiopathie im Vordergrund des Krankheitsgeschehens. Diese Komponenten verlangsamen die Wundheilung und verstärken das Risiko für Entzündungen  im Mund-Kiefer-Gesichtsbereich. Eine postoperative antibiotische Abschirmung ist bei Patienten mit einem Diabetes sinnvoll. 

 

Zahnersatz

ZE sollte den nachlassenden geistigen und manuellen Fähigkeiten des alternden Menschen Rechnung tragen. Das heißt, komplizierte Restaurationen mit Riegeln und Geschieben sind weniger gut geeignet – einfachen technischen Konstruktionen ist der Vorzug zu geben. Für einen alten Menschen kann schon das Einsetzen einer Teleskopprothese zur Herausforderung werden, was nicht selten dazu führt, dass die Reinigung des ZE unterbleibt, mit entsprechenden Folgen für die noch intakten Mundhöhlengewebe. Bei implantatversorgungen sollte darauf geachtet werden, dass eine Reinigung der interimplantären Zwischenräume sehr leicht möglich ist. Wegen der häufig – nicht nur bei Frauen! – anzutreffenden osteoporotischen Knochen sind schleimhautgetragene Restaurationen mitverantwortlich für einen besonders raschen Knochenabbau, es sollte also post extraktionem möglichst rasch eine dauerhafte gewebeschonende Lösung gefunden werden – heute sind das Implantate bzw. Sofortimplantate, Teleskoparbeiten mit einfacher Handhabung sowie bei Extraktionen prophylaktische Insertion von Knochenersatzmaterialien, um einem zu raschen Schwund des Alveolarknochens gegenzuwirken.  Die einer Extraktion folgende Erweiterung des ZE sollte aus denselben Gründen sehr zeitnah erfolgen.

Bei Senioren in besonders vorgerücktem Alter empfiehlt es sich, möglichst anstelle einer Neuanfertigung  vertrauten Zahnersatz wieder funktionsfähig zu machen. Alte Menschen haben große Schwierigkeiten bei der Inkorporation von ungewohntem ZTE, was nicht selten eine „Unverträglichkeit“ zur Folge hat.

 

 

Literatur

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