Die Biss-Zahnspur (Teil 1)

1 Einleitung

Die Besprechung von Biss- bzw. Zahnspuren, die in der deutschen Fachliteratur bisher zu wenig beachtet wurden und in der täglichen Praxis zu oft nicht, als solche erkannt werden, soll mithelfen, die Dunkelziffer der körperlichen Misshandlungen, insbesondere an Kindern, offen zu legen, und bei Tötungsdelikten einen Beitrag leisten zur Überführung des Täters bzw. zum Ausschluss eines Tatverdächtigen.

Die Zähne des Menschen hinterlassen mehr oder weniger charakteristische Spuren an Körpern und Gegenständen [54,79]. Zahn- oder Bissspuren entstehen durch den natürlichen Beißvorgang der Zähne eines Menschen oder eines Tieres, bei Gewalteinwirkungen auf das Gebiss oder beim Sturz auf den bezahnten Mund. Diese Spuren zeigen sich auf der Haut des Menschen als Bissmarken (bite marks – ohne Oberhautdurchtrennung) oder als Bisswunden.
Von Menschen verursachte Biss/Zahnspuren sind im allgemeinen relativ häufig anzutreffen, sie sind jedoch nur in begrenztem Umfang von forensischer Bedeutung, obwohl es immer wieder vorkommt, dass Menschen ihre Zähne zum Angriff oder zur Verteidigung (Notwehr, Rauferei) als Waffe gebrauchen.
Die Motivationsskala des Beißvorganges reicht von gestörten Partnerbeziehungen (Streit, Eifersucht, Rache), der Befriedigung der Sexualität mit allen Triebabweichungen (Abb.H-1) bis zur Selbstverstümmelung Geisteskranker [27,40,54,65,81,86].
In der Literatur wird stets von Bissspuren gesprochen, und es ist tatsächlich auch so, dass viele Zahnspuren von einem Biss herrühren. Sieht man Spuren von Ober- und Unterkieferzähnen (meist handelt es sich um Front- und Eckzahnspuren), so spricht dies dafür, dass es sich um eine Bissspur handeln könnte. Jedoch sind nicht alle Zahnspuren auch Bissspuren, weil sich daraus bereits die Frage ergibt, wie die Spur entstanden ist und wer sie verursacht haben könnte. Zahnspuren können durch Stoß/Schlag entstehen oder wenn Zähne als Werkzeug benutzt werden. Dies eine Bissspur zu nennen könnte eine Schuldfrage aufwerfen und den Vorgang in einen Kriminalfall umwandeln. Daher ist die neutrale Bezeichnung Zahnspur zu bevorzugen und erst nach genauer Analyse lässt sich daraus eine Bissspur ableiten [35].
Normalerweise werden Zahnspuren vom Menschen bei der Nahrungsaufnahme, bei der Arbeit und im Sexualleben hinterlassen. Sind Zahnspuren aber mit einem Verbrechen verknüpft, so bei tätlichen Auseinandersetzungen, dann sollte eine Untersuchung darüber Auskunft geben, wann die Spuren gesetzt wurden und wer sie verursacht haben könnte.
Menschenbisse mit Durchtrennung der Epidermis gelten als weitaus gefährlicher als zum Beispiel Hundebisse infolge ihrer hohen Infektionsgefahr. Die Mikroorganismen der Mundflora bei nicht saniertem Gebiss besitzen einen hoch potenten Keimstatus. Manche der Gebissenen erkranken erst Wochen oder Monate an einer durch den Beißvorgang verursachten Infektion z.B. mit Hepatitis B-, C-Viren oder dem HI-Virus.

2 Vorkommen von Zahnspuren

Zahnspuren als Einbiss oder durchbiss kann man in Lebensmitteln finden, aber auch in Gegenständen wie Holz, Plastik oder Metall [49].
Bei Einbrüchen entwickelt der Einbrecher eigenartigerweise oft Appetit auf Lebensmittel, Früchte oder Süßigkeiten. Einkerbungen an den Schneiden der Zähne können schartenartige Spuren hinterlassen, wobei in den meisten Fällen die Schneidezähne des Ober- und Unterkiefers zur Abformung kommen. Solche Spuren sind oft sehr gut erkennbar und können als Beweis dienen [18,53].
So kann eine hinterlassene Zahnspur z.B. in Käse ein unwidersprochener Beweis sein [37]. Doch kann es vorkommen, dass die Person, die anwesend war und die Zahnspur im Lebensmittel hinterließ, als Täter verdächtigt wird, aber nicht der Täter war.
Die erste Frage ist, ob die Spuren von Zähnen stammen oder durch einen Gegenstand verursacht wurden. Gegenstände können rundliche, bogenförmige Spuren setzen, die Ähnlichkeit mit Zahnbögen haben [57].
Zahnspuren müssen mindestens individuelle Spuren von Zähnen aufweisen, um sie auch als individuelle Zahnspuren zu identifizieren. Es kommt aber auch vor, dass Gegenstände uneben gestaltet sind und die Spur individuelle Zahnabdrücke vortäuscht.
Solheim [69] berichtet über einen Fall, bei dem Zahnspuren an Kronenverschlüssen von Bierflaschen den Täter überführen (Abb.1a-c): Die Polizei fand nach einem Einbruch in ein Haus am Tatort zwei Bierflaschen, offensichtlich mit den Zähnen geöffnet (Spuren von zwei Zähnen an deren Kronenverschlüssen waren deutlich zu erkennen). Zwei Tatverdächtige wurden verhaftet.

  • Auf dem Weg zum Revier wurden sie durstig. Die Polizisten kauften Mineralwasserflaschen, die ebenfalls Kronenverschlüsse aufwiesen, hatten jedoch keinen Flaschenöffner dabei. Einer der Häftlinge öffnete die Flaschen mit den Zähnen und behauptete stolz, dass er das immer so mache. Im Polizeifahrzeug befanden sich drei Verschlüsse, die damit zum Tatbeweis (Vergleichsmaterial) führten.
  • • Schlussfolgerung: Beide Flaschen wurden von ein und derselben Person geöffnet. Der Richter hat den Verdächtigen daraufhin verurteilt.

#Abb. 1a-c#
Die Zähne können aber auch das betreffende Material beim Sturz getroffen haben oder die Spuren wurden durch einen Schlag auf die Zähne verursacht. In solchen Fällen werden die Zähne oft beschädigt oder frakturieren. Dann muss auch nach Zahnsubstanz gesucht werden – es könnte sich um eine Kombination von Gewalteinwirkung mit Zahnspuren und Zahnbeschädigungen handeln [40].
In einem Konflikt können beide Parteien Zahnspuren aufweisen. Die Spur kann sowohl ein Zeichen von Abwehr als auch von Aggression sein.
Besonders bei der Untersuchung von Sexualverbrechen, Körperverletzungen und anderen Gewaltverbrechen können Bissspuren am Körper der geschädigten Person und als Folge von Abwehrhandlungen auch am Körper des Täters festgestellt werden [19,25,55]. In all den Fällen, in denen bei Gewaltverbrechen Bissspuren festgestellt werden, ist es wichtig, neben der Fahndung nach üblichen Spuren auf das Vorhandensein von Blut und/oder Speichel zu achten. Dies kann für die Rekonstruktion des Tatablaufs, für die Analyse der Aktivität des Täters und gegebenenfalls seines Trunkenheitsgrades von ausschlaggebender Bedeutung sein [90].
Bei Vergewaltigungen können Zahnspuren (lediglich mit Impressionen und subepithelialer Blutung) vorgefunden werden, die oft einem Liebesbiss gleichen. Überlebt das Opfer, so verschwinden die Impressionen nach wenigen Stunden. Daher müssen Zahnspuren so schnell wie möglich untersucht werden.
Eine subepitheliale Blutung kann man noch nach mehreren Tagen sehen, sie kann nach einigen Tagen deutlicher werden. Daher sollte das Opfer an mehreren aufeinanderfolgenden Tagen untersucht werden. Auch lässt eine Untersuchung unter infrarotem oder ultraviolettem Licht die Spur deutlicher erkennen [60]. Jedoch zeigt die subepitheliale Blutung nur wenig Details und hat nur eine begrenzte und oft enttäuschende Bedeutung. Auch findet man häufiger, dass der Biss einen Ring formt mit zentral darin befindlichen subepithelialen Blutungen als Resultat eines Saugvorgangs. Die Dimensionen des Bisses können sich verändern [80]. Im Gegensatz zu Tieren saugen die Menschen oft mehr als sie beißen. Tiere hinterlassen keine zentralen subepithelialen Hämatome zwischen den Zahnbögen. Bei dem Verdacht auf Tierbisse sollten Untersuchung und Bissvergleich gemeinsam mit dem Veterinärmediziner erfolgen [40].
Die Mechanik der Bissverletzungen mit Epidermisdurchtrennung beim „Zerrungsbiss“ (Abb. 2) unterscheidet sich grundsätzlich vom „Saugbiss“ (Abb. 3) mit Anreicherung der durchtrennten Epidermis vor den Schneidekanten der Zähne [54].
#Abb. 2 Zerrbiss: Mechanik der Bissverletzungen mit Epidermisdurchtrennung (mod. nach Zerndt)#

#Abb. 3 Saugbiss: Mechanik des Saugbisses mit Anreicherung der durchtrennten Epidermis (mod. nach Zerndt)#
Der Versuchsablauf experimenteller Saugmarken an der Haut (Abb.4 zeigt eine kreisrunde Figur, die nach Abnahme der Saugglocke eine ovale Form annimmt (54). Dieses Verhalten korrespondiert mit den Hautspaltlinien, wie sie bereits Langer [39] beschrieben hat.

#Abb. 4 Experimentelle Saugmarken an der Haut#
Von bemerkenswerter Bedeutung ist auch die Art der Krafteinwirkung auf die Haut, d.h. ob der Biss zugleich unter „wühlenden“ Bewegungen am Opfer ausgeführt wird oder ob sich die Haut durch die Haltung des jeweiligen Körperteils in gespanntem oder verzogenem Zustand befindet. Dann führt die Zurücknahme in den entspannten Zustand ebenfalls zu Verschiebungen der Bissmarke. Das trifft insbesondere für Arme und Beine zu (Erhebungen an freiwilligen Versuchspersonen) und ist für die Ausführung der Bissspuranalyse eine weitere unkontrollierbare Unbekannte [54].
Zur Prüfung der Sicherheit der Bewertung von Bissspuren führten Pilz et al. [54] Bissspurvergleiche (native Spurensetzung an der menschlichen Haut) an verschiedenen Modellen im Blindversuch durch. Der Genauigkeitsgrad der Beurteilung der Bissspuren anhand der Fotografie war sehr vom Zeitpunkt abhängig, wann die Aufnahmen nach dem Setzen der Spuren erfolgten. Die Auswertung am 24-Stunden-Modell zeigte nur noch einen Genauigkeitswert von 9 %! Ein hoher Prozentsatz Treffsicherheit wird erzielt, wenn die Bissmarke eindeutige Abdrücke liefert und möglichst rasch und klar fotografiert wird.
Nehrkorn und Sturm [52] befassten sich mit der Problematik, ob

  • typenähnliche Normalgebisse überhaupt sicher erkennbare unterschiedliche Abdrücke ergeben und
  • aktive Bisse in vitales, reagierendes, verschiebliches Substrat mit Bissmarkenkopien vergleichbar sind.

Sie kamen zu folgenden Ergebnissen:
Beim typenähnlichen Normalgebiss sind Vergleichsverfahren wertlos. Die erhebliche Belastung mit Pseudoidentitäten birgt die Gefahr falsch positiver Aussagen. Bei Deckungsgleichheit ist somit nur der Hinweis «nicht auszuschließen» unter Verweis auf die hohe Rate unspezifischer Typenähnlichkeit beim Normalgebiss erlaubt.
Misshandelte Kinder weisen ebenfalls oft Zahnspuren in der Haut auf [21]. Auch diese Spuren lassen nur Impressionen und subepitheliale Blutungen erkennen, vor allem dann, wenn der Täter das Kind nicht eigentlich schädigen wollte. Werden diese Zahnspuren erst nach vielen Tagen oder erst, wenn das Kind tot ist, in die polizeiliche Nachforschung einbezogen, so sind die Spuren meistens beinahe verschwunden und kaum noch als Beweis geeignet.
Bissspuren können am selben Objekt einzeln oder multipel vorkommen, auch verteilt auf verschiedene Körperregionen, sodass es in jedem Fall wichtig ist, den gesamten Körper zu untersuchen. Des weiteren können die Spuren von einem oder von mehreren Tätern verursacht sein [54].
Die Lokalisation von Bissen nach ihren Häufigkeiten lässt erkennen, dass die Finger am häufigsten betroffen sind (Abwehrreaktionen), gefolgt von der weiblichen Brustdrüse (Sexualdelikte). Erst dann folgen die Extremitäten. Hals und Rumpf sind relativ selten beteiligt [86].
Eine weitere Untersuchung zur Häufigkeit in Bezug auf das Geschlecht der Spurenverursacher und das Geschlecht der Opfer (Spurenträger) bei Tötungsdelikten zeigt eindeutig, dass das männliche Geschlecht als Spurenverursacher die Mehrheit stellt, während bei dem gleichen Delikt das weibliche Geschlecht als Spurenträger (Opfer) bei Weitem überwiegt [86].
Attacken, bei denen sexuelle Erregung plötzlich in Hass und Rachegefühle umschlägt, verüben beide Geschlechter mit ähnlichem Engagement.

3 Untersuchungsmethoden

Pathologisch veränderte bzw. zahnärztlich versorgte Gebisse sind für die Beurteilung von Bissspuren wesentlich günstiger als „Normalgebisse“. Berücksichtigt werden muss bei der Untersuchung die Mechanik des Bisses wie einfacher Hackbiss, Reiß- oder Zerrbiss, Anheben der gefassten Weichteile, ferner die Intensität und der Ort des Bisses, die vitalen Reaktionen, die Art des erfassten Gewebes und der jeweiligen Unterlage [28,54,79,91].
Aber trotzdem sind auch hier viele Einzelheiten zu beachten, wenn nicht Fehlurteile das Ergebnis sein sollen. Günstig ist in dieser Hinsicht die Tatsache zu werten, dass „Normalgebisse" an Zahl wesentlich seltener vorkommen als pathologisch veränderte.
Die Untersuchung von Bissspuren bei Gewaltverbrechen erfordert Sachkenntnis. Der zahnärztliche Sachverständige muss baldmöglichst in die Untersuchung einbezogen werden. Sein Urteil muss in einem Gutachten dargelegt sein, das mit fachgerechten Untersuchungsmethoden begründet ist. Bereits die Spurensicherung kann Fehlbeurteilungen ermöglichen bzw. Beurteilungen gefährden. Alle nur möglichen Hinweise zum Tathergang und zum Spurenverursacher (Täter) sind zu erfassen, wobei selbst kleinste Details von großer Bedeutung für die spätere Identifizierung sein können. Nach dem Grundsatz „nichts berühren, nichts verändern“ ist der Tatort bis zur definitiven Sicherung aller Spuren gegen Personen, Tiere oder andere Einflüsse (Witterung) abzuschirmen. Spurenverwischungen oder falsche bzw. fingierte Spuren können durch den Tathergang oder durch die Spurensuche entstehen oder aber vom Täter gezielt angelegt werden. Auch solche Spuren sind zunächst zu sichern [31].
Die Biss/Zahnspurenbehandlung ist interdisziplinäre Teamarbeit. Der Personenkreis, der am Erkennen, Sichern und Auswerten der Spur beteiligt ist, setzt sich in der Praxis aus Kriminalbeamten, Rechtsmedizinern, Serologen und Zahnärzten zusammen. So sollte bei jedem Verdacht der Möglichkeit des Vorliegens einer Biss/Zahnspur bei der Untersuchung eines Tatverdächtigen/Opfers bzw. bei der Obduktion ein erfahrener Zahnarzt hinzugezogen werden [15,79].
Sørup [66] schreibt 1924: Bisher sind in der gesamten Literatur der Zahnheilkunde keine Anhaltspunkte für die Feststellung der Täter aus Bissverletzungen zu finden. Durchsucht man das gerichtsärztliche Schrifttum nach den Bisswunden beim Menschen, so stellt sich heraus, dass erst seit verhältnismäßig kurzer Zeit den Bisswunden und Bissverletzungen größere Bedeutung vor Gericht beigelegt wird. Zahlreiche Autoren haben sich inzwischen mit den Möglichkeiten zur Identifizierung der Einbisse und den Rückschlüssen auf die Person des Täters befasst [63].
In pathologisch-anatomischer Hinsicht zählt man die Bisswunden zu den Quetsch- oder Rissquetschwunden, je nachdem ob die Zähne in das Gewebe eingesenkt oder wieder entfernt werden, oder ob an den mit den Zähnen erfassten Teilen der Haut auch noch eine Zerrung oder ein Reißen stattfindet, welches entweder von dem Angreifer bewirkt wird, oder von dem gebissenen Individuum dadurch, dass dieses bemüht ist, den ergriffenen Körperteil den Zähnen des Angreifers zu entreißen.
Sehr wichtig für die gerichtliche Beurteilung einer Bisswunde ist, dass zunächst der Arzt möglichst frühzeitig die Wunden zu sehen bekommt, diese als Bisswunden erkennt und dem erfahrenen Rechtsodontologen zuführt.
Am häufigsten kommen Zahnspuren in der Haut vor. Dabei wird die Haut oft durchtrennt, ja es kann vorkommen, dass ein ganzes Stück Haut herausgebissen ist [25].
Graw et al. [25] berichten über eine morphologische Befunderhebung an einem Hautstück und dessen DNA-Typisierung, die zur Täteridentifikation führte: Nach zunächst als Suicid bei bekannter Psychose einer 35-jährigen Frau angenommenem Tatablauf musste angesichts einer Vielzahl von Stichwunden von einem Homicid ausgegangen werden. In der Mundhöhle der Frau fand sich sublingual ein etwa 1 cm messendes T-förmiges Stück Hornhaut als Untersuchungssubstrat, das keinem der zahlreichen Hautdefekte der Frau zugeordnet werden konnte. Zahlreiche Männer aus der Bekanntschaft der Frau wurden als potenziell tatverdächtig körperlich untersucht. Einer von ihnen wies an der Beugeseite des Li. Ringfingers eine in Abheilung befindliche flächige Verletzung auf, in die sich das aufgefundene Hornhautstückchen nach Form, Größe und Papillarlinienmuster gut einpassen ließ. Die DNA-Untersuchung ergab, dass sich das Hautstück nur dem Tatverdächtigen zuordnen ließ, der daraufhin ein Geständnis ablegte. Bei der gezielten molekularbiologischen Untersuchung ergab sich für die am gewaschenen Hautstück und dem Tatverdächtigen nachgewiesene Merkmalskombination (übereinstimmende Merkmalsmuster) ein statistisch errechenbarer Häufigkeitswert in der Größenordnung von 1:700.000.
Deshalb muss man sich zunächst im klaren darüber sein, ob eine bestimmte Verletzung überhaupt von einem Biss herrühren kann oder nicht.
Im folgenden Fall stammen die Untersuchungen von einem Tötungsdelikt, bei dem der Täter einen Beißvorgang selbst nicht wahrgenommen haben will. Die bei der Obduktion ohne Maßstab angefertigte Fotografie der Seitenansicht des Kopfes lässt an der Stirn des Geschädigten (Abb. 5, Pfeil) eine bogenförmige, vorwiegend zwischen den Augenbrauen verlaufende kratzerartige, glattrandige Oberhautdurchtrennung erkennen.

#Abb. 5#
Die bei dem tödlich endenden Streit zweier Freunde im Stirnbereich vorgefundene Stirnwunde wurde zunächst als durch eine zerbrochene Milchflasche (Tatwerkzeug?) verursacht angesehen, die weiteren erkennbaren, hier irrelevanten Verletzungen der Gesichtshaut durch das eingesetzte Tatwerkzeug (Messer). Der hinzugezogene Rechtsodontologe vermutet bei der bogenförmigen Stirnverletzung, sie sei möglicherweise durch einen Biss des Tatverdächtigen (im Affekt?) entstanden. Um eine Analyse der Verletzung zu ermöglichen, wird eine Plattenaufnahme angefertigt (Abb.6).

#Abb. 6#
Hier finden sich sieben Eindrücke, die der Schneidekantenreihe von Front- und Eckzähnen entsprechen. Beim Vergleich mit dem Gipsmodell des Oberkieferabdruckes des Tatverdächtigen über einer Klarsichtfolie wird ersichtlich, dass der Defekt durch den rechten Eckzahn, sämtliche Schneidezähne, den linken Eckzahn und vorderen Prämolaren verursacht wurde. Besonders fällt auf, dass die Impression des rechten ersten Schneidezahnes (Defektbreite 7 mm, Schneidekantenbreite 7 mm) entsprechend seiner Stellung als Prothesenzahn (Abb. 7, Pfeil A) etwas einwärts liegt.

#Abb. 7#
Aufgrund der durchgeführten Untersuchungen konnte nunmehr ausgesagt werden, dass die im Stirnbereich annähernd bogenförmige Hautverletzung durch einen Biss des Tatverdächtigen verursacht wurde [57]. Möglicherweise handelt es sich hier um eine Zahnspur, die beim Aufprall der Zähne des Täters auf die Stirn des Opfers während des Tatablaufes entstand, ohne die Absicht des Täters, sein Opfer zu „beißen“, nicht um einen aktiven Beißvorgang im Gesicht mit „Bissspur“, sondern mit großer Wahrscheinlichkeit um einen stempelartigen Abdruck der Zähne des Oberkiefers – eine „Zahnspur“ – zu Lebzeiten erfolgt – in der Gesichtshaut durch Kopfstoß; einen gewaltsamen Aufprall des Zahnbogens der Oberkieferzähne des Tatverdächtigen bei geöffnetem Mund während der tätlichen Auseinandersetzung mit dem sich wehrenden Opfer.
Ein wesentliches Zuordnungskriterium ist eine akzeptable Weichteilschichtdicke in der Bildebene (Stirnbereich). Im Bereich der Kopfschwarte und der Stirnweichteile gibt es nur geringe Abweichungstoleranzen, da die Kopfschwarte im Durchschnitt konstant etwa 5-7 mm dick ist.
Beim Vorliegen einer Stellungsanomalie erweisen sich deren Merkmale zur Identifizierung der Biss/Zahnspur als sehr wertvoll. Dabei hat die morphologische Beurteilung an erster Stelle zu stehen. Den Strecken- und Winkelmessungen kommen ergänzende Funktionen zu [32,33].
Voraussetzung für die gerichtliche Beurteilung von Bisswunden ist die genaue anatomische Kenntnis der Form und des Aussehens dieser Wunden einerseits und die Kenntnis des Gebisses der, wenn auch seltener, infrage kommender Tiere, sowie ihrer etwaigen Eigentümlichkeiten beim Beißen andererseits, d.h. ob die Bissverletzung von einem Menschen oder von einem Tier stammt [15].

4 Durch Tierbiss verursachte Spur

Tiere pflegen, wenigstens beim Angriff, den Menschen wahllos an bedeckten und unbedeckten Körperteilen zu erfassen, während der Mensch in der Regel nur in unbedeckte oder in bloßgelegte Körperteile beißt – in die Finger, Brüste, Arme, Schenkel, Nase, Hände, Ohr, Wange, Lippe, Hals, Kinn, Schulter, Bauch, Genitalien, Achselhöhle.
Besonders können dabei Körperteile wie Finger, Nase, Ohren und Penis durch- oder ganz abgebissen werden.
Von den Tieren, die dem Menschen durch ihren Biss gefährlich werden können, kommen in erster Linie unsere säugenden Haustiere in Betracht: Hunde, Katzen, Pferde, für deren Folgen der Besitzer haften muss.
Da nicht alle Bissverletzungen durch Tiere immer harmlos für den Betroffenen sind, sondern schwerste Körperverletzungen, ja Todesfälle beobachtet wurden, können natürlich auch diese das Strafrecht beschäftigen.
In den USA kommt es schätzungsweise jährlich zu 2-3 Millionen Hundebissen, von denen etwa 60 % Kinder betroffen sind.
Etwa 20 Kinder sterben in den USA jedes Jahr durch Hundebisse [5].
Verletzungen durch Bisse von Nicht-Haustieren, wie z.B. Ratten, Mäusen, wilden Katzen u.a. größeren und kleineren Raubtieren unserer Gegend sind im Verlaufe einer Untersuchung insofern von Interesse, da die Entscheidung, ob sie intravital oder postmortal entstanden sind, zur Aufdeckung einer Straftat beitragen kann.
Die mögliche Verwechslung mit vitalen Verletzungen von verschiedenen Zerstörungen, welche durch Tiere an der Leiche hervorgerufen werden und ganz eigenartige Bilder zustande bringen, bedarf der Untersuchung. Tsokos und Schulz [85] berichten über zwei Fälle, in denen post mortem (Ergebnis der Sektionen) Fleischfresser und Nagetiere ihre Besitzer, die eines natürlichen Todes verstorben waren, im Kopf- und Halsbereich zerfleischten:
Im ersten Fall handelte es sich um zwei Pitbullterrier, die ihren 61-jährigen Besitzer, der tot und angekleidet in der Wohnung lag, im Kopf-, Nacken- und Halsbereich skelettierten (Larynx, Schilddrüse, Teile der A. carotis bds. und der obere Teil des Oesophagus sowie der Luftröhre waren nicht auffindbar).
Im zweiten Fall wurde eine 41-jährige Frau, die an einer akuten Lungenentzündung verstorben war, ebenfalls angekleidet in ihrer Wohnung liegend, von Ratten im Hals- und oberen Thoraxbereich angefressen (Larynx, Schilddrüse, Teile der A. carotis bds. und obere Oesophagusanteile waren nicht auffindbar).
Rattenbisse kommen auch beim Lebenden vor. Mit dieser ätiologischen Schwierigkeit wächst die Bedeutung der Fälle.
Zu durch Katzen verursachten Bissverletzungen meint Strauch [73]:
„Feliden sind ausgesprochene Raubtiere, die den Hauptwert darauf legen, lebenswarme frische Beute zu erjagen.“
Dennoch sind Fälle bekannt, wo Katzen Leichen anfressen. Beginnende oder fortgeschrittene Fäulnis hält sie nicht vor der Annahme des Leichnams ab.
Bei der Tierbissidentifikation fällt es oft schwer, eine Verletzung überhaupt als Biss zu erkennen. Infolge der großen Gewebszerreißungen bei Tierbissen besteht häufig nicht die Möglichkeit individuelle Merkmale festzustellen.
So berichtet Houtrow [34] von einem 14jährigen Knaben, der in einer Wiener Parkanlage tot aufgefunden wurde, am Körper und im Gesicht durch Verletzungen, die den Aspekt von Messerstichen boten, entstellt.
Die Ermittlungen und die gerichtsmedizinische Obduktion ergaben, dass die Verletzungen von mehreren Deutschen Schäferhunden stammten, die das Kind weitgehend zerfleischt hatten.
Vergleichende Untersuchungen an Schädeln von Hunden (Deutscher Schäferhund, Boxer) sowie eines Eisbären [14], erbrachten sowohl überraschende Ähnlichkeiten als auch Unterschiede zwischen den einzelnen Tierarten bzw. den von ihnen gesetzten Bissverletzungen. Am Boxergebiss fällt z.B. die physiologische Progenie (der umgekehrte Frontzahnbiss) auf. Zu erwarten sind bei solchen Bissverhältnissen Zerrungen und Quetschungen im Gewebe. Beim Deutschen Schäferhund dagegen treffen beim Biss die Frontzahnreihen aufeinander bzw. gleiten wie Scherenbranchen nahe aneinander vorbei. Tiere, die in der biologischen Systematik weiter auseinander stehen und deren Größe und Kraft gemeinhin als recht unterschiedlich eingestuft werden, zeigen dagegen in der Art und in den Gebissausmaßen erstaunliche Ähnlichkeiten. Bei Hundebissen hinterlassen die verhältnismäßig langen Eckzähne (Reißzähne) Eindrücke, die unter Umständen Ähnlichkeit mit Stichverletzungen (Abb.8a und b) durch konische Gegenstände aufweisen können [54].

#Abb. 8a, Abb. 8b Hals und Nacken weisen stichartige Zahneindrücke, Rutschspuren und Unterblutungen auf (mit frdl. Genehmigung von Prof.Dr. W.Pilz, Arnstadt)#
Auf dem Gebiet der bisher wenig erörterten Tierbissidentifikation bestehen Möglichkeiten, Informationen über die verursachende Tierart, in manchen Fällen über das verursachende Individuum zu erhalten. Es ist nicht möglich, dazu eine Standarduntersuchungsmethode anzugeben. Rückschlüsse auf die Art und Weise der Beibringung der Verletzung sind nur durch vergleichende Betrachtung von Gebiss und Bisswunde möglich.
Die Hauptgefahr von Tierbissen an Überlebenden ist nicht so sehr die Verletzung selbst als deren Infektiösität.
Gerade geringfügige Verletzungen werden vom Betroffenen unterschätzt und können Ausgangspunkte von Infektionen werden, so Pasteurellose (Pasteurella septica bzw. multocida), Septikopyämie (Streptobacillus moniliformis), Sodoku (die „Rattenbisskrankheit“) und Weil´sche Krankheit (Leptospira icterohaemorrhagiae) nach Katzen- oder Rattenbiss [51].

5 Spur in Lebensmitteln und Gegenständen

Am Tatort hinterlassene Zahnspuren (Einbisse oder Durchbiss) in Lebensmitteln (gekühlte Butter, Käse, Kuchen, Obst, Schokolade, Wurst, u.a.) können unter Umständen zur Identifizierung des Täters führen [44]. Von spurenkundlicher Bedeutung ist der Umstand, dass die Schartenspur in Abhängigkeit von der fortschreitenden Abrasion der Zähne nicht voraussehbaren Wandlungen unterliegt. Die Schneidezähne hinterlassen auf verformbaren, jedoch relativ formbeständigen Lebensmitteln wie Schokolade deutliche Schartenspuren (Abb.9).

#Abb. 9 Zahnschartenspuren in Schokolade: Spurenvergleich mehrerer in Zeitabständen gewonnener Schartenspuren [54]#
Dies ergaben systematische Untersuchungen von Pilz und Zerndt [53] von Zähnen (auch an Milchzähnen) sowie von Zahnersatz. Größere Zeitabstände (>2 Monate) beim Identitätsvergleich zwischen Tat- und Vergleichsspur schränken die Sicherheit der Ergebnisse durch möglicherweise fortschreitenden Verschleiß der Zähne ein. Der Vergleich in Zeitabständen vom gleichen Individuum gewonnener Schartenspuren des natürlichen Gebisses ergab, dass erst nach etwa 2 Monaten das eine oder andere Einzelmerkmal verloren geht oder durch ein neues Spurendetail ersetzt wird [54]. Form und Anzahl der Zähne lassen einen Schluss auf eventuelle Abnormitäten zu (Veränderung der Zahnzahl, Größe, Situs, Stellung, Abrasion, Karies, Zahnersatz).
Aus etwa vorhandenen Speichelresten an der Spur muss versucht werden, die Blutgruppe nachzuweisen, wobei Kontrollabsorptionen mit dem Lebensmittel erforderlich sind. Individualisierende Untersuchungen auf DNA-Ebene sind in besonderen Fällen zu empfehlen [79].

Ende Teil 1

 

 

 

Literatur
Das Literaturverzeichnis befindet sich am Ende vom 2. Teil.

Dr. med. Dr. med. dent. Klaus Rötzscher, Speyer
Studium der Medizin und Zahnmedizin in Leipzig. Pathologe, Rechtsmediziner. Zahnarzt in eigener Praxis in Speyer/Rhein (1977 – 1998).
Mitglied der Identifizierungskommission beim Bundeskriminalamt.
Vorsitzender des interdisziplinären Arbeitskreises (AKFOS) der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde und der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin und Buchautor.