Das Netz wird enger...
Aktuell werden immer mehr Prüfbescheide verschickt, und das trotz anerkannter (!) Erläuterung der Gründe für eine Praxisabweichung vom Landesdurchschnitt und daraus resultierender Abwehr eines Regresses im Vorquartal. Man kann daraus unschwer schließen, dass nunmehr rein mechanisch bei jeder Abweichung sofort seitens der Kassen Prüfantrag gestellt wird. Und die Prüfungsausschüsse – die sind paritätisch besetzt – reagieren mit Prüfbescheiden.
Nun kann eine Praxis ja nicht nur deshalb „stromlinienförmig“ unauffällig dem Landesdurchschnitt entsprechend arbeiten, weil Prüfung und Regress drohen, das wäre unethisch und auch nicht mit dem Gesetz vereinbar (siehe auch Oehler, Klaus:BEMA-Z und Wirtschaftlichkeitsprüfung, Deutscher Zahnärzteverlag). Das Sozialgesetzbuch, aus dem die Berechtigung für solche Wirtschaftlichkeitsprüfungen hergeleitet wird, hat in § 106 nicht nur die „Wirtschaftlichkeit“ als Ziel definiert, es sind auch andere Merkmale gleichberechtigt gelistet, was die Kassen gerne verschweigen.
§ 106
Wirtschaftlichkeitsprüfung in der vertragsärztlichen Versorgung
(1) Die Krankenkassen und die Kassenärztlichen Vereinigungen überwachen die Wirtschaftlichkeit der vertragsärztlichen Versorgung durch Beratungen und Prüfungen.
(1a) In erforderlichen Fällen berät der in Absatz 4 genannte Prüfungsausschuss die Vertragsärzte auf der Grundlage von Übersichten über die von ihnen im Zeitraum eines Jahres oder in einem kürzeren Zeitraum erbrachten, verordneten oder veranlassten Leistungen über Fragen der Wirtschaftlichkeit und Qualität der Versorgung.
(2) Die Wirtschaftlichkeit der Versorgung wird geprüft durch
1. Arztbezogene Prüfung ärztlich verordneter Leistungen bei Überschreitung der Richtgrößenvolumina nach § 84 (Auffälligkeitsprüfung),
2. arztbezogene Prüfung ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen auf der Grundlage von arztbezogenen und versichertenbezogenen Stichproben, die mindestens 2 vom Hundert der Ärzte je Quartal umfassen (Zufälligkeitsprüfung). Die Höhe der Stichprobe nach Satz 1 Nr. 2 ist nach Arztgruppen gesondert zu bestimmen. Die Prüfungen nach Satz 1 Nr. 2 umfassen neben dem zur Abrechnung vorgelegten Leistungsvolumen auch Überweisungen, Krankenhauseinweisungen und Feststellungen der Arbeitsunfähigkeit sowie sonstige veranlasste Leistungen, insbesondere aufwändige medizinisch-technische Leistungen; honorarwirksame Begrenzungsregelungen haben keinen Einfluss auf die Prüfungen. Die Landesverbände der Krankenkassen und die Verbände der Ersatzkassen können gemeinsam und einheitlich mit den Kassenärztlichen Vereinigungen über die in Satz 1 vorgesehenen Prüfungen hinaus Prüfungen ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen nach Durchschnittswerden oder andere arztbezogene Prüfungsarten vereinbaren; dabei dürfen versichertenbezogene Daten nur nach den Vorschriften des Zehnten Kapitels erhoben, verarbeitet oder genutzt werden. Die Prüfungen bei Überschreitung der Richtgrößenvolumina sind für den Zeitraum eines Jahres durchzuführen. Der einer Prüfung nach Satz 1 Nr. 2 zu Grunde zu legende Zeitraum beträgt mindestens ein Jahr.
3.
(2a) Gegenstand der Beurteilung der Wirtschaftlichkeit in den Prüfungen nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 2 sind, soweit dafür Veranlassung besteht,
1. die medizinische Notwendigkeit der Leistungen (Indikation),
2. die Eignung der Leistungen zur Erreichung des therapeutischen oder diagnostischen Ziels (Effektivität),
3. die Übereinstimmung der Leistungen mit den anerkannten Kriterien für ihre fachgerechte Erbringung (Qualität), insbesondere mit den in den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses enthaltenen Vorgaben,
4. die Angemessenheit der durch die Leistungen verursachten Kosten im Hinblick auf das Behandlungsziel,
5. bei Leistungen des Zahnersatzes und der Kieferorthopädie auch die Vereinbarkeit der Leistungen mit dem Heil und Kostenplan.
Das ist mehr und vor allem anders als es beispielhaft die AOK darstellt:
Im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106 SGB V wird zwischen Auffälligkeits- und Zufälligkeitsprüfungen unterschieden. Auffälligkeitsprüfungen werden vorgenommen, wenn die ärztlich verordneten Leistungen die Richtgrößen überschreiten.
Auffälligkeitsprüfungen sollen nach dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) in der Regel für nicht mehr als fünf Prozent der Ärzte einer Fachgruppe durchgeführt werden. Sofern der Arzt verpflichtet wird, Rückzahlungen an eine Krankenkasse zu leisten, muss diese Festsetzung innerhalb von zwei Jahren nach Ende des geprüften Verordnungszeitraums erfolgen. Nach dem GKV-WSG sollen insbesondere auch Ärzte geprüft werden, deren ärztlich verordnete Leistungen in bestimmten Anwendungsgebieten deutlich von der Fachgruppe abweichen sowie insbesondere auch verordnete Leistungen von Ärzten, die an einer Untersuchung nach § 67 Abs. 6 des Arzneimittelgesetzes beteiligt sind.
Bei Zufälligkeitsprüfungen werden pro Quartal bei zwei Prozent der Ärzte arzt- und versichertenbezogene Stichproben gezogen. Die Zufälligkeitsprüfungen umfassen neben dem zur Abrechnung vorgelegten Leistungsvolumen u.a. auch Überweisungen, Krankenhauseinweisungen und Feststellungen der Arbeitsunfähigkeit. Für den Fall wiederholt festgestellter Unwirtschaftlichkeit greifen pauschale Honorarkürzungen. Bei Überschreitung der Richtgrößen um mehr als 25 Prozent muss der Vertragsarzt den Mehraufwand erstatten, soweit er nicht durch Praxisbesonderheiten begründet ist. Der betroffene Arzt hat ein Beschwerderecht.
Mit dem GKV-Modernisierungsgesetz wurde das Verfahren der Wirtschaftlichkeits- und Abrechnungsprüfung in weiten Teilen neu geregelt:
So vereinbaren die Kassenärztliche Bundesvereinigung und die Spitzenverbände der Krankenkassen gemeinsam und einheitlich Richtlinien zum Inhalt und zur Durchführung der Zufälligkeitsprüfungen.
Erfolgen Wirtschaftlichkeitsprüfungen nicht im vorgesehenen Umfang bzw. in der gesetzlichen Weise haften die Vorstandsmitglieder der Krankenkassenverbände und KVen. Dies gilt auch für den Fall, dass die erforderlichen Daten nicht übermittelt werden können.
Sofern das Verordnungsverhalten eines Arztes die Richtgrößen in einem Kalenderjahr um mehr als 15 Prozent überschreitet, beraten die Krankenkassen und KVen im Wege der Vorab-Prüfung.
Mit dem GKV-WSG wurde die bisherige Organisation mit Prüfungsausschuss (Entscheidung in erster Instanz) und Beschwerdeausschuss geändert: Der bisher ehrenamtlich besetzte Prüfungsausschuss entfällt, die Geschäftsstelle wird zur neuen Prüfungsstelle mit eigener Entscheidungskompetenz umgebildet. Zukünftig soll die Prüfungsstelle auch die Grundsätze des Verfahrens der Anerkennung von Praxisbesonderheiten beschließen. Durch diese Änderungen soll die Wirtschaftlichkeitsprüfung professionalisiert und effizienter werden. Effizienter – das bekommen die Zahnärzte jetzt zu spüren, Prüfung folgt auf Prüfung.
Nun ja, könnte man sagen, dann mach´ ich halt weniger, dann falle ich nicht mehr auf. Irrtum! Gehen wir mal mit Mathematik an das Problem heran: der Landesdurchschnitt wird ja als arithmetisches Mittel aller Abrechnungsdaten gebildet. Darin enthalten sind naturgemäß auch die „Zuvielabrechner“. Wenn die jetzt aussortiert werden bzw. weniger abrechnen – weil sie nicht ständig auffallen wollen -, dann wird damit auch der Landesdurchschnitt gesenkt, logische Folge, nachvollziehbar mit mathematischem Basiswissen. Das heißt, es werden bei unverändertem Therapieschema mehr Zahnärzte plötzlich auch auffällig – der Landesdurchschnitt ist ja die Richtgröße. Wenn dann die identische Reaktion folgt, nämlich weniger zu behandeln bzw. abzurechnen, kommen noch mehr Praxen in die Prüfung, usw. Das kann – setzt man diese Reihe gedanklich fort – bis zu einem Null-Abrechnungsvolumen gehen. Also ist es fast eine Pflicht, gegen Prüfbescheide Widerstand zu leisten.
Nun ist es ja gar nicht so einfach, erfolgreich Gegenwehr zu leisten. Der Zahnarzt hat normalerweise keine Übung darin sich mit Bürokraten herumzuschlagen und dabei auch noch erfolgreich zu sein – das ist ja ein generelles Problem -, die Angelegenheit wird gerne abgegeben. Die Helferin kann das meist auch nicht, also rennt man zum Anwalt. Nun ist ein Anwalt auch nicht qualifiziert, eine „fachliche Stellungnahme“ abzugeben, der hat ja Juristerei gelernt und nicht (Zahn)Medizin. Wer hat schon beide Fächer studiert? Und: der Anwalt schreibt für seine Mühen gleich ganz andere Rechnungen, da können (Zahn)ärzte nur träumen.
gh