Bericht vom Zahnärztetag

Deutscher Zahnärztetag 2013, Frankfurt

Der wissenschaftliche Teil des Zahnärztetags begann Freitagmorgen mit einem echten Knaller: der renommierte Volkswirtschaftler Prof. Dr. Dr. hc Oberender stellte klar, woran das Staatswesen in den „westlichen“ Ländern krankt – auch und insbesondere die Sozialsysteme. Da entscheiden diejenigen, die gar nichts zum Gemeinwohl beitragen, denn Politiker schielen stets nur nach der nächsten Wahl, und wenn die Mehrheit der Wähler Nutznießer des Sozialstaats sind, dann wird die Minderheit der Zahlenden – die arbeitende Bevölkerung ebenso wie „Kapitalisten“ – einfach ignoriert. Jeder aufmerksame Beobachter wird dies so bestätigen können: Politik wird nicht für die Leistungsträger gemacht, im Gegenteil. Dies ließ den Vortragenden schließen, dass die Ideen des Perikles (Wahlrecht nur für Steuerzahler) doch wohl nicht so übel wären. Das ist provokativ, und es war wohl auch provokativ gemeint.

Oberender legte aber noch nach: für Rauchen und Urlaub würden 48 Mrd. € jährlich ausgegeben, für Alkohol weitere 38 Mrd., nur für die Gesundheit, da hat man nur läppische 22 Mrd. € übrig. Daraus folgert er, dass die Zahnärzte grundsätzlich Honorarverträge abschließen sollten, je schneller desto besser raus aus der „Staatsmedizin“, so die Devise. Kann man auch bestätigen – wer findet heute noch einen Anwalt der nach RVG und nicht nach Honorarvertrag abrechnet? Wenn überall der Geldbeutel locker sitzt, weshalb sollen sich dann die Zahn(Ärzte) einer Kostenbremse fügen? Ist ja überall eine komische Diskussion: da soll Wohnraum „bezahlbar“ bleiben (ist er das denn nicht? Immerhin hat der Deutsche im Durchschnitt den höchsten Wohnflächenverbrauch weltweit! Bei ein bisschen Bescheidenheit ist die Wohnung natürlich „bezahlbar“!), auch die Energie soll „bezahlbar“ bleiben, wobei gerade in sozial schwachen Haushalten Energie besonders verschwendet wird (gibt sogar die Regierung zu). Und dann soll natürlich „Gesundheit“ umsonst geliefert werden, trotz aller Bemühungen der Leute, möglichst häufig und schwer zu erkranken (Rauchen, Übergewichte, Bewegungsmangel, Fehlernährung, usw.).

Kein Wunder dass sich die Kostendämpfung seit den 80er Jahren zur Rationierung von Gesundheitsleistungen entwickelt hat. Das soll zwar durch Gesetz verhindert werden (neueste Idiotie: ein gesetzlicher Anspruch innerhalb von vier Wochen einen Facharzttermin zu bekommen), was zeigt, dass – ebenso wie am Wohnungsmarkt, Stichwort Mietpreisbremse – durchaus die Probleme gesehen werden, nur an echten Lösungen niemand interessiert ist (siehe oben: die Wähler bestimmen, und die Mehrheit zahlt eben nicht in den Topf der Staatsfinanzen). Dabei haben z.B. die Optiker es geschafft: die Brille als „Kassenleistung“ ist passee, es geht also auch anders. Oberender ist ein entschiedener Gegner der heutigen GKV. Das frühere Mitglied des Sachverständigenrats der Bundesregierung befürwortet eine Basisversicherung für Jeden, mit Versicherungspflicht auch wirklich für jeden, mit lediglich Grundleistungen, und darüber hinaus zahlt jeder selber. In der aktuellen Situation könne die GKV niemals überleben: 4 Mio. Hartz IV Empfänger sowie weitere 6 Mio. Geringverdiener, das sprenge die Finanzierungsbasis der GKV, das könnten die Beitragszahler nicht mehr leisten. Wenn das Ruder nicht herumgerissen würde, würde die Rationierung von Gesundheitsleistungen immer deutlicher werden.

Das waren durchaus deutliche Worte, die der Fachmann da geäußert hat. Auch das ist am Rande interessant: immer mehr Volkswirtschaftler (und das sind ja nun mal die Fachleute, wer sonst?) sind unzufrieden mit der aktuellen Politik und warnen vor den Folgen – da wurde sogar eine eigene neue Partei gegründet (AFD), Vorsitzender: ein Volkswirtschaftler und Hochschullehrer des Fachs -, und anscheinend wachen auch etliche Wähler auf, immerhin ist die AFD nur knapp an der 5 % Hürde gescheitert.

Dass Professor Oberender  wohl kaum Unrecht haben dürfte hat der aktuell (November 2013) vorgelegte Bericht der „Wirtschaftsweisen“  gezeigt, in dem unverblümt die Wahlgeschenke, die die Koalitionäre zu verteilen gedenken, als „Rückschritt“ verdammt werden.

Dabei wird die Brisanz wohl weiter zunehmen: der Zustrom an Flüchtlingen aus Afrika (Stichwort Lampedusa) nimmt weiter rasant zu, und da gehen die Ströme bevorzugt nach Deutschland – natürlich, nirgends sonst gibt es so großzügige Sozialleistungen. Wenn dann noch die Schleusen der Grenzen nach Osteuropa (Bulgarien, Rumänien, um nur zwei Bespiele zu nennen) geöffnet werden wird es kaum noch ein Halten geben.

Die Zuwanderer – es wird wohl kaum Jemand dem Innenminister der letzten Regierung, Friedrich, ernsthaft widersprechen wollen dass es sich fast ausschließlich um Wirtschaftsflüchtling handelt, die in Europa ein besseres Leben suchen – kommen in schlechtem Gesundheitszustand zu uns, und was noch schwerer wiegt, sie integrieren sich oft nicht oder nur ungenügend, sie bilden Parallelgesellschaften. Damit behalten sie die Sitten und Gebräuche ihrer Herkunftsländer auch über mehrere Generationen bei, was sich auch auf ihre Gesundheit auswirkt.

Darüber berichtete Prof. Dr. Anahita Jablonski-Momeni von der Universität Marburg. Sie spricht von der frühkindlichen Karies mit der zunehmenden Tendenz zur Polarisierung (sie tritt insbesondere bei Risikogruppen auf) als echter Herausforderung für die präventionsverwöhnten Zahnarztpraxen und öffentlichen Einrichtungen der Gruppenprophylaxe. Hauptursache sei der Gebrauch der Nuckelflasche mit kariogenen Inhaltsstoffen, deren fatale Wirkung man bei uns schon fast vergessen hat, daneben sehr frühe Infektion mit S. mutans und die mangelhafte Mundhygiene. Diese Kombination sei insbesondere bei Familien mit niedrigem sozioökonomischen Status vorzufinden. Die durchschnittliche Prävalenz liegt den Angaben aus Marburg zufolge bei 10 bis 15 Prozent, jedoch in sozialen Brennpunkten stiege die Häufigkeit auf 40 Prozent. Die besondere Problematik liegt auf der Hand: Praxen in solchen Gegenden mit diesem Klientel werden ganz rasch Wirtschaftlichkeitsprüfungen ausgesetzt sein, denn der Therapiebedarf liegt ja dann weit über Landesdurchschnitt. Jablonski-Momeni betont, dass die Polarisierung noch schlimmere Dimensionen angenommen hat: 12 Prozent der Kinder hätten demnach 95 (!)  Prozent aller Karieserkrankungen. Kleine Kinder zeigen nie die notwendige Compliance um gründliche Sanierungen zuzulassen. Folglich bleiben die Defekte erst einmal unversorgt. Die normale Praxis ist mit solchen Problemfällen überfordert – die Behandlung findet folglich in Kliniken oder spezialisierten Kinderzahnarztpraxen statt. Wenn überhaupt wird lediglich eine Schmerzbehandlung vorgenommen.

Meist suchten die Eltern den Zahnarzt nur auf wenn akute Schmerzzustände vorlägen – die regelmäßige Konsultation des Hauszahnarzts sei in bestimmten Kreisen nicht üblich: dazu gehören gering Gebildete, Angehörige instabiler Familien, Sozialhilfeempfänger, Migranten sowie –pikantes Detail – auch Alternative. Anhänger der Öko-Bewegung hätten ebenfalls zunehmend schlechte Zähne. Zusammenfassend bezeichnete die Referentin Karies als „soziale Krankheit“.

Die Karies befand sich in stetigem Rückzug: IDZ (2006), sowie Pieper 2010 haben dazu berichtet. So konnte in 2009 noch ein dmft bei dreijährigen von 0,7 festgestellt werden, ein Wert, der weit über den Vorgaben der WHO lag. Nun jedoch steigt der durchschnittliche dmft wieder an – und das treibt natürlich die Kosten. Leider kann ein Kind erst ab dem vollendeten sechsten Lebensjahr individualprophylaktische Leistungen in Anspruch nehmen, da ist es jedoch für die Kinder aus Hochrisikogruppen längst zu spät. Die Gruppenprophylaxe greift ebenso wenig – gerade die Zuwanderer behalten ihre Kinder zuhause, um vermeintlich schädliche Einflüsse fernzuhalten. KiTaS sind für Außenseiter kaum attraktiv. Und im Kindergarten ist es zu spät, da sind die Gebisse bereits weitgehend zerstört. Nuckel-Flaschen-Karies (nursing bottle syndrome) ist durch einen dmft von 8,12 beschrieben. Da kann man sich vorstellen welche Kosten auf das Gesundheitswesen zukommen. Daraus resultiert die Forderung, die Prophylaxe in den Gemeinschaftseinrichtungen durch gesetzliche Maßnahmen zu verbessern (in KiTas wird derzeit kaum Prävention betrieben) und die Frühprophylaxe beim Zahnarzt von derzeit 2,5 Jahren auf sechs bis acht Monate vorzuziehen. Allerdings wird dies das Grundproblem der Parallelkultur nicht lösen können, die ja durch das „Betreuungsgeld“ noch gefördert wird. Und dann gehen die Kinder eben nicht mit drei Jahren in einen Kindergarten, sondern liegen auf dem OP-Tisch zur Behandlung, die anders nicht mehr möglich ist. Hier muss nachgebessert werden: es müssen Maßnahmen gefunden werden die die zahnärztliche Prophylaxe auch bei Hochrisikogruppen möglich macht.

Weitere Probleme sind von der PAR-Front zu erwarten. Die DMS IV hat ja eindrucksvoll gezeigt dass die PAR-Erkrankungen zunehmen. PD Dr. Bettina Dannewitz hat dazu Fakten zusammengetragen. Individuen mit gesunden Parodontien (CPI 0) gäbe es verschwindend wenige. Ein CPI 1 würde jedoch mit zunehmendem Alter sich weiterentwickeln zu CPI 3 oder gar 4. Nun stellt jedoch das Alter an sich kein Risiko dar, so die Botschaft. Vielmehr seien es die lebenslang angehäuften Negativfaktoren, die den Anschein erweckten, im Alter käme es leichter zu einer therapiepflichtigen Parodontalerkrankung. Hier wird insbesondere „Rauchen“ genannt, daneben seien mangelhafte Bildung sowie Geschlechtszugehörigkeit (Männer schneiden schlechter ab als Frauen) als bestimmende Parameter identifiziert. Leider funktioniere eine PAR-Therapie, die in der Klinik gute Ergebnisse zeigt, in der Praxis beim Niedergelassenen kaum bis gar nicht.  „Die Effektivität einer Parodontitistherapie in der Praxis ist fraglich“, so die klare Aussage. Hier fehlten auch jegliche Instrumente zu einer besseren Compliance. Das viel gerühmte „Bonusheft“ sei ein Irrsinn, denn, da wird das Ziel „Zahnersatz“ belohnt und nicht die Zahnerhaltung. Während es gegen die Karies die passive Intervention mittels effektiver Zahnpasten und anderer Mundpflegemittel gäbe, hätte man diese Möglichkeit bei PAR-Erkrankungen nicht. Eine PAR-Therapie funktioniert jedoch nur, wenn die Mitarbeit des Patienten gesichert ist, und dazu bedarf es einer guten Motivation (die gibt es derzeit nicht) sowie weiterer Hilfen, die auch passiv, also ohne aktive Handlungen der Patienten, einen Effekt zeigen. So fällt die Prognose trübe aus: wir müssen mit einem weiteren Anstieg der PAR-Morbidität rechnen. Und mit steigenden Kosten auch aus dieser Ecke…

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