Hintergrund für die skurrile Situation ist der Umstand, dass die AOK seit Abschluss des gesetzlich vorgeschriebenen Hausarztvertrages das Honorar an die teilnehmenden Hausärzte direkt an den Hausärzteverband zu überweisen hat. Im Gegenzug ist die Honorarsumme, die von der Krankenkasse für alle Ärzte an die KVB überwiesen wird, entsprechend zu bereinigen. Das geschah bislang offenbar nicht.
Die exakte Höhe dieser Beträge ist derzeit nicht klar und wird gerichtlich zwischen den Kontrahenten ausgefochten. Nicht zulassen will das Sozialgericht allerdings, dass die Krankenversicherung "nach Gutdünken den Geldhahn zudreht". Die KVB bestreitet hingegen, dass der Vertragsabschluss zwischen Hausärzteverband und AOK dem Grunde nach rechtsgültig ist. Falls es zu keinem Vergleich kommt, ist mit einem Prozessmarathon zu rechnen. Damit befindet sich die AOK in einem Dilemma, denn aufgrund der aktuellen Situation müssen beide Verträge bedient – sprich ausgezahlt – werden. Die Kosten könnten leicht existenzgefährdende Größenordnungen erreichen – Insolvenz droht.
Laut Leonhart geht es vorsichtig gerechnet um die Summe von etwa 500 Millionen pro Jahr. KVB-Bereichsvorstand Dr. Gabriel Schmidt weist jede böse Absicht in einem Rundschreiben vom 2. Juni an die hausärztlichen Kollegen weit von sich: "Es ist nicht unser Anliegen, den zwischen AOK und HÄV geschlossenen Hausarztvertrag kaputt zu machen." Für den BHÄV-Chef Dr. Klaus Hoppenthaller passiert dies aber beim langwierigen Marsch durch die Gerichtsinstanzen. Für ihn ist der Gerichtsentscheid trotz des aktuellen Geldsegens sogar "kontraproduktiv, weil er die Verhandlungen verzögert – locker für ein halbes Jahr -, da es im Augenblick kein Schiedsamt in Bayern gibt", so seine Befürchtung.
Zu den langfristigen Folgen für die Praxen schweigt sich der Verband aus. Seitens der KVB wäre es korrekt, die Abschlagszahlung anteilmäßig um die eingeschriebenen und in Behandlung befindlichen AOK-Patienten zu kürzen, was unterbleibt. Dass dieses passive Verhalten bei der Endabrechnung gravierende Folgen für den einzelnen Arzt zeitigen kann, räumt Schmidt ein. Gerade in ländlichen Gebieten beträgt der Anteil von AOK Patienten für manche Praxen bis zu 70 Prozent. Aktuell schätzt die KVB, dass sich von den 4,5 Millionen AOK-Versicherten im Freistaat gut zwei Millionen in die Hausarztverträge eingeschrieben haben. Derzeit laufen die Schiedsamtsverfahren des HÄV mit den anderen Kassen. Im "worst case" einer gerichtlichen Auseinandersetzung wie mit der AOK wird die KVB bei der Durchleitung der Gelder konsequenterweise nicht anders handeln. Das heißt: Am Ende steht in jedem Fall die Rückforderung. Das Problem löst sich üblicherweise – zwar schmerzhaft für die Praxen aber praktikabel für die KVB-Bürokratie – durch Einbehalte späterer Leistungsentgelte. Das funktioniert aber nur dann, wenn der Arzt weiterhin maßgebliche Teile seiner Arbeit im Rahmen des KVB-Kollektivs erbringt. Genau hier sitzt der gefährliche Haken für die Körperschaft, denn der Hausärztevertrag ist auf die vollständige Loslösung aus dem bisherigen System angelegt. Das Chaos ist also programmiert.