Altersmedizin und Kiefernekrosen

Cave: Bisphosphonate

Zunehmend findet man bei Patienten, verstärkt bei älteren, Kiefernekrosen, die gerne unterschätzt werden. Ende 2003 wurde erstmalig bei uns über schwer zu therapierende Entzündungen im Kieferbereich berichtet, die auf die Anwendung von Medikamenten gegen Osteoporose sowie insbesondere im Zusammenhang mit Onkologie zurückgeführt wurden. Seit nun mehr als 14 Jahren ist die Problematik der Kiefernekrose ein wichtiges Therapiefeld in der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie und Zahnmedizin geworden.

Solche Nekrosen werden bevorzugt von spezifischen Pharmaka getriggert – Bisphosphonate, wie man sie aus Waschmitteln kennt, bzw. Antiresorptiva, sind Medikamente, die in der heutigen Krebstherapie und der Therapie der Volkskrankheit Osteoporose Anwendung finden. Bisphosphonate begünstigen eine Knochenresorption bzw. –Nekrose im Kiefer, anders als in anderen Körperregionen (an sich paradox: bei Osteoporose wird Knochen durch solche Pharmaka stabilisiert, im oralen Bereich hingegen wirken sie kontraproduktiv).

Bisphosphonate sind gut verträgliche osteotrope Medikamente: Sie wirken auf den Knochenstoffwechsel und reduzieren die übermäßige Knochenresorption u. a. bei Osteoporose, Plasmozytom oder osteolytischen Metastasen maligner Tumoren wie Mamma- oder Prostatakarzinom. In den USA gehören Bisphosphonate zu den am häufigsten verordneten Präparaten. Die Medikamentengruppe zeichnet sich durch eine sehr hohe Affinität zu Hydroxylapatit, insbesondere im Bereich von Resorptionslakunen aus. Dort inhibieren  sie die Aktivität von Osteoklasten. Dies zusammen mit der Erhöhung der osteoklastären Apoptoserate führt zur effektiven Hemmung des Knochenabbaus. Zusätzlich wurden für Bisphosphonate ein antiangiogener Effekt sowie eine Hemmung der Ankopplung von Tumorzellen an die Knochenoberfläche gezeigt.

Während Bisphosphonate an sich potente und gut verträgliche Präparate darstellen, wurden die spezifischen Risiken im ZMK-Bereich lange Zeit unterschätzt bzw. gar nicht wahrgenommen. Dass im oralen Bereich so gravierende unerwünschte Nebenwirkungen auftreten liegt vermutlich daran, dass hier – anders als sonst im Organismus – der Schutz des Knochens vor bakteriellen Einflüssen ungenügend ist und häufig ein direkter Kontakt des Kieferknochens zur bakteriell hoch belasteten Mundhöhle gegeben ist, Beispiel Parodont. Da ein Absetzen der Bisphosphonate-Therapie – Beispiel Onkologie – wegen des Interessenkonflikts meistens unmöglich bzw. nur schwer umsetzbar ist, gilt es, die medikamenten-induzierte Nekrose differentialdiagnostisch von anderen destruktiven Prozessen abzugrenzen (insbesondere von strahleninduzierten Nekrosen). Dies ist primär Aufgabe des behandelnden Arztes, sollte jedoch auch zumindest dem ZMK-Arzt bekannt sein.

Es sollte generell im Bestreben eines ZMKlers liegen, Keiminvasionen zu vermeiden bzw. Vorkehrungen dagegen zu treffen. So gilt ja auch, bei einer banalen Zahnreinigung bei Risikopatienten ggflls. eine antibiotische Abdeckung vorzunehmen, oder, bei operativen Eingriffen, möglichst einen bakteriendichten Verschluss der Wunde ans Ende des Eingriffs zu stellen.

Hier nimmt die PAR eine Sonderstellung ein. Parodontal-Taschen stellen per se eine Kontaktfläche zwischen bakterieller Besiedelung und Alveolarknochen dar. Deshalb kommt hier dem Parodontologen bzw. parodontologisch tätigen ZMK-Arzt besondere Verantwortung zu.

Differentialdiagnose apikale versus marginale Parodontitis

Orale Erkrankungen, wie apikale oder marginale Parodontitis, haben stets Knochennekrosen zur Folge, die im Fall der apikalen Parodontitis nach Eliminierung der verursachenden Keime durch eine lege artis endodontische Therapie im Normalfall folgenlos ausheilen, im Fall der marginalen Parodontitis hingegen kaum, was bedeutet, dass Knochendefekte auch nach „erfolgreicher“ Therapie mit Eliminierung der Zahnfleischtaschen kaum regenerieren. Hierzu wurden zahlreiche Methoden entwickelt, die eine zumindest teilweise Knochenregeneration ermöglichen sollen (Beispiel: Membranen).

In der Praxis ist es gar nicht so einfach differentialdiagnostisch abzuklären, ob im Fall röntgenologisch sichtbarer Knochendefekte eine endodontale Ursache vorliegt oder eine tiefe parodontale Tasche. Beide Krankheitsbilder können durchaus im Röntgenbild sehr ähnlich aussehen. Dies deshalb, weil die vermeintliche parodontale Tasche sehr wohl auch ein Fistelgang eines apikalen Prozesses sein kann.

Deshalb ist es elementar wichtig, weitere Aspekte, die eine Diagnose stützen können, zu beachten.

So ist es z.B. nicht sehr wahrscheinlich, dass bei einem grundsätzlich parodontal gesunden Gebiss isoliert an nur einem Zahn eine solch ausgeprägte Tasche gebildet wird. Trotzdem besteht diese Möglichkeit, z.B. wenn es lokal eine mechanische Noxe gibt. Eine bessere Abklärung ist durch den Einsatz bakteriologischer Tests möglich, die einen ziemlich sicheren Nachweis parodontis-assozierter Keime zulässt. Bei solchen Bio-Tests wird eine Probe aus dem austretenden Pus genommen und im Labor bakteriologisch untersucht.

Die Differentialdiagnose ist aus oben erläutertem Grund bedeutend: würde irrtümlich angenommen, der Defekt sei von einer marginalen Parodontitis verursacht und entsprechend therapiert (das Mittel der Wahl ist ja hierbei die Kürettage) würde zum einen keine Heilung bewirkt, zum anderen – und das ist schlimmer – eine knöcherne Regeneration verhindert, die bei einer Endo-Therapie durchweg  erfolgreich stattfindet.

Problem Bisphosphonate

Die o.a. negativen Auswirkungen einer vorschnellen falschen Diagnose werden bei Medikation mit Bisphosphonaten potenziert. Erstmals finden sich Angaben dazu in der Literatur 2001, als  gegenüber der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA diese potenzielle unerwünschte Arzneimittelwirkung gemeldet wurde. Seitdem wird in der Literatur immer häufiger zu diesem Phänomen berichtet. In einem beispielhaft ausführlichen Übersichtsbericht finden sich weiterführende Angaben (https://www.pnc-aktuell.de/parodontologie/story/medikamenten-assoziierte-kiefernekrose–herausforderung-in-der-zahnaerztlichen-praxis__3604.html), Autorin Dr. med. Dr. med. dent. Susanne Jung.

Auch in einem Symposium der Universität Tübingen wurde in 2017 auf solche Probleme hingewiesen (Dr. Dr. Hoefert Sebastian, Oberarzt an der ZMK Klinik Tübingen). Er gibt unter Medikation von Bisphoshonaten eine geschätzte Wahrscheinlichkeit von 70 % an, nach Knochenverletzungen eine medikamenteninduzierte Nekrose zu erleiden.

Dies gilt auch für Knochenverletzungen im Zusammenhang mit Extraktionen oder operativen Eingriffen (Beispiel Implantation).

Es ist also zwingend, in der Anamnese nach ggflls. problematischer Medikation zu fragen, eine explizite Frage nach Bisphosphonaten gehört jedenfalls in den Anamnesebogen vor einer PAR.

Deshalb auch die dringende Empfehlung: eine Gebiss-Sanierung unbedingt vor Einleitung einer Antiresorptionstherapie abschließen! Dazu ergeht die Forderung, eine BP-Medikation im Patientenausweis einzutragen bzw. den Zahnarzt zu informieren. Als weitere Empfehlung wird angeregt, eine antibiotische Abdeckung für den Fall einer den Knochen betreffende Maßnahme vorzusehen sowie regelmäßig einen dichten Wundverschluss (keine offene Extraktionswunde) zu generieren. In der Parodontaltherapie bedeutet dies den Verzicht auf die Standardvorgehensweise mit Kürettage, anschließender Reevaluation und dann ggflls. Antbiose. Im Fall von BP Patienten muss unmittelbar mit Antibiotika vorgegangen werden.

Geschichte

Phosphor-induzierte Kiefernekrosen kennt man schon seit 1845 aus den USA, wo Streichhölzer mit weißem Phosphor hergestellt wurden. Nach teilweise dramatischen Erkrankungen der Arbeiter wurde dann die Produktion auf roten Phosphor umgestellt und die Phosphorinduzierten Kiefernekrosen gerieten in Vergessenheit. Erst die o.a. an die FDA gemeldeten Fälle haben das Problem wieder in Erinnerung gerufen.

BP werden speziell in der Onkologie sowie in der Therapie der Osteoporose eingesetzt. Deshalb gehört dieser Aspekt auch bevorzugt in die Altersmedizin.

Fazit:

Die Forschung sollte selbstverständlich andere wirksame Pharmaka ohne solche Nebenwirkungen entwickeln, das versteht sich von selbst.  Jedoch müssen Zahnärzte und Ärzte die Problematik jedenfalls kennen und hier konsularisch Wege finden, solche fatalen Folgen zu vermeiden. Eine verbesserte Kommunikation zwischen Arzt/Onkologe und ZMK-Arzt ist unter diesem Aspekt eine dringende Forderung.

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